Hamburg, 14. Dezember 2023 – Immer mehr Menschen in der Stadt melden sich wegen psychischer Erkrankungen arbeitsunfähig. Von den etwa 1,32 Millionen Erwerbstätigen in Hamburg sind hochgerechnet 93.600 mindestens einmal im Jahr wegen psychischer Leiden krankgeschrieben. Das zeigen Analysen auf Basis von Versichertendaten der Barmer aus dem Jahr 2021. „Wir beobachten diese Entwicklung mit Sorge, auch mit Blick auf all diejenigen, die diese Arbeitsausfälle abfedern müssen“, sagt Dr. Susanne Klein, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Hamburg. Problematisch sei vor allem, dass psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeiten in der Regel sehr lange dauern. Wichtig sei deshalb, Risiken zu identifizieren und präventiv entgegenzuwirken. Gefragt sei dabei die Gesellschaft als Ganzes, aber auch jede und jeder Einzelne sowie nicht zuletzt die Unternehmen.
Wenig Betroffene, aber viele Fehltage
Während im vergangenen Jahr Atemwegsinfekte mehr als ein Drittel aller Krankschreibungen ausmachten, entfielen auf psychische Diagnosen lediglich sechs Prozent. Den Auswertungen im Barmer Gesundheitsreport zufolge dauert eine Krankschreibung aufgrund seelischer Leiden bei Beschäftigten in Hamburg im Schnitt allerdings mehr als sieben Wochen. Vergleichsweise wenige Betroffene verursachen also eine insgesamt sehr hohe Zahl an Fehltagen. „Deshalb ist es wichtig, die Risikofaktoren zu minimieren, Ursachen zu bekämpfen und Betroffenen bestmöglich zu helfen“, so Klein.
Vermeidbare Risiken im beruflichen Umfeld
Grundsätzlich seien psychische Erkrankungen sehr individuell, könnten verschiedenste Ursachen haben und hingen von einer Vielzahl von Faktoren ab. Sie könnten mit traumatischen Erlebnissen, sozialen Einflüssen oder Umwelteinflüssen zusammenhängen sowie auf andere Erkrankungen oder gesellschaftliche Umstände zurückzuführen sein. „Das berufliche Umfeld bietet dabei den größten Rahmen für Prävention. Hohe Anforderungen bei geringem Tätigkeitsspielraum, die Sorge um den oder Konflikte am Arbeitsplatz sind nur einige Risikofaktoren für psychische Erkrankungen im beruflichen Kontext“, sagt Barmer-Landeschefin Klein. Michael Schweiger, Geschäftsführer vom Arbeits-Integrations-Netzwerk ARINET Hamburg, einem Anbieter für berufliche Teilhabe für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, ergänzt: „Auch neue Formen wie Home-Office, mobiles Arbeiten oder sogenanntes Desk-Sharing erschweren das frühzeitige Erkennen psychischer Auffälligkeiten. Hinsehen, Ansprechen und Unterstützung anbieten als gesundheitsförderliches Führungsverhalten ist damit nicht mehr selbstverständlich. Gleichzeitig können schon erkrankte Beschäftigte aufgrund des Wegfalls von Fahrwegen und Anwesenheitszeiten ihre Arbeitsfähigkeit im Homeoffice noch irgendwie aufrechterhalten. Dies konterkariert den so wichtigen frühzeitigen Behandlungseinstieg zusätzlich. Hier stehen sowohl Beschäftigte als auch Unternehmen und Vorgesetzte vor neuen Herausforderungen.“
Einflüsse häufiger Arbeitsplatz- und Wohnortwechsel
Laut Barmer Gesundheitsreport weisen Beschäftigte mit längerfristiger Tätigkeit an einem Arbeitsplatz sowie mit längerfristigem Aufenthalt an einem Wohnort die geringsten Risiken für psychische Erkrankungen auf. Auch Beschäftigte in Arbeitnehmerüberlassung sind häufiger aufgrund seelischer Leiden krankgeschrieben als Beschäftigte in regulärer Anstellung. In unbefristeten Arbeitsverhältnissen oder bei Vollzeit-Tätigkeit ist die Quote niedriger als bei befristeten Anstellungen oder Teilzeit. „Eine These hierzu ist, dass Teilzeitbeschäftigte aufgrund weiterer familiärer Belastungen wie Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen stärker von psychischen Erkrankungen betroffen sein könnten“, so Schweiger.
Frauen häufiger mit psychischer Diagnose
Weitere Auswertungen im Barmer Gesundheitsreport ergeben, dass mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit steigt, psychisch zu erkranken. In Hamburg gibt es die höchsten Quoten bei weiblichen Beschäftigten ab 50 Jahren, von denen mehr als jede zweite betroffen ist. In allen Altersgruppen erhalten Frauen häufiger als Männer psychische Diagnosen. Auffällig ist zudem, dass bei Frauen bis 29 Jahre der Anteil jener besonders hoch ist, die deshalb im Krankenhaus behandelt werden. In der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen liegt die Quote mit 3,8 Prozent mehr als drei Mal höher als im Durchschnitt aller Beschäftigten in Hamburg. „Die Bereitschaft zur Selbstreflexion und zu gesprächsorientierten Therapieangeboten ist bei Frauen ausgeprägter. Bei Männern werden psychische Problemen eher durch Suchterkrankungen oder Verhaltensauffälligkeiten offensichtlich“, berichtet ARINET-Geschäftsführer Michael Schweiger. Im berufsrehabilitativen und begleitenden Hilfesystem liege das Verhältnis von Frauen zu Männern bei etwa zwei Dritteln zu einem Drittel. Barmer-Landeschefin Klein verweist auf niedrigschwellige Angebote der Kasse, seelisches Wohlbefinden zu fördern und Herausforderungen adäquat zu begegnen: „Eine gesunde Psyche ist Grundstein für privaten und beruflichen Erfolg und nicht zuletzt Lebensqualität, Die Devise lautet "Früh erkennen, früh behandeln". Psychische Probleme haben häufig einen langjährigen Vorlauf. Dementsprechend lässt sich mit einfachen Mitteln effektiv entgegenwirken, unterstützt beispielsweise durch Gesundheitskurse, die Versicherte bei der Barmer kostenlos nutzen können. Unternehmen beraten und unterstützen wir zudem individuell, um ihre Beschäftigten auch seelisch fit zu halten.“