Berlin, 4. Oktober 2022 – 18 Millionen Patientinnen und Patienten mit hohem Medikamentenbedarf können künftig sicherer behandelt werden. Ermöglichen soll das die flächendeckende Anwendung der neuen, digital unterstützten Versorgungsform AdAM, die die Barmer und die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) im Rahmen eines Innovationsfondsprojekts entwickelt haben. Die Abkürzung steht für „Anwendung für ein digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management“. Patienten, die gleichzeitig fünf und mehr Arzneimittel benötigen, schützt AdAM vor deren unerwünschten und schlimmstenfalls tödlichen Wechselwirkungen. Das Projekt versorgt laut dem jetzt vorliegenden Evaluationsbericht erstmals Hausarztpraxen digital mit vollständigen Routinedaten der Krankenkasse zu Vorerkrankungen und Arzneimitteln und weist Ärzte auf Risiken durch potenziell gefährliche Wechselwirkungen hin. „Arzneimitteltherapie ist hochkomplex. 1.860 Wirkstoffe in 450.000 Kombinationen kann keine Ärztin oder Arzt ohne elektronische Hilfe überblicken. Wir zeigen mit AdAM erstmals, dass Informationen, die den Krankenkassen vorliegen, Informationslücken bei den behandelnden Ärzten schließen. Das ermöglicht ihnen eine bessere Behandlung ihrer Patienten“, sagt Prof. Dr. med. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. An AdAM hätten sich von Juli 2017 bis Juni 2021 mehr als 11.000 Barmer-versicherte Patienten und 937 Arztpraxen in Westfalen-Lippe beteiligt. Durch AdAM könne die durch Neben- und Wechselwirkungen bedingte Sterblichkeit von Polypharmazie-Patienten um zehn bis 20 Prozent gesenkt werden. Bei flächendeckender Anwendung könnten mit AdAM jährlich 65.000 bis 70.000 Todesfälle bundesweit vermieden werden.
Patientenschutz an erster Stelle
Dr. Volker Schrage, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KVWL: „Der Evaluationsbericht macht deutlich, dass das Projekt ein großer Erfolg und AdAM ein echter Meilenstein für die Patientensicherheit ist. Für uns ist das Thema eine absolute Herzensangelegenheit. Durch die Corona-Pandemie sind Stress und Arbeitsaufkommen in den Arztpraxen stark gestiegen, viele Teams arbeiten am maximalen Anschlag. Trotzdem gilt: Die sichere Medikation darf niemals ins Hintertreffen geraten, denn der Schutz der Patientinnen und Patienten steht immer an erster Stelle. Hier ist AdAM für uns ein wichtiger Anker.“
AdAM ermöglicht optimierte Behandlung
In dem Evaluationsbericht zum AdAM-Projekt kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Universitäten Frankfurt/Main, Bochum, Bielefeld, Köln und Wuppertal zu dem Schluss, dass in fast allen Analysen und Patientengruppen positive Ergebnisse festzustellen seien. Damit diese Erfahrungen wirken, müssten neue Rahmenbedingungen geschaffen werden. Straub: „Im Sinne der Patientensicherheit braucht es zweierlei. Einerseits muss die Arzneimitteltherapie samt Dosierung künftig standardisiert kodiert werden. Andererseits bedarf es technischer Schnittstellen, um diese Daten unkompliziert mit Einverständnis der Patienten zwischen Praxen, Apotheken und Krankenhäusern auszutauschen.“ Er fügte hinzu, Versicherte benötigten zudem einen viel einfacheren Zugang zu neuen Versorgungsangeboten, die der Arzneimitteltherapiesicherheit dienten. Die mit AdAM erreichten Effekte rechtfertigten es, Krankenkassen ausdrücklich gesetzlich zu erlauben, ihre Daten für solche Prozesse bereitzustellen.
Neues Projekt „eRIKA“ startet im Oktober
Mit Blick in die Zukunft verweisen Barmer und KVWL auf das ab Oktober 2022 startende neue Innovationsfondsprojekt „eRIKA“. Ziel des Projekts sei es, mit einem digital gestützten Prozess zwischen Versicherten, Arztpraxen und Apotheken auf Basis des eRezeptes Medikationsfehler zu vermeiden. Dies könne ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu mehr Patientensicherheit sein. Dem Konsortium von „eRIKA“ gehörten neben Konsortialführer BARMER die AOK Nordost, die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe und die Universitäten Bielefeld, Wuppertal und Köln an. Mit an Bord seien die gematik, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, mehrere Apothekerkammern, weitere Kassenärztliche Vereinigungen und Patientenvertreter. Darüber hinaus arbeite eine Vielzahl weiterer Kooperationspartner mit oder unterstütze das Projekt im wissenschaftlichen Beirat durch ihre Expertise.
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