Düsseldorf, 22. März 2021 – Immer mehr Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen sind in psychotherapeutischer Behandlung. Im Vergleich zu 2009 hat sich die Zahl der Patientinnen und Patienten im Jahr 2019 mehr als verdoppelt. In NRW waren 2019 rund 208.000 Kinder und Jugendliche in psychotherapeutischer Behandlung – 119 Prozent mehr als 2009. Das geht aus dem aktuellen Arztreport der Barmer hervor. 2019 wurden somit 4,7 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in NRW psychotherapeutisch behandelt. Mit diesem Wert liegt das bevölkerungsreichste Bundesland im bundesweiten Vergleich auf einem traurigen zweiten Platz. Nur in Berlin war der Anteil mit 5,19 Prozent noch höher. „Diese Zahlen betrachten wir mit großer Sorge. Psychische Probleme können für Kinder und Jugendliche ernste Folgen haben“, sagt Heiner Beckmann, Landesgeschäftsführer der Barmer in NRW. „Eltern und weitere Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen müssen auf die Alarmsignale achten. Zeitnahe Hilfe und Prävention können viel dazu beitragen, dass psychische Probleme nicht entstehen bzw. sich nicht verstetigen.“ Bundesweit waren 2019 etwa 823.000 Kinder und Jugendliche in psychotherapeutischer Behandlung – das sind 104 Prozent mehr als 2009 und entspricht einem Anteil von 4,13 Prozent aller Kinder und Jugendlichen.
Corona-Pandemie hinterlässt bei jungen Menschen Spuren
Die Zahl der Antragstellungen für psychotherapeutische Akutbehandlungen bzw. erstmalige Therapien bei Kindern und Jugendlichen im Jahr 2020 deuten darauf hin, dass die Corona-Pandemie die Situation deutlich verschärft. Laut Barmer-Analyse gab es im zweiten Halbjahr 2020 rund 44.000 Anträge und somit 6,3 Prozent mehr als im zweiten Halbjahr 2019. Noch deutlicher war der Anstieg im vierten Quartal (Oktober bis Dezember) mit 12,6 Prozent im Vergleich zu 2019. „Die Corona-Pandemie hinterlässt besonders bei den jungen Menschen Spuren, die ohnehin psychisch angeschlagen sind“, so Heiner Beckmann. „Eltern, Bezugspersonen, Kinder- und Jugendärzte sowie ärztliche und psychologische Psychotherapeuten müssen im Sinne der betroffenen Kinder und Jugendlichen möglichst eng zusammenarbeiten, um zeitnah zu helfen. Eine enge Kooperation ist während der Corona-Pandemie wichtiger denn je.“
Jugendliche auf digitalem Weg erreichen
Um die Probleme von Kindern und Jugendlichen nicht aus den Augen zu verlieren, müssen laut Beckmann auch neue Wege gegangen werden. „Hier müssen wir insbesondere die digitale Affinität von Jugendlichen nutzen“, so der Landeschef der Barmer. Ein Mittel können professionelle Chat-Angebote für Jugendliche sein. Die Barmer kooperiert mit dem Portal www.krisenchat.de. Dabei handelt es sich um ein gemeinnütziges Unternehmen, das sich in der Phase des ersten Lockdowns gegründet hat. Mit dem Ziel, psychosoziale Ersthilfe für Kinder und Jugendliche zu schaffen, die immer verfügbar und kostenlos ist. Rund 250 Ehrenamtler mit einer psychosozialen Ausbildung nehmen sich professionell via Chat der Probleme von Kindern und Jugendlichen an. „Viele Betroffene haben zum Beispiel Angst, sich den Eltern oder Freunden anzuvertrauen. Deshalb unterstützen wir krisenchat.de als ein niedrigschwelliges und für die Betroffenen anonymes Angebot“, sagt Beckmann.
Ab der Pubertät sind Mädchen stärker belastet
In welchem Alter nehmen Kinder und Jugendliche psychotherapeutische Hilfe in Anspruch? Auch dieser Frage sind die Analysten der Barmer im Rahmen des Arztreports nachgegangen. Bis zum Alter von vier Jahren liegen die Anteile unterhalb von einem Prozent, um anschließend mit zunehmendem Alter deutlich anzusteigen. Ab einem Alter von acht Jahren bewegen sich die Anteile geschlechtsübergreifend zwischen fünf und sechs Prozent. Im Alter zwischen acht und zwölf Jahren – also vor dem Eintritt in die Pubertät – liegen die Raten bei den Jungen merklich über den der Mädchen. 2019 nahmen unter den Elfjährigen 6,6 Prozent der Jungen und 4,6 Prozent der Mädchen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. Im Laufe der Pubertät steigt die Rate bei den Mädchen stark an. Unter den 17-Jährigen lag der Anteil der Mädchen in psychotherapeutischer Behandlung bei 8,4 Prozent und der Jungen bei 3,7 Prozent. Dieser Unterschied bei den Zahlen zwischen Patientinnen und Patienten setzt sich auch bei den jungen Erwachsenen fort. So waren 7,1 Prozent der 24-jährigen Frauen in Behandlung (Männer: 3,6 Prozent).
Daten von neun Millionen Versicherten
Im Rahmen des Arztreports hat die Barmer auf Daten von mehr als neun Millionen Versicherten in den Jahren 2005 bis 2019 zurückgegriffen. Das entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland von rund elf Prozent. Schwerpunkt im aktuellen Arztreport sind die psychischen Erkrankungen bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 0 und 24 Jahren. Hier standen Daten von rund 1,6 Millionen jungen Menschen zur Verfügung.
Grafiken zu den Ergebnissen des Arztreports finden Sie unter www.barmer.de/p016546.