Die Situation in der Pflege wird sich verschärfen. Denn in Baden-Württemberg wird es bereits in acht Jahren deutlich mehr Pflegebedürftige geben, als bisher angenommen. Gleichzeitig werden mehr als 4.000 Pflegekräfte fehlen. Ein Beispiel aus Konstanz zeigt aber, dass es durchaus möglich ist, Auszubildende zu gewinnen und erfahrene Pflegekräfte zu halten.
Im Jahr 2030 wird es in Baden-Württemberg mehr Pflegebedürftige geben als bisher angenommen. Das geht aus dem Barmer-Pflegereport hervor. Die Autoren, Wissenschaftler der Universität Bremen, kommen in der Studie zu dem Ergebnis, dass in acht Jahren 710.000 Menschen in Baden-Württemberg auf Pflege angewiesen sein werden. Das sind 127.000 Pflegebedürftige mehr als bisher angenommen. Gleichzeitig werden 4.000 Pflegekräfte fehlen.
"Die Situation in der Pflege wird sich verschärfen. Eine bisher unterschätzte Zahl an Pflegebedürftigen und benötigten Pflegekräften trifft auf eine Branche, die bereits jetzt mit Personalmangel, Arbeitsverdichtung und einer hohen gesundheitlichen Belastung der Beschäftigten zu kämpfen hat", sagt der Landesgeschäftsführer der Barmer in Baden-Württemberg, Winfried Plötze. Um Pflegekräfte zu halten und neue zu gewinnen, sei ein Dreiklang notwendig. Bestehend aus Maßnahmen, um die Gesundheit von Pflegekräften zu fördern, politischen Rahmenbedingungen, die den Pflegeberuf attraktiver machen und Eigeninitiative der Pflegeinrichtungen. Auch sie müssen ihren Teil dazu beitragen, um die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern und für die Branche zu werben. "Die Pflege hat auch ein Imageproblem. Das zu ändern, liegt auch in der Verantwortung der Arbeitgeber."
Den Alltag der Pflegekräfte erleichtern
Die Caritas in Konstanz beschäftigt in drei Heimen und einem ambulanten Pflegedienst 400 Männer und Frauen. Hinzu kommen 30 Auszubildende. Dank verschiedener Maßnahmen hat Andreas Hoffmann, Geschäftsführer und Vorstand des Caritasverbandes Konstanz, bisher nicht mit gravierendem Personalmangel zu kämpfen. "Wir bezahlen nach Tarif. Eine examinierte Pflegekraft verdient rund 3.600 Euro brutto. Und wir erleichtern den Alltag unserer Beschäftigten. Das ist mindestens so wichtig wie eine fairer Lohn", sagt Hoffmann. Deshalb gibt es bei der Caritas in Konstanz eine Kinderbetreuung, die Beschäftigten können ihre Wäsche machen lassen und Essen für sich und die Familie in Bioqualität mit heimnehmen. Beides zum Selbstkostenpreis. In Planung sei, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Wochenenden ein Elektrofahrzeug ausleihen können. "Viele Pflegekräfte haben kein Auto. Warum sollen wir ihnen unseres nicht zur Verfügung stellen, wenn es nicht benötigt wird?"
Auf die Generationen X und Z eingehen
Die Caritas setzt in ihren Konstanzer Heimen und im ambulanten Pflegedienst auf die Digitalisierung. Das trage laut Hoffmann dazu bei, sich beim Nachwuchs als moderner Arbeitgeber zu präsentieren. Während der Ausbildung werden die angehenden Pflegerinnen und Pfleger von erfahrenen Fachkräften betreut, die dafür freigestellt und besser bezahlt werden. Auf diese Weise können auch ältere Beschäftigte gehalten werden, die sich als sogenannte Praxisanleiter bestens bewähren. "Die Generationen X und Z ticken anders. Die Auszubildenden brauchen eine intensive Begleitung, die über das Berufliche hinausgeht. Mein Eindruck ist, dass es vielen Heimbetreibern noch schwerfällt, das zu akzeptieren und umzusetzen." Zudem dürfe man sich bei der Personalgewinnung nicht nur auf die Schulabgänger konzentrieren. "Ewa die Hälfte unserer angehenden Pflegekräfte sind bei ihrem Ausbildungsbeginn älter als 30 Jahre. Es sind Menschen, die bisher in anderen Berufen tätig waren. Wir haben mit diesen Kolleginnen und Kollegen sehr gute Erfahrungen gemacht."
Gesundheit der Pflegenden stärken
Pflegekräfte sind gesundheitlich stark belastet. Baden-württembergische Altenpflegekräfte waren im Jahr 2020 26,6 Tage krankgeschrieben. 11,5 Tage länger als im landesweiten Durchschnitt. Der hohe Krankenstand von 7,3 Prozent (Landesdurchschnitt: 4,1 Prozent) erhöht die Arbeitsbelastung für die verbleibenden Pflegekräfte. Was dazu führt, dass wiederum deren Erkrankungsrisiko steigt. Auch das muss sich ändern. Plötze: "Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, brauchen wir bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. Wir müssen die nächsten Jahre für nachhaltige Veränderungen in der Branche nutzen."
Ausländische Pflegekräfte lösen das Personalproblem nicht
Das Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland ist keine Lösung, um die Personallücke zu schließen. "Zum einen ist es ethisch nicht akzeptabel, wenn wir unseren Personalmangel ins Ausland exportieren. Und zum anderen steigt der Pflegebedarf auch in den anderen Ländern. In 20 Jahren werden wir mit China um Pflegekräfte konkurrieren", so Winfried Plötze. Andreas Hoffmann rekrutiert keine Pflegekräfte mehr aus anderen Ländern. Kosten und Aufwand seien hoch, der Erfolg gering. "Die Sprachbarrieren sind enorm und viele bekommen Heimweh. Nach kurzer Zeit brechen sie ihrer Zelte ab und kehren trotz guter Betreuung und Unterstützung bei der Eingewöhnung nach Hause zurück."