Im STANDORTinfo-Interview berichtet Torsten Koplin (Linke MV) als Mitglied des Sozialausschusses und gesundheitspolitischem Sprecher seiner Fraktion, warum sich für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung in Mecklenburg-Vorpommern der Blick in die Vergangenheit durchaus lohnen kann.
Worauf freuen Sie sich in Ihrer Arbeit als Mitglied des Sozial- und Gesundheitsausschusses?
Im für Gesundheit zuständigen Sozialausschuss freue ich mich auf eine lebhafte und konstruktive Debatte, die letztlich in Entscheidungen münden muss, die die Lebenssituation der Menschen im Land konkret verbessern. Insbesondere hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung haben wir weniger Erkenntnisprobleme, sondern vielmehr Umsetzungsprobleme. Letztere zu beheben, muss unser aller Anspruch sein. Dabei gilt es mutig zu sein, denn die aktuellen Herausforderungen verlangen es uns ab, mit innovativen Lösungen neue Wege zu gehen. Das heißt jedoch nicht, dass wir das Rad gänzlich neu erfinden müssten. Auch ein Blick in die Vergangenheit kann zu neuen, an unsere Zeit angepasste, Ideen führen, wie etwa das Beispiel der modellhaft wieder eingeführten „Gemeindeschwestern“ zeigt.
Worin sehen Sie die größten Herausforderungen in der künftigen Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung in MV? Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung?
Wir stehen vor vier vordringlichen Herausforderungen: Erstens, der Prävention einen deutlich höheren Stellenwert einzuräumen. Zweitens, die Geburtshilfe und Kinder- und Jugendheilkunde neu und zukunftsfest aufzustellen. Drittens, die möglichst schrankenlose Zusammenarbeit aller Akteur*innen des Gesundheitswesens zu erreichen. Grundvoraussetzung dafür ist eine kooperative und solidarische, d.h. über die eigenen Interessen hinausblickende, Zusammenarbeit aller Beteiligten. Und viertens müssen wir uns systematisch und mit konkreten Schritten der Fachkräftegewinnung und Fachkräftesicherung annehmen.
Digitalisierung bzw. der Einbezug digitaler Anwendungen und Prozesse ist bei all dem als Querschnittsaufgabe zu betrachten. Paradoxerweise ist zur Digitalisierung viel Papier beschrieben worden, so richtig los geht es aber nicht. Trotz aller Ideen, die z.B. für den Pflegebereich immer mal wieder durch die Presse geistern, sind wir noch relativ weit von tatsächlich anwendungsbereiten Lösungen entfernt, insbesondere auf dem Feld der künstlichen Intelligenz. Und in vielen Bereichen ist der Beweis, dass uns digitale Lösungen wirklich mehr Zeit verschaffen und Kosten sparen, noch gar nicht erbracht.
Ich sage das, weil wir die Digitalisierung nicht als Allheilmittel für die aktuellen Probleme verstehen sollten, denn ausgebildete Fachkräfte wird es für eine gute Versorgung immer brauchen. Gerade die Gesundheitsberufe sind stark durch zwischenmenschliche Interaktionen und den Aufbau von Beziehungen geprägt. Und das sollten sie auch bleiben. Wo es jedoch sinnvoll ist, müssen Ärzt*innen, Rettungsdienste, Pflegekräfte usw. unbedingt durch digitale Werkzeuge unterstützt und entlastet werden.
Qualität oder Erreichbarkeit? – Was ist aus Ihrer Sicht bei der Krankenhausversorgung im Land wichtiger?
Qualität und Erreichbarkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Die Behandlungen von seltenen Erkrankungen bis hin zu Routineeingriffen müssen kategorisiert und mit geografischen Radien versehen werden, so dass klar ist, welche Behandlung wo in höchster Qualität zuverlässig erfolgt. Dabei soll der Grundsatz gelten: Je höher der Spezialisierungsgrad, desto zentralisierter die Versorgungsleistung. Das heißt dann auch, dass die Grundversorgung möglichst wohnortnah sichergestellt sein muss. Bei der geburtshilflichen Versorgung zum Beispiel kann das durch gemeindezentrierte Ansätze und eine zentralere Rolle der Hebammen gelingen.
Was sollte sich ändern/ muss umgesetzt werden, dass auch alle Pflegebedürftigen in MV auch noch in Zukunft gut versorgt werden?
Die Enquetekommission „Zukunft der medizinischen Versorgung in M-V“ hat im Juni 2021 insgesamt 21 Handlungsempfehlungen ausgesprochen. Sie sind der Maßstab unseres Handelns. Zwei Aspekte möchte ich herausgreifen: Als Basis brauchen wir dringend nachhaltige Finanzierungskonzepte, mittels derer sowohl Kosten als auch Gewinne gerecht verteilt werden. Es darf nicht sein, dass Pflegebedürftigkeit die Betroffenen und ihre Angehörigen in die sichere Armut führen, weil zu hohe Eigenanteile nicht mehr erbracht werden können.
Auch die bereits angesprochene Prävention wird zukünftig eine viel größere Rolle spielen. Unser Anliegen muss es sein, Erkrankungen und daraus folgende Pflegebedarfe durch zielgerichtete Maßnahmen so gut wie möglich zu vermeiden, um den Menschen ein eigenständiges und aktives Leben bis ins hohe Alter zu ermöglichen. Insbesondere einkommensarme Menschen müssen hier stärker in den Fokus genommen werden, da sie im Vergleich zur einkommensstärkeren Bevölkerung ein deutlich höheres Risiko für bestimmte Krankheiten und damit auch eine geringere Lebenserwartung aufweisen.