Seit Jahresbeginn ist Prof. Dr. Christian Gerloff (59) Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKE und damit Chef von mehr als 14.900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Folgen der Corona-Pandemie, der immer weiter um sich greifende Fachkräftemangel und explodierende Energiepreise in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind nur einige Herausforderungen, denen er sich seit seinem Amtsantritt stellen muss. Hinzu kommen anstehende Veränderungen durch Digitalisierung und KI sowie nicht zu vergessen: Die Krankenhausreform. Erfahren Sie im ersten Teil des Interviews, mit welchen Maßnahmen Prof. Gerloff knapper werdenden Ressourcen begegnet.
Herr Prof. Gerloff, Sie sind nunmehr ein halbes Jahr Ärztlicher Direktor des UKE. Anders ausgedrückt: ein Zehntel Ihrer Amtszeit ist rum – welche Zwischenbilanz ziehen Sie bis hierher?
Es war ein toller Start. Das UKE ist voller wunderbarer engagierter Menschen, und ich habe in den ersten 100 Tagen 100 Strategiegespräche geführt. Die Energie und die Potenziale sind überall spürbar. Die größte Aufgabe ist es, dies für die Weiterentwicklung des UKE zu nutzen. Ob im Sinne innovativer Prozesse in der Patientenversorgung, im Sinne der digitalen Transformation, der baulichen Campusentwicklung oder auch im Hinblick auf die bestmöglichen Arbeitsbedingungen für unsere Mitarbeitenden.
Was war – oder ist – seit Amtsantritt Ihre größte Herausforderung?
Übergeordnet geht es darum, den Fokus nach der harten Corona-Zeit wieder mehr auf das zu lenken, was hier am UKE alles möglich ist. Auf Innovation, Aufbruchsstimmung, auf 'Wir machen etwas Neues!'. Also die Energie unserer Organisation in Richtung Zukunftsstrategie zu bewegen. Weg von Einschränkungen durch fehlende Ressourcen.
Operativ wollen wir das Kernprojekt unserer digitalen Transformation noch effizienter strukturieren und weiter vorantreiben. Das läuft unter dem Arbeitstitel 'nextKAS--nächstes klinisches Arbeitssystem', was für 'nächstes klinisches Arbeitssystem' steht. Das ist ein Mammutprogramnm. Das kann kein Anbieter, der auf dem Markt ist, mal eben so abbilden.
Nach mehr als drei Jahren gilt die Corona-Pandemie in Deutschland seit Anfang April als beendet. Ist nun auch im UKE wieder alles wie früher?
Nein, auf keinen Fall. Zwar waren es wirkliche Meilensteine, als wir endlich das Covid-Test-Zelt abbauen konnten und die allgemeine Maskenpflicht fiel. Aber wir sind noch ein gutes Stück weg von 'normal'. Wir haben auch nach dem offiziellen 'Pandemie-Ende' noch Patientinnen und Patienten mit SARS-CoV-2. Das erfordert entsprechende Isolationsmaßnahmen und Tests. Wir haben immer noch gesperrte Betten, weil Personal ausfällt; einerseits, weil unsere Mitarbeitenden selbst mit SARS-CoV-2 infiziert sind, andererseits sind die Mitarbeitenden erschöpft. Die Pandemie hat Spuren hinterlassen – bei allen Mitarbeitenden. Wie alle großen Unternehmen sind wir gerade dabei, den besten Hybrid aus Arbeit in Präsenz sowie mobilem Arbeiten und Home-Office zu finden, zumindest in den Bereichen, in denen dies in einem Klinikum möglich ist.
Bereiten Ihnen der Fachkräftemangel (Ärzte, Pflegepersonal) oder die hohen Energiekosten mehr Kopfzerbrechen?
Langfristig ist es der Kampf um die Besten. Nicht nur bei Pflegenden oder Ärztinnen und Ärzten, sondern auch in anderen Berufen an unserem Klinikum, von Gastronomie bis Handwerk und IT. Und die zu begeistern ist sicherlich das Nadelöhr. Es ist uns aber gelungen, durch die Pandemie hindurch Arbeitskräfte aufzubauen. Das UKE hat etwa 14.900 Mitarbeitende. Wir konnten sogar in der Pflege und in einem so heiß umkämpften Markt wie der IT deutlich Stellen aufbauen. Gleichzeitig werden unsere Leistungen immer stärker nachgefragt. Vergangenes Jahr hatten wir etwa 543.000 Patientinnen und Patienten am UKE – mit steigender Tendenz. Bald beziehen wir zwei klinische Neubauten und ein neues Forschungsgebäude. Wir brauchen also noch deutlich mehr Personal!
Beim Punkt Energie steckt die gesamte deutsche Krankenhauslandschaft in einem Dilemma. Die gestiegenen Energiekosten, aber auch die gestiegenen Sachmittelkosten auf der einen Seite, die gleich gebliebenen Zuwendungen auf der anderen Seite – da muss man kein Mathe-Genie sein, um zu erkennen, dass da es da eine Lücke gibt. Elf Prozent höhere Kosten, während die Vergütung nur um vier Prozent steigt – da fehlt uns zwingend Geld. Und Universitätsmedizin – das kommt noch hinzu – arbeitet nicht renditeorientiert. Unser Auftrag lautet Spitzenmedizin, hochspezialisierte Leistungen, Innovationen schon heute den Patientinnen und Patienten zur Verfügung zu stellen, selbst neue Therapien zu entwickeln, Top-Ausbildung zu gewährleisten und als zentraler Netzwerkknoten die Versorgung für die ganze Region voranbringen. Das kostet – und deshalb war unser wirtschaftliches Ziel immer die 'schwarze Null'. Natürlich dürfen keine Mittel aus der Versorgung in die Wissenschaft fließen – und umgekehrt. Da achten wir drauf, und da achten auch die Krankenkassen drauf. Aber wenn man die Mittel für die Wissenschaft streichen würde, käme Innovation über die Uni-Kliniken nie in der Medizin an. Da müssen wir eine Lösung finden. Man könnte uns große Häuser entlasten, indem Patienten, nachdem sie hier behandelt wurden, in kleineren Krankenhäusern wohnortnah weiterbehandelt werden. Das unterstützt Patienten und Angehörige gleichermaßen und gäbe uns die Möglichkeit, uns auf unsere Kernaufgaben zu konzentrieren: Zum Beispiel Stammzellentransplantation oder zellbasierte Tumortherapie. Das können wir momentan nur begrenzt durchführen, weil wir Engpässe haben.
Mit welchen drei Maßnahmen begegnen Sie dem?
Drei Maßnahmen wären Understatement. Wir haben umfassende, offensive Maßnahmenpakete. Dabei stehen die Gewinnung und Bindung von Mitarbeitenden im Zentrum. Wir haben uns früh damit beschäftigt, wie wir unsere Mitarbeitenden mehr einbinden und von ihnen erfahren, was sie brauchen und sich wünschen – und das dann auch bestmöglich umzusetzen. Das hat sicher viel dazu beigetragen, dass wir derzeit besser als viele andere dastehen. Das A und O ist es, wenn man in einem so großen Konzern das Gefühl hat, gesehen zu werden. Ich selbst versuche, sehr präsent zu sein in allen Bereichen auf dem Campus. Dort zu sein, wo die Mitarbeitenden sind, und vor Ort zu hören, wo der Schuh drückt. Das ist Wertschätzung, das zeigt, dass wir mit unseren Angestellten noch viel vorhaben. Wir versuchen die bestmöglichen Arbeitsbedingungen für sie zu schaffen. Dazu kommen aktuell zahlreiche Maßnahmen wie 'Onboarding-Stationen' für Pflegefachpersonen aus anderen Ländern und vieles andere mehr, von innovativen Mobilitätskonzepten bis zu weitreichenden Karriereentwicklungsmaßnahmen.
Und wir optimieren Prozesse, machen sie transparenter und effizienter. Ressourcenknappheit ist auch immer eine Gelegenheit, Prozesse neu zu denken. Das betrifft zum Beispiel die gesamte Krankenversorgung, gerade im Hinblick auf Ambulantisierung, Automatisierung, Digitalisierung, Robotisierung. Dort gibt es Effizienzreserven. Für uns zählt maximale Qualität, so erwarten wir uns von der Fertigstellung der neuen Gebäude einen weiteren Qualitätsschub. Wir investieren, auch wenn die Mittel dafür derzeit nicht gerade üppig vorhanden sind.
Wie lassen sich mehr Menschen dafür gewinnen, im medizinischen Bereich zu arbeiten?
Es hat jeder verstanden, dass wir medizinische Versorgung und Pflege auf einem hohen Niveau brauchen. Das UKE ist ein wundervoller Arbeitsplatz. Schon seit 2006 mein Lieblingsarbeitsplatz. Und was wir tun, ist zweifellos sinnvoll. Das müssen die Menschen spüren, die sich bei uns vorstellen. Der Stellenwert der Pflegekraft in der Gesellschaft ist heute leider ein anderer als in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals war es ein 'Hut ab, du arbeitest in der Pflege'. Heute werden Pflegende manchmal fast bemitleidet. Aber in der Pandemie hat das Bewusstsein der Menschen für das Thema und die Wertschätzung für den Job wieder zugenommen. Die Menschen sehen wieder, wie sinnstiftend und wichtig dieser Job ist. Aber Wertschätzung allein reicht nicht aus, es braucht eine auskömmliche Vergütung und langfristige Perspektiven ein. Dafür setzen wir uns ein, wünschen uns – als einer der größten Arbeitgeber – aber unbedingt mehr bezahlbaren Wohnraum in Hamburg.
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Die Fortsetzung des Interviews lesen Sie in Ausgabe 3/2023 der STANDORTinfo Hamburg, die voraussichtlich Ende September erscheint.