Gut ausgebildete Fachkräfte werden weltweit gesucht. Viele Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern beschäftigen Mitarbeitende aus anderen Ländern. Auch für den Gesundheits- und Pflegebereich bieten ausländische Fachkräfte großes Potenzial. Initiativen wie Match Pflege unterstützen Gesundheitseinrichtungen von der Anwerbung über die Anerkennung bis hin zur Integration ausländischer Pflegefachkräfte. Dr. Martin Niederauer und Duniel Cardenas-Rodriguez von Match berichten im Interview, worauf anwerbende Gesundheitsunternehmen achten müssen und was es aus ihrer Sicht braucht, damit sich ausländische Fachkräfte gut integrieren können.
Woran muss ich als potenzieller Arbeitgeber von ausländischen Fachkräften denken? Welche Voraussetzungen und gesetzlichen Pflichten gelten?
Duniel Cardenas-Rodriguez: Die Anwerbung internationaler Pflegefachkräfte ist ein komplexer Prozess, der sorgfältige Planung verlangt. Zunächst sollten Gesundheitseinrichtungen ihren Bedarf ermitteln: Wie viele Fachkräfte aus dem Ausland benötigen wir und in welchen Fachbereichen? Welche fachlichen und persönlichen Kompetenzen sollten die neuen Kolleg*innen mitbringen? Vor allem sollte man schauen, welche personellen Ressourcen in der Einrichtung vorhanden sind und wie man Verantwortlichkeiten und Aufgaben bei der Anwerbung, Anerkennung und Integration gut
verteilen kann.
Dr. Martin Niederauer: Parallel dazu sollte man sich früh auf die Suche nach einer geeigneten Personalagentur begeben. Hier gilt: Sich gut informieren, viele Fragen stellen und keine Entscheidung überstürzen. Welche finanziellen Mittel haben wir überhaupt zur Verfügung? Welche Agenturen arbeiten nach ethischen Standards? Wer trägt bspw. das Gütesiegel "Faire Anwerbung Pflege Deutschland”? Welche Leistungen erbringt eine Personalagentur zu welchem Preis? Und wie genau sehen diese Leistungen später in der Praxis aus? Zudem ist es ratsam, sich gut über Herkunftsländer, Visa-Bestimmungen und zuständige Behörden zu informieren. Je mehr ich weiß, desto besser kann ich Angebote beurteilen und Projekte planen. Schließlich gibt es viele externe Faktoren, die ich nicht beeinflussen kann - wie bspw. Bearbeitungszeiten von Behörden im In- und Ausland. Entsprechend sollte man bei der Anwerbung immer ausreichend Zeit einplanen.
Cardenas-Rodriguez: Berufe in der Kranken- und Altenpflege sind in Deutschland reglementiert, d.h. Pflegefachkräfte aus den Drittstaaten benötigen eine Berufsausübungserlaubnis und müssen ihren Abschluss in Deutschland anerkennen lassen. Sofern der Bescheid über die Gleichwertigkeit Unterschiede aufweist, muss eine Ausgleichsmaßnahme absolviert werden, um die volle Gleichwertigkeit zu erlangen. Das ist bspw. eine Kenntnisprüfung. Somit sollten Gesundheitseinrichtungen früh überlegen, wie sie die fachliche und sprachliche Qualifizierung der neuen Kolleg*innen organisieren und welche staatlichen Fördermaßnahmen es dafür gibt.
Was muss ich noch beachten, insbesondere beim (interkulturellen) Onboarding?
Cardenas-Rodriguez: Interkulturelles Onboarding spielt eine zentrale Rolle bei der erfolgreichen Integration internationaler Pflegefachkräfte. Ein effektiver Integrationsprozess erfordert eine Vielzahl von Maßnahmen sowie einen klaren Zeitrahmen. Besonders wichtig sind dabei ein hohes Maß an Engagement und fortlaufende Reflexion. Die Integration sollte bereits im Herkunftsland der ausländischen Pflegefachkraft beginnen und auch nach der bestandenen Kenntnisprüfung fortgesetzt werden. Als dynamischer Prozess erfordert Integration die frühzeitige Einbindung aller Beteiligten der Gesundheitseinrichtung. Die bestehenden Teams sollten so früh wie möglich einbezogen werden. Sie werden später die neuen Kolleg*innen einarbeiten und sind gewissermaßen die Herzkammer der Integration. Ohne sie läuft also nichts. Umso wichtiger ist es, Teams ausreichend vorzubereiten, bspw. durch interkulturelle Workshops.
Niederauer: Ganz wichtig ist die kontinuierliche Förderung des Spracherwerbs. Ohne ausreichende Deutschkenntnisse wird es den neuen Kolleg*innen fachlich schwerfallen, ihre Kompetenzen und ihr Wissen unter Beweis zu stellen. Das ist aber enorm wichtig für die Akzeptanz im Team. Zudem wird es schwierig, ein Teil des Teams zu werden, wenn man nicht an informellen Gesprächen über private Themen teilhaben kann. Umso wichtiger ist es, dass die neuen Kolleg*innen auch außerhalb der Arbeit Deutsch sprechen, bspw. in Sport und Kulturvereinen, und dass sie darüber Freundschaften knüpfen. Denn Sprache ist zwar der Schlüssel zur Integration - aber gleichzeitig ist Integration auch der Schlüssel zur Sprache.
Was ist aus Ihrer Sicht wichtig, damit ausländische Fachkräfte sich langfristig wohlfühlen und bleiben?
Niederauer: In den Einrichtungen ist das primär eine fließende Integration auf allen Ebenen, einschließlich fairer Arbeitsbedingungen mit Weiterbildungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen. Internationale Kolleg*innen sind keine Auszubildenden und keine Hilfskräfte. Sie sind Fachkräfte in Anerkennung! Das heißt, wir müssen ihre Qualifikationen, ihr Wissen und ihre Lebensleistung anerkennen. Und natürlich braucht es Toleranz und Offenheit, damit das gelingt. Kulturelle Unterschiede sollten respektvoll thematisiert werden, ebenso wichtig ist es, Gemeinsamkeiten zu entdecken und zu fördern.
Cardenas-Rodriguez: Früher oder später wird auch der Familiennachzug eine entscheidende Rolle spielen. Entsprechend sollten man die neuen Kolleg*innen dabei unterstützen, einen Schulplatz für den Sohn zu finden, einen Job für den Ehemann oder einen Ausbildungsplatz für die Tochter. Hier bietet sich an, branchenübergreifende Netzwerke einzugehen. Viele Betriebe und Firmen haben Fachkräftemangel. Regionale Kooperationen können dabei weiterhelfen. Und natürlich müssen wir auch als Gesellschaft eine klare Haltung gegen Rassismus und jede Form von Diskriminierung zeigen. Willkommenskultur muss heißen: Schön, dass Du da bist, lass uns voneinander lernen, zusammenarbeiten, respektvoll streiten und ausgelassen feiern. Nur durch eine offene und herzliche Willkommenskultur werden sich Menschen in Deutschland wohlfühlen und sich hier ein Leben mit ihren Familien aufbauen.
Auch bereits in Deutschland lebende Menschen aus dem Ausland bieten großes Potenzial im Kontext Fachkräftemangel. Wie bewerten Sie die Situation?
Cardenas-Rodriguez: Das Potenzial ist enorm. Der Fokus sollte dabei unseres Erachtens auf Berufsausbildung und Qualifizierung liegen, wie bspw. gezielte Weiterbildungs- und Umschulungsprogramme und Sprachförderung. Wichtig wäre zunächst, diesen Menschen einen unkomplizierten Zugang zu kostenloser und niedrigschwelliger Beratung anzubieten. Welche Qualifizierungsmöglichkeiten gibt es? Wo kann ich mich bewerben? Wie läuft in Deutschland eine Ausbildung ab? Herausfordernd dabei können fehlende Unterlagen sein, wie Schul-, Berufs- oder Arbeitszeugnisse.
Niederauer: Zusätzlich braucht es Unterstützungsangebote, wie bspw. bei Behördengängen und Formalia, bei sozialen Fragen, bei Kinderbetreuung, aber auch Sprachförderung, Unterrichtsvertiefung und Prüfungsvorbereitungen können zum erfolgreichen Berufsabschluss beitragen. Hierzu gab es bereits bundesweit erfolgreiche Projekte, die als Vorlage dienen können. Allerdings müssten diese Projekte auch verstetigt werden.
Was wünschen Sie sich für den Pflegebereich in der Zukunft?
Niederauer: Aktuell beobachten wir enorme Ungleichheiten in der Gesundheitsbranche. Beispielsweise profitiert die stationäre Akutpflege stärker von internationalen Pflegefachkräften als die stationäre und ambulante Pflege. Und während große Träger aufgrund besserer finanzieller und personeller Ressourcen seit Jahren erfolgreich Anwerbeprojekte umsetzen und viel Erfahrung sammeln konnten, stellt dies kleinere Träger nach wie vor vor große Herausforderungen. Zudem genießen Gesundheitseinrichtungen im urbanen Raum oft eine höhere Attraktivität, da sie eine bessere Anschlussfähigkeit im Bereich der außerbetrieblichen Integration vorhalten können.
Cardenas-Rodriguez: Deshalb schlagen wir regionale Fachkräfteallianzen vor: eine Bündelung regionaler Ressourcen und Kompetenzen aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Gesundheitswirtschaft zur gemeinsamen strategischen Bekämpfung des Fachkräftemangels in der Pflege. In einer solchen Allianz könnten sich alle beteiligten Akteure gleichberechtigt einbringen und voneinander profitieren. Dadurch könnten finanzielle Belastungen, Risiken sowie die gesellschaftliche Integration auf mehrere Schultern verteilt und Wissenslücken geschlossen werden. Vor allem kleinere und/oder ländliche ambulante und stationäre Einrichtungen könnten davon profitieren.
Dr. Martin Niederauer (l.) ist Leiter der Initiative Match Pflege und Duniel Cardenas-Rodriguez ist Leiter für die Qualifizierung internationaler Fachkräfte im Gesundheitswesen.
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