Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten. Doch über so manche aktuelle Krise sind die Themen Klimawandel und Erderhitzung zuletzt in den Hintergrund gerückt. Zumindest ist aus Expertensicht der „Point of no Return“, also der Moment, an dem der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten ist, noch nicht erreicht. Um etwas zu tun, muss sich Grundlegendes ändern – in der Gesellschaft, bei der Energieversorgung, der Infrastruktur und der Landnutzung.
Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG) hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise aufzuklären. Gleichzeitig möchte KLUG Beschäftigte in Gesundheitsberufen befähigen, aktiv an der Transformation hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft mitzuarbeiten. Warum es nicht ausreicht, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen, erläutert Hannah Otto, Projektleiterin mit Schwerpunkt auf Prävention und Planetary Health bei KLUG im Gespräch.
Der Sommer 2024 war hinsichtlich der Temperaturen kein neuer Rekordsommer, aber doch wieder zu warm. Ist das noch ein Wetter- oder schon ein Klimaphänomen?
Auf jeden Fall ist das ein Klimaphänomen: Global gesehen ist das zurückliegende Jahr das heißeste seit Aufzeichnung. Jeder Monat war für sich genommen der heißeste, auch wenn wir es in Deutschland nicht so sehr in Form starker Hitzewellen gespürt haben. Normal war es hier trotzdem nicht. Wir hatten Überschwemmungen. Gehäufte Extremwetterereignisse hängen auch mit der Klimakrise zusammen. Und die Forschung ist eindeutig, dass weitere Hitzesommer zu erwarten sind und wir uns darauf einstellen müssen.
Würden Sie sagen ‚Unser Planet ist krank?‘
Ja! Das ist eine unserer Hauptbotschaften. Planet Erde ist krank. Und damit werden auch wir kränker. Dass unsere Erdsysteme aus dem Gleichgewicht geraten, ist für uns eine echte Gefahr. Deshalb machen wir uns für Prävention stark. Denn es ist besser, nicht zu warten, bis noch mehr Krankheitsfolgen auftreten. Es gilt, sowohl die schon vorhandene Krankheit [der Erde, Anm. d. Red.] zu behandeln, also uns anzupassen an Klima- und Umweltveränderungen, als auch Schlimmeres zu verhindern, also Klima- und Umweltschutz zu betreiben. Wir spüren schon jetzt die gesundheitlichen Folgen, also müssen wir Maßnahmen ergreifen, wie Hitzeschutz und die Behandlung von Krankheiten, die durch Klima- und Umweltkrisen häufiger werden oder neu auftreten. Damit schwächen wir die Folgen ab und schützen unsere Gesundheit vor Hitze, Überflutung und Infektionskrankheiten. Diese Anpassung an veränderte Bedingungen nennen wir Adaptation. Wir müssen darüber hinaus aufhören, das Problem noch schlimmer zu machen. Wir müssen ernsthaft Klima- und Umweltschutz betreiben, indem wir weniger Treibhausgase ausstoßen und unsere Umwelt nicht weiter verschmutzen. Das nennen wir Mitigation. Das kann man sich wie ein volles Waschbecken vorstellen. Der Wasserhahn ist aufgedreht, das Wasser läuft über. Anpassung – Adaptation – ist es, das übergelaufene Wasser aufzuwischen. Schutz – Mitigation – meint, dass wir den Wasserhahn abdrehen. Und damit ist Mitigation entscheidend. Wir können uns nämlich nicht beliebig weit anpassen.
Was bedeutet konkret ‚Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten‘?
Wir sind in unseren Lebensgrundlagen abhängig von den Erdsystemen und der uns umgebenden Umwelt. Wir können nicht unendlich Ressourcen verbrauchen, ohne dass das auf uns zurückschlägt. Wir brauchen gesunde, saubere Luft zum Atmen, wir brauchen Temperaturen, in denen wir erfüllt leben können, wir brauchen saubere Böden als Grundlage. Und das vergessen wir in unserer hoch-technologisierten und modernen Welt manchmal: Wir sind ein Teil des Ökosystems und essentiell darauf angewiesen, dieses Ökosystem als Grundlage zu haben und damit im Gleichgewicht zu sein.
Die Weltgemeinschaft hat sich auf 1,5 Grad als maximalen weltweiten Temperaturanstieg verständigt, um eine Klimakrise zu verhindern – reicht das aus?
Ja, wenn es eingehalten würde. Allerdings sind wir nicht auf dem Pfad dahin. Und dass die politischen Versprechen eingehalten werden und weitere gemacht werden, ist wichtig. Wir in Deutschland sind weit davon entfernt, unsere politischen Ziele einzuhalten. Das 1,5 Grad-Ziel wird Deutschland verfehlen und damit die Vorteile der Transformation für die Gesundheit von uns allen. Das dürfen wir nicht passieren lassen.
Was tun wir noch nicht genug?
Es fehlen Handlungen auf vielen Ebenen, es fehlt die Bereitschaft, wirklich etwas zu verändern. Dazu sind Rahmenbedingungen sehr wichtig. Ich als einzelner Mensch kann mich beispielsweise dafür entscheiden, mich pflanzenbasiert zu ernähren. Das ist ein wichtiger Beitrag. Viel wichtiger wäre es, wenn wir Strukturen ändern, zum Beispiel, dass eine gesündere Ernährung günstiger ist: Dass, was gesund ist für mich und den Planeten, auch die einfachere Entscheidung ist. Genauso wie die Verkehrsinfrastruktur die richtige sein muss. ÖPNV, Rad- und Fußverkehr müssen zugänglicher sein. Da müssen alle gesellschaftlichen Akteure zusammenarbeiten, damit wir das gemeinsam hinbekommen und unsere individuelle Verantwortung wie auch unsere Verantwortung als großes System annehmen.
Sie weisen auf das Problem hin, auch andere Initiativen tun das. Und doch ist der Mensch offenbar träge, obwohl es ihm ans eigene Fell geht. Warum?
Es ist sicher ein Anteil Bequemlichkeit, wir scheuen Veränderungen. Wichtig ist, dass wir verstehen: Wenn wir nichts tun, werden die Veränderungen sehr viel drastischer und extrem bedrohlich für uns sein. Wenn wir etwas tun, können wir die Veränderungen gestalten und zu einer Chance machen, zu einem Wandel für etwas Besseres.
Lassen Sie gelten, wenn jemand fragt, wie man aus dem kleinen Deutschland das Weltklima retten kann?
Deutschland trägt wahnsinnig viel zur Klimakatastrophe bei. Historisch gesehen sind wir sechstgrößter Emittent weltweit. Unsere Verantwortung ist klar und damit auch unser Potenzial, zum Schutz beizutragen. Wir spüren die Folgen der Klimakrise hier und jetzt: Es gibt Hitzetote, Menschen sterben durch Luftverschmutzung usw. Allerdings trifft es andere Gesellschaften viel stärker, weil sie einerseits stärker betroffen sind und andererseits die Schutzmöglichkeiten unterschiedlich verteilt sind. Die globale Ungerechtigkeit wird dadurch verschärft. Bevölkerungen, die am wenigsten zum Problem beitragen, sind oft am härtesten betroffen. Aber auch wenn wir nur auf uns gucken: Die unmittelbaren gesundheitlichen Vorteile innerhalb von Deutschland sind allein volkswirtschaftlich betrachtet Grund genug für die gesellschaftliche Transformation. Die gesundheitlichen Vorteile, die wir durch eine Lebensweise innerhalb planetarer Belastungsgrenzen erzielen können, bezahlen quasi die Transformation. Das ist eine Win-Win-Situation. Wir und die kommenden Generationen leben länger und gesünder – und das Gesundheitssystem ist weniger belastet.
KLUG kooperiert im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention mit der Barmer. Was sind Ihre Erwartungen und Ziele dieser Zusammenarbeit?
Zu lange wurden Gesundheit und Klimaschutz unabhängig voneinander betrachtet. Wir denken Prävention und Gesundheitsförderung zusammen mit Klima- und Umweltschutz, also Planetary Health. Es geht um den transdisziplinären und umfassenden Blick auf Gesundheit. Krankenkassen, die wie die Barmer als Akteurinnen zur Prävention und Gesundheitsförderung beitragen, sind wichtig, um die gesellschaftliche Transformation voranzutreiben. Und das ist nur ein Anfang, denn Klima- und Umweltschutz wird in den kommenden Jahren zu einem zentralen Thema der Prävention werden.
In der Klimadiskussion ist oft vom ‚Fußabdruck‘ die Rede, Sie bringen nun auch den ‚Handabdruck‘ ins Spiel. Aber zunächst: Wie kann ich meinen Fußabdruck verkleinern?
Gemeint ist ja, was verbrauche ich, und wie große Spuren hinterlässt das. Welchen CO2-Verbrauch habe ich durch meine Lebensweise, wie wohne und heize ich, wie bewege ich mich fort, wie ernähre ich mich? Das sind wichtige Faktoren, die zum Fußabdruck beitragen. Es ist sinnvoll, diesen zu reduzieren. Aber da sind wir eingeschränkt. Der ‚Handabdruck‘ meint, dass wir alle positiv Grundlegenderes verändern können, um allen Menschen zu ermöglichen, ihren Fußabdruck zu verringern.
Fahrrad statt Auto, vegetarische Kost statt Fleisch – für viele klingt das nach verordnetem Verzicht, wodurch sich eine Abwehrhaltung aufbaut. Wie lässt sich das – auch mit Blick auf Gesundheitsförderung – ins Positive drehen?
Jeder einzelne Mensch kann eine Menge gewinnen. Wenn wir uns mehr bewegen, sind wir glücklicher. Es ist auch für die psychische Gesundheit wichtig, wir sind gesünder. Wir fühlen uns in unseren Körpern wohler. Bewegung ist Prävention! Auch Ernährung ist Prävention. Es ist kein Verzicht, sich gesünder zu ernähren, sondern es ist bunte Vielfalt auf dem Teller. Wir müssen weg vom Verzichtsnarrativ. Stattdessen: Wir haben viel zu gewinnen! Wir gewinnen an Freiheit, zum Beispiel wenn wir nicht verschmutzte Luft einatmen müssen und nicht ungesundes Essen als das einfachste und günstigste angeboten wird. Das funktioniert natürlich nur, wenn es den Zugang zu all dem gibt. Wenn ich in meiner Kantine nur das Schnitzel angeboten bekomme, esse ich auch das Schnitzel.
Aber das wird nicht reichen, um den Klimawandel zu stoppen?!
Wenn wir nicht umstellen, müssen wir am Ende auf viel mehr verzichten. Verzicht und Verlust werden wir erleben, wenn wir keinen Klima- und Umweltschutz betreiben. Und nein, wenn alle nur individuell etwas tun, wird das nicht reichen. Das ist es auch, was wir aus der Prävention in anderen Bereichen schon seit Jahrzehnten wissen. Verhaltensprävention ist begrenzt, wir müssen an die Verhältnisse. Hier kommt der Handabdruck ins Spiel: Wir bewirken noch mehr, wenn wir nicht nur unsere eigene Ernährungsweise ändern, sondern uns zum Beispiel dafür einsetzen, dass die Kantine pflanzenbasierte Ernährung anbietet. Es schließt nicht einmal aus, dass es dort nicht auch mal Fleisch gibt. Nur sollte die gesündere Wahl die naheliegende sein.
Anders als der Fußabdruck, den es klein zu halten gilt, soll der Handabdruck wachsen. Was sind weitere Maßnahmen?
Die gute Nachricht ist: Wir können alle unseren Handabdruck vergrößern, in jeder Rolle, auf jeder Ebene, die wir haben, ob als Eltern, Vereinsmitglieder, Angestellte oder in Leitungspositionen – man setzt sich für gesellschaftlichen Wandel ein. Zum Beispiel kann ich mich für einen lokalen Radentscheid einsetzen, ihn sogar initiieren. Ich kann wählen gehen, Petitionen mittragen. Ich kann mit Vorgesetzten sprechen und mich beispielsweise für eine Dusche im Unternehmen einsetzen, um mich dort nach der Fahrt zur Arbeit mit dem Fahrrad frisch machen zu können. Mit allem was an die Strukturen rangeht und Veränderungen nicht nur für mich mit sich bringt, sondern für alle anderen auch, vergrößert sich der Hebel vom Individuum zum Allgemeineren – und auch meine Selbstwirksamkeit. Wir haben die Strukturen als Menschheit geschaffen, wir können sie auch ändern. Wichtig ist, dass das Engagement auch Freude bringt. Das kann alleine funktionieren, den meisten Menschen bringt es mehr Freude, sich dafür mit anderen zusammenzuschließen.
Die Formel ist also 'Fußabdruck plus Handabdruck in Kombination' sorgt für Gesunde Menschen auf einem gesunden Planeten?
Gemeinsam aktiv werden in allen Bereichen, auf allen Ebenen. An Gesundheit, Sicherheit und echter Freiheit dazu gewinnen, statt Zwängen der Ressourcenverknappung unterworfen zu sein. Fragen Sie sich, was kann ich beitragen? Und machen Sie mit, es macht Spaß!