Eine gute ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung auf höchstem Niveau für alle Menschen in der Stadt, bessere Arbeitsbedingungen und Vergütungen für Beschäftigte im Gesundheitswesen, beste Unterstützung für Mütter und Familien bei der Geburt und der Zeit danach – diese drei Themen standen für die gesundheitspolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion zu Beginn der Wahlperiode im Fokus. Was ist aus den Vorhaben geworden und was gibt es noch zu tun? Drei Fragen an Gudrun Schittek (65) und Linus Görg (28):
1.) Blicken wir auf die vergangenen Monate zurück: Welches Halbzeit-Fazit ziehen Sie, was den Stand der Umsetzung Ihrer Ziele anbelangt?
Gudrun Schitteck: Wir haben zur Verbesserung der ambulanten Versorgung alle Hebel in Bewegung gesetzt. Dabei steht die Gründung lokaler Gesundheitszentren, die medizinische Versorgung mit sozialer Beratung verbinden, ganz oben. Daneben wollen wir in Zukunft die Versorgung mit Haus- und Kinderärztinnen und -ärzten in Hamburg kleinräumiger betrachten. Gleichzeitig haben wir die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVH) aufgefordert, Praxen an unterversorgten Standorten zu sichern, falls eine Nachfolge fehlt. Auch die Gründung neuer KVH-Praxen befürworten wir an Standorten, wo zusätzliche Ärzte dringend gebraucht werden. Wir haben thematisiert, dass Medizinische Versorgungszentren (MVZ) oft von rein gewinnorientierten Investoren betrieben werden und machen Druck auf die Bundesebene, dass die Eigentumsverhältnisse bei MVZ endlich offengelegt werden müssen. Unsere Ziele sind langfristig, entscheidend ist, dass die Richtung stimmt. Wir konnten die richtige Richtung einschlagen.
Linus Görg: Anfang 2020 wurde bundesweit die Generalistische Pflegeausbildung eingeführt, das hat in Hamburg sehr gut geklappt. Wir haben schon einen Schritt weitergedacht und uns dafür stark gemacht, dass generalistisch ausgebildete Pflegefachpersonen im Anschluss ihrer Ausbildung die Möglichkeit haben, sich mit Hilfe von Weiterbildungen für spezielle Pflegesettings wie z.B. die Pädiatrie zu qualifizieren. Auch die Ausbildung zur Gesundheits- und Pflegeassistenz ist in Hamburg bereits auf sehr hohem Niveau. Dieses Modell wollen wir bundesweit in die Fläche bringen. Der Dokumentationsaufwand in der Pflege ist in aller Munde. Mit Hilfe einer wissenschaftlichen Studie werden wir herausfinden, welche Dokumentationsleistungen tatsächlich für die Patientenversorgung notwendig und welche ggf. verzichtbar sind. So können Hamburger Pflegefachpersonen in Zukunft hoffentlich mehr Zeit mit der direkten Versorgung der Menschen verbringen.
2.) Die Corona-Pandemie hat in der ersten Hälfte der Wahlperiode vieles dominiert. Welche gesundheitspolitischen Themen sind aus Ihrer Sicht in den vergangenen Monaten zu kurz, welche vielleicht auch neu hinzugekommen?
Gudrun Schitteck: Die Corona-Pandemie hat Schwachstellen im Gesundheitssystem schonungslos offengelegt. Zuallererst ist der Personalmangel zu nennen, aber auch die breite gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung ist noch nicht so gut, wie wir es brauchen. Das hat sich bei der teilweise schleppenden Impfkampagne gezeigt. Leider wurde die Leistung im ambulanten Bereich während der Pandemie nicht ausreichend gesehen. Die Berufsgruppe der Medizinischen Fachangestellten (MFA) hat die Impfkampagne in den Praxen gestemmt und kaum Anerkennung dafür erfahren. Der Fokus auf die Intensivstationen war in bestimmten Phasen der Pandemie richtig, aber andere Bereiche gerieten aus dem Blick. Ähnlich wie in der Pflege brauchen wir nun ein breites Bündnis für die Besserstellung der medizinischen Fachangestellten in den Praxen. Hier steuern wir ansonsten auf einen eklatanten Mangel zu.
Linus Görg: Die Corona-Pandemie hat uns anschaulich vor Augen geführt, wie sehr wir das Personal im Gesundheitswesen brauchen. Es hat eine Weile gedauert, bis der Unterschied zwischen „Betten“ und „betreibbaren Betten“ zu allen durchgesickert ist. Nun gilt es, die Menschen, die wir noch im System haben, zu halten und ihre Arbeitsbedingungen trotz der schwierigen Lage zu verbessern. Gleichzeitig müssen wir neue Berufsbilder und andere Versorgungsformen ermöglichen. Den Lokalen Gesundheitszentren, dem Gesundheitskiosk, aber auch solchen Modellen wie der Schulgesundheitspflege kommt in Zukunft immer größere Bedeutung zu. Pflege findet nicht nur im Krankenhaus statt, sondern kann auch in Prävention und Beratung viel leisten und somit die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte entlasten und eine ganzheitlichere Patientenversorgung ermöglichen.
3.) Bis zur Bürgerschaftswahl verbleiben knapp zweieinhalb Jahre. Welche drei Ziele möchten Sie in dieser Zeit im Bereich Gesundheitspolitik noch für Hamburg erreichen?
Gudrun Schitteck: Wir sind bereits dabei, den öffentlichen Gesundheitsdienst personell zu verstärken. Mir ist es dabei besonders wichtig, dass die Stellen für die Kinder- und Jugendgesundheit ausgebaut werden, so dass wirklich jedes Kind eine Schuleingangsuntersuchung erhält und zahnärztlich untersucht wird. Auch die Mütterberatung in den Gesundheitsämtern soll ausgebaut werden. Ich möchte die Hebammenversorgung nach der Geburt gezielt dort verbessern, wo sie häufig fehlt. Das betrifft beispielsweise die Stadtteile südlich der Elbe. Wir schauen sehr genau auf die Neuerungen rund um den straffreien Schwangerschaftsabbruch, die im Bund entschieden werden. Hier müssen wir darauf achten, dass die Beratungskapazitäten für Schwangere auch in Zukunft in Hamburg stimmen. Hamburg sollte eine starke Stimme dafür sein, dass die Finanzierung der Geburtshilfe und Pädiatrie im Krankenhaus nicht mehr den Fallpauschalen unterliegt. Und ich setze mich für die Widerspruchslösung bei der Organspende ein, damit mehr Patienten lebensrettende Organe auch in Hamburg erhalten können.
Linus Görg: Die Professionalisierung des Pflegeberufs liegt mir auch weiterhin am Herzen. Dazu gehören Weiterbildungsmöglichkeiten und passende Studiengänge. Da sind wir in Hamburg an der HAW schon ganz gut aufgestellt. Im Bereich der Pflegepädagogik gibt es allerdings Nachbesserungsbedarf, das müssen wir ändern.
Durch viele Gespräche und auch Besuche vor Ort weiß ich, dass Community Health Nurses für die Stadtteile in denen sie bereits tätig sind, ein großer Gewinn sind. In Hamburg sind das Billstedt/Horn und die Veddel. Ich möchte darauf hinarbeiten, dass in nicht so ferner Zukunft alle Hamburgerinnen und Hamburger Zugang zu einer Community Health Nurse haben und dass diese selbstständig heilkundliche Tätigkeiten ausüben dürfen.
Unsere Arbeit in der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode hat gezeigt, dass uns an vielen Stellen im Gesundheitswesen die Zahlen fehlen, die wir brauchen, um vorbereitet in die Zukunft zu blicken. Altersstruktur der Beschäftigten, absolvierte Weiterbildungen, Berufsaus- und wiedereinstiege, Ausbildungsabbrüche und die Gründe dafür können noch mehr Aufschluss darüber geben, wie die aktuelle Versorgungslage ist und wie sie sich in der Zukunft entwickeln wird. Auch dies ist ein Thema, mit dem ich mich schon länger beschäftige und für das ich Lösungen finden will.
Gudrun Schittek arbeitet neben ihrem Abgeordnetenmandat als niedergelassene Frauenärztin in eigener Praxis.
Linus Görg ist als examinierter Pflegefachmann im Anästhesie-Funktionsdienst am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf tätig.