Wie können wir die Versorgung der Zukunft angesichts der Herausforderungen der Zukunft gestalten? Diese Frage stand im Mittelpunkt unseres Norddeutschen Dialogs am 27. Juni. Zehn Mal war das Netzwerktreffen zuvor als Gemeinschaftsproduktion der Landesvertretungen Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein in Lübeck veranstaltet worden, dieses Mal fand er nun erstmals als reine Hamburger Veranstaltung statt.
Das Gesundheitssystem ist weltweit gesehen durch seine CO2-Emissionen ein erheblicher Treiber der Klimaveränderung. Die negativen Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit fallen gleichzeitig als Kosten im System an – und das bei einer finanziell bereits extrem angespannten Lage. In ihrem Keynote-Vortrag skizzierte Dorothea Baltruks vom Centre for Planetary Health Policy (CPHP--Centre for Planetary Health Policy) die aktuelle Lage: Pflegenotstand, eine Fehl-Inanspruchnahme der Notfallversorgung, der demografische Wandel und Finanzierungslücken – dem Gesundheitssystem stünden notwendige Veränderungen bevor. „Die Versorgung, die ich nicht brauche, ist die Nachhaltigste“, so Baltruks. Prävention sei dementsprechend ein wirksamer Schlüssel zu einer zukunftsfähigen Versorgung. Baltruks kritisierte zudem, dass trotz ambitionierter Klimaziele noch immer kein Gesamtkonzept für ein klimaneutrales Gesundheitswesen existiere: „Niemand schafft das alleine.“
Dass Zusammenarbeit zwischen den Akteuren unerlässlich ist, bestätigten im Anschluss auch die Teilnehmer der Podiumsdiskussion. Moderiert von Abendblatt-Redakteur Christoph Rybarczyk, diskutierten Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer, Prof. Dr. Christian Gerloff (Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf), Dr. Claudia Haupt (Landesverbandsvorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte e.V.) und Barmer-Landesgeschäftsführerin Dr. Susanne Klein.
„Additionsdilemma“ lähmt
„Versorgung wird sich verändern“, sagte die Senatorin. „Wir leisten uns zu viele Ineffizienzen.“ Entsprechend seien große Gesundheitsreformen der Weg, der zu gehen sei. Beispielsweise seien sich im Grundgedanken der Krankenhausreform alle Akteure einig, „nur der Weg dahin ist strittig“. Die Politik befinde sich in einem „Additionsdilemma“. Bei einer Lösungssuche werde immer etwas hinzugefügt, aber nie etwas weggenommen. Das sei angesichts von Fachkräftemangel und finanzieller Spannung nicht zukunftsfähig und müsse geändert werden.
Dr. Claudia Haupt bestätigte: Eine immer älter werdende Bevölkerung zu versorgen, sei eine finanzielle wie personelle Herausforderung. Sie habe gute Erfahrungen mit digitaler Unterstützung gemacht. Eine Testphase mit der Videosprechstunde habe gezeigt, dass anschließend ein Großteil der Patienten nicht mehr in die Praxis kommen musste.
Auch Prof. Dr. Christian Gerloff sieht in der stärkeren Digitalisierung ein gutes Instrument, auf die Herausforderungen der Zukunft zu reagieren. Der Einsatz künstlicher Intelligenz könne dem System Erleichterung bringen. „Es braucht neue Ideen und Konzepte“, so Gerloff.
Herausforderungen als Ansatz für kreative Ideen
Wie so eine neue Idee aussehen kann, präsentierte beim Norddeutschen Dialog Nora Stroetzel vom Start-Up „Praxis ohne Plastik“. Das junge Unternehmen bietet zum einen Alternativen zu Plastikprodukten wie beispielsweise wiederverwendbare Mundspülbecher für Zahnarztpraxen. Zum anderen gehören Schulungen für das Praxispersonal oder das Begleiten bei der Umstellung des Praxisalltags zum Konzept des Start-Ups.
„Wir müssen den Wirtschaftlichkeitsbegriff ganz neu definieren. Das Thema Nachhaltigkeit gehört in künftige Berechnungen mit hinein“, forderte Barmer-Landeschefin Klein. Große Herausforderungen wie die Klimaveränderung oder die demographische Entwicklung seien auch immer ein Ansatz für kreative Ideen. Kleins Fazit: „Alle Akteure müssen gemeinsam handeln.“ Das Gesundheitssystem müsse als Gesamtkonzept gedacht und zukunftsfest gemacht werden.