"Mein Herz lacht e.V." ist eine Selbsthilfe-Community für Eltern von Kindern, die eine körperliche, seelische oder geistige Beeinträchtigung haben. Im Fokus stehen nicht die Kinder, sondern die Mütter und Väter mit ihren Sorgen und Fragen. Gegründet wurde der Verein im Jahr 2019 von Gail McCutcheon. Vor 16 Jahren kam ihr Sohn mit einem komplexen Herzfehler auf die Welt. Neben der ständigen Angst um ihr Kind machte ihr vor allem die Einsamkeit zu schaffen. Heute unterstützt und vernetzt sie Eltern, denen es ähnlich geht. Anderen zu helfen war ihr Weg raus aus der eigenen Hilflosigkeit.
"Gefühlt lebte ich seit der Geburt meines Sohnes auf einem anderen Planeten. Niemand verstand meine Sorgen. Alle fragten, wie es meinem Kind geht. Aber wie es mir ging, fragte niemand", erzählt Gail McCutcheon. Während sich andere Mütter Gedanken über Windeln und Babybrei machten, bangte sie bei drei Herzoperationen um das Leben ihres Sohnes. Wegen der großen Belastung durfte er nicht weinen, weshalb die Rutesheimerin bei jedem Laut am Bett des Jungen stand. 20 Mal pro Nacht, wenn es sein musste. Ihr Sohn durfte drei Monate vor und nach der Operation nicht in die Nähe anderer Kinder kommen. Die Infektionsgefahr war zu groß. Gail McCutcheon mied deshalb alles, was für andere Mütter zum Alltag gehörte: Babyschwimmen, Kindergeburtstage, Treffen auf dem Spielplatz. Andere Eltern verstanden sie nicht und die wenigen Unterhaltungen mit Müttern zeigten ihr, wie anders ihre Themen waren. Ihr Mann war beruflich viel im Ausland, die Familie der gebürtigen Britin lebt weit entfernt. "Irgendwann fühlte ich mich sozial isoliert. Ich war seelisch und körperlich am Ende."
Laufend zurück ins Leben
Es dauerte sechs Jahre, sechs Monate und 18 Tage, bis das Herz von Gail McCutcheon wieder lachte. Sechs Jahre, sechs Monate und 18 Tage nach der Geburt ihres Sohnes überquerte sie die Ziellinie beim New York Marathon. "Ich tat alles für meinen Sohn, aber nichts für mich. Bis ich mit dem Joggen anfing. Durch das Laufen habe ich wieder zu mir selbst gefunden." Doch sie lief nicht einfach. Sie sammelte Kilometer und Spenden für die Nachsorgeklinik in Tannheim, die sich um Familien mit chronisch kranken Kindern kümmert. "Ich habe gemerkt, dass es mir hilft, wenn ich anderen helfe." Mehr als 60.000 Euro kamen so zusammen. Dann lernt sie durch Zufall die Mutter eines krebskranken Kindes kennen und sie merkte, dass es Eltern gibt, denen es genauso geht wie ihr. Sie findet heraus, dass allein in ihrem Landkreis Böblingen rund 1.500 Familien mit "besonderen" Kindern leben. Gail McCutcheon fängt an, diese Eltern zu vernetzen. Gleichzeitig erlebte sie, wie schwer sich klassische Selbsthilfevereine mit der Digitalisierung tun. Also beschließt sie, die Selbsthilfe fit für den digitalen Wandel zu machen. Ihre allererste Projektförderung erhält sie von der Barmer. Mit dem Geld baut sie ihre Webseite auf. Mit ihrer Idee von einer vernetzten Selbsthilfe-Community wendet sie sich an das Social Impact Lab in Stuttgart und wird als Stipendiatin ins Programm aufgenommen. Acht Monate lang wird sie unterstützt, bis zur Gründung ihres gemeinnützigen Vereins "Mein Herz lacht" im Januar 2019.
Der Verein setzt von Anfang an auf die Digitalisierung
"Mein Herz lacht" ruht auf einer analogen und einer digitalen Säule. Über lokale Gruppen bringt der Verein die Eltern vor Ort zusammen. 15 dieser Gruppen gibt es in Baden-Württemberg. Gleichzeitig werden die 250 Vereinsmitglieder digital vernetzt und das Wissen der Community geteilt. Es gibt Online-Seminare mit Therapeuten und Experten, digitale Stammtische und Podcasts, in denen betroffene Eltern ihre Geschichte erzählen. "Von unseren digitalen Angeboten profitieren vor allem diejenigen, bei denen es noch keine Ortsgruppe gibt. Und in der Pandemie hat es sich natürlich enorm bezahlt gemacht, dass wir von Anfang an auf die Digitalisierung gesetzt haben." Da die Belastung während der Pandemie für viele Mütter und Väter gewachsen ist, hat Gail McCutcheon eine Notfallberatung durch professionelle Coaches organisiert. Und sie stellte eine ehemalige Kinderkrankenschwester ein, welche die Vereinsmitglieder telefonisch berät. Etwa bei Fragen zu Fördermöglichkeiten, Pflegestufen oder Schulbegleitern. Aber auch Krisengespräche oder Recherchen zu bestimmten Themen werden von "Mein Herz lacht" übernommen.
Großer Zuspruch, große Dankbarkeit, große Ziele
Im Unterschied zu klassischen Selbsthilfegruppen ist "Mein Herz lacht" offen für alle Eltern. Egal, ob deren Kind im Rollstuhl sitzt, unter einer chronischen Krankheit leidet oder entwicklungsverzögert ist. Denn so unterschiedlich die Kinder auch sein mögen, die Probleme der Eltern sind oft dieselben. Der Austausch tue ihnen gut, sagt Gail McCutcheon, und die Dankbarkeit, die sie für ihr Engagement erhalte, sei groß. Ihre Arbeit bleibt nicht unbeobachtet. Beim Wirkungsfonds, einem Wettbewerb für Social Startups, belegte sie mit "Mein Herz lacht" Platz drei. Und sie wurde beim Hackathon "CAREhacktCORONA" und von der Stiftung Bürgermut ausgezeichnet. Für die Zukunft hat sich die 46-Jährige noch einiges vorgenommen. Irgendwann soll es in jedem Stadt- und Landkreis eine Elterngruppe vor Ort geben. Und alle Mitglieder von "Mein Herz lacht" sollen digital vernetzt sein, von Flensburg bis nach Oberstdorf. "Auf diese Weise geht kein Wissen verloren und wir nehmen alle mit. Die erfahrenen Eltern und die klassische Selbsthilfe ebenso wie die Jüngeren, die medienaffiner sind. Damit die Eltern besonderer Kinder ihr Lachen nicht verlernen." Übrigens geht nicht nur die Vereinsgründung, sondern auch dessen Namen auf den inzwischen 16-jährigen Sohn von Gail McCutcheon zurück. Als er als kleiner Junge durch die Nachsorgeklinik in Tannheimlief, sagte er zu ihr: "Mama, mein Herz lacht, wenn ich laufe."