Düsseldorf, 29. September 2022 – Während Männer bis zu mehr als vierfach höhere Fehlzeiten aufgrund von Erkrankungen der Herzkranzgefäße oder Handverletzungen aufweisen, hatten Frauen zum Teil rund 60 Prozent mehr Fehltage wegen psychischer Störungen. Das geht aus dem aktuellen Gesundheitsreport der Barmer hervor, der sich im Schwerpunkt mit der Gesundheit von Frauen und Männern befasst. „Es gibt vielfältige geschlechtsspezifische Unterschiede, die für die medizinische Versorgung von Frauen und Männern relevant sind, denn sie sind unterschiedlich krank. Infolgedessen müssen sie auch unterschiedlich behandelt oder therapiert werden. Doch das passiert leider noch viel zu wenig. Wir orientieren uns in der Medizin generell zu stark an einem Durchschnittsmenschen, den es so nicht gibt“, sagt Heiner Beckmann, Landesgeschäftsführer der Barmer in Nordrhein-Westfalen.
Geschlechts- und berufstypische Erkrankungen
Laut dem Gesundheitsreport scheinen insbesondere Handverletzungen bei jüngeren Männern „geschlechtstypisch“ zu sein, was auch mit einer häufigeren Tätigkeit von Männern im Handwerk zusammenhängen könnte. Frauen haben dagegen 15 Prozent mehr Fehltage aufgrund von Erkältungskrankheiten. Hierzu könnte beigetragen haben, dass Frauen häufiger als Männer in Berufen mit engerem Kontakt zu Menschen, beispielsweise in der Kranken- und Altenpflege sowie der Kinderbetreuung, beschäftigt sind und sich dann auch mit Rücksichtnahme auf die Betreuten bei Erkältungen eher krankschreiben lassen.
Herzinfarkt: Frauen mit anderen Symptomen
Krankheiten des Kreislaufsystems treten nach Auswertungen des Gesundheitsreports mit fortschreitendem Lebensalter gehäuft auf. So führten Kreislauferkrankungen bei Männern im Jahr 2021 mit durchschnittlich etwas über zwei Tagen zu doppelt so vielen Fehltagen wie bei Frauen mit rund einem Tag. Höhere Fehlzeiten bei Männern waren darüber hinaus insbesondere bei den Diagnosen „Chronische ischämische Herzkrankheit“ sowie „Akuter Myokardinfarkt“ (Herzinfarkt) zu verzeichnen. Frauen und Männer zeigen bei diversen Krankheiten allerdings unterschiedliche Symptome. Verspüren Männer bei einem Herzinfarkt häufig ein Druck- oder Engegefühl in der Brust und Schmerzen im linken Arm, gehören bei Frauen eher Übelkeit und Rückenschmerzen zu den typischen Begleiterscheinungen beziehungsweise Vorboten. Das kann zu einer verzögerten Notfallbehandlung führen, weil der Infarkt nicht gleich als solcher erkannt wird. „Es gibt zahlreiche geschlechterspezifische Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Und diese Unterschiede beeinflussen, wie Erkrankungen entstehen, diagnostiziert werden, verlaufen und behandelt werden. Frauen sind eben keine kleineren, leichteren Männer“, so Heiner Beckmann.
Prävention erreicht Männer und Frauen nicht gleich gut
Bei der medizinischen Versorgung spiele nicht nur das Geschlecht eine Rolle, so Beckmann weiter. Auch Alter, Bildung, ökonomischer Background und Wohnort oder die Arbeitsbedingungen seien Faktoren, die letztlich alle ineinandergriffen und die Einfluss darauf hätten, wie sich Krankheitssymptome äußerten und welche Behandlungen oder Therapien infrage kämen. „Unter Berücksichtigung all dieser Faktoren muss es eine gendersensible Prävention in den Betrieben geben, denn Angebote im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements erreichen Männer und Frauen nicht gleich gut“, sagt der Landeschef der Barmer. Erforderlich seien geschlechterspezifische Angebote für den jeweiligen Arbeitsplatz. Für mehr Arbeitssicherheit bedürfe es einer Verhaltensprävention, mit deren Hilfe etwa das Verletzungsrisiko für jüngere Männer bei ihren manuellen Tätigkeiten durch vorgegebene und strikt eingehaltene Arbeitsabläufe möglichst gering bleibt.
Bewusstsein für die Unterschiede im Versorgungsalltag
Bereits in der medizinischen Lehre werden die geschlechtsspezifischen Unterschiede vermittelt. Das Bewusstsein der Ärztinnen und Ärzte für die Unterschiede von Frauen und Männern sollte sich noch deutlich stärker auch im medizinischen Versorgungsalltag bei der Diagnostik und Therapie niederschlagen. Medizinerinnen und Mediziner könnten verstärkt schon im Anamnesegespräch auf die speziellen Symptome von Frauen und Männern achten. Unwissenheit und mangelnde Sensibilität darüber könne die Heilungschancen mindern und sogar lebensbedrohlich sein. „Wir müssen das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer genderindividualisierten Medizin schärfen, die sich viel mehr auf die Unterschiede und die daraus resultierenden unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen konzentriert“, fordert Heiner Beckmann.
Barmer fordert die Ungleichbehandlung für alle
Als wichtiger Akteur des Gesundheitswesens sieht sich auch die Barmer selbst in Fragen der Gendermedizin gefordert. „Als gesetzliche Krankenkasse gehört es für uns zur Kernarbeit, die Menschen geschlechtsspezifischer und individueller anzusprechen“, so Beckmann. „Gerade im Bereich der Prävention geht es auch schlichtweg darum, dass für die Motivation von Frauen und Männern eine unterschiedliche Ansprache erforderlich ist. Dass Männer womöglich etwas stärker zu mehr Gesundheitsbewusstsein motiviert werden müssen, ist kein Geheimnis.“ Um dem Thema Gendermedizin mehr Gehör zu verschaffen, engagiert sich die Barmer unter anderem mit der Kampagne unter dem #Ungleichbehandlung. Beckmann: „Wir fordern die Ungleichbehandlung für alle. Davon können letztlich alle Patientinnen und Patienten profitieren.“
Mehr Informationen zur Kampagne: www.barmer.de/ungleichbehandlung