Berlin, 1. Dezember 2020 – Der Pflegenotstand in Deutschland ließe sich durch bessere Arbeitsbedingungen deutlich abmildern. Auf einen Schlag gäbe es 26.000 Pflegekräfte mehr, wenn die Arbeitssituation und damit einhergehend die Gesundheit der Pflegerinnen und Pfleger besser wären. Das geht aus dem Barmer-Pflegereport hervor, der heute in Berlin vorgestellt wurde. Demnach sind Pflegekräfte in Deutschland deutlich häufiger krank und werden öfter frühverrentet als viele andere Berufstätige.
„Die Pflegeberufe müssen dringend deutlich arbeitnehmerfreundlicher werden. Mit substanziell und nachhaltig besseren Arbeitsbedingungen könnten Bund, Länder und Arbeitgeber den Pflegeberuf zeitnah attraktiver gestalten. Mit dem Potenzial an 26.000 Pflegekräften könnten zusätzlich 50.000 Menschen versorgt werden“, sagte Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. Bessere Arbeitsbedingungen zeichneten sich nicht nur durch eine angemessene Vergütung, sondern vor allem durch möglichst planbare und familienfreundliche Arbeitszeiten aus.
Höherer Krankenstand und mehr Frühverrentungen in der Pflege
Zwischen den Jahren 2016 und 2018 waren den Ergebnissen des Pflegereports zufolge 8,7 Prozent aller Hilfskräfte und 7,2 Prozent der Fachkräfte in der Altenpflege krankgeschrieben. In anderen Berufen lag der Krankenstand im Schnitt bei 5,0 Prozent. Das entspricht einem Unterschied von bis zu 73 Prozent. Zudem müssen Pflegekräfte häufiger und länger im Krankenhaus behandelt werden als andere Erwerbstätige. „Die Arbeitssituation in der Pflege greift die Gesundheit der Beschäftigten massiv an. Wenn sie ausfallen, werden Kolleginnen und Kollegen zusätzlich belastet. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden, zumal die Corona-Pandemie die angespannte Arbeitssituation der Pflegekräfte noch einmal verschärft“, betonte Straub. Der Pflegeberuf sei so kraftraubend, dass zudem überproportional viele Beschäftigte nicht bis zur Rente durchhielten. So sei der Anteil der Pflegekräfte mit einer Erwerbsminderungsrente bis zu doppelt so hoch wie in sonstigen Berufen.
180 Prozent mehr Fehltage aufgrund von Rückenschmerzen
Wie groß der Handlungsbedarf in der Pflege ist, verdeutlicht der Pflegereport auch mit Blick auf den Krankenstand. So fehlte jede krankgeschriebene Altenpflegefachkraft in den Jahren 2016 bis 2018 im Schnitt 18,6 Tage und damit 40 Prozent länger als Beschäftigte in sonstigen Berufen (13,3 Fehltage). Altenpflegehilfskräfte waren sogar im Schnitt 20,2 Tage krank. „Pflegekräfte haben vor allem lange Fehlzeiten aufgrund von psychischen Problemen sowie Muskel-Skelett-Erkrankungen“, sagte Studienautor Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen. So wiesen Beschäftigte in der Altenpflege etwa 80 bis 90 Prozent mehr Fehltage aufgrund von Depressionen auf als Erwerbstätige in sonstigen Berufen. Rückenschmerzen verursachten bei Fachkräften in der Altenpflege knapp 96 Prozent und bei Hilfskräften etwa 180 Prozent mehr Fehltage als in anderen Berufen. „Die Arbeitsbedingungen in der Pflege können nicht so bleiben, wie sie sind. Hier sind die Arbeitgeber in der Pflicht, neben geregelten Arbeitszeiten stärker auf Vorsorge zu setzen. Es kann nicht angehen, dass nicht einmal jede zweite stationäre Pflegeeinrichtung Präventionskurse für ihre Beschäftigten anbietet“, sagte Rothgang. Mit gezielten Trainings gegen Rückenprobleme oder psychischen Stress könne Einiges erreicht werden.
Aus- und Weiterbildungsoffensive zwingend erforderlich
Um die Situation in der Pflege zu verbessern, sei ein Maßnahmenpaket erforderlich, ergänzte Straub. „In den Pflegeberufen ist eine Aus- und Weiterbildungsoffensive zwingend erforderlich. Der Gesetzgeber hat hier mit der Konzertierten Aktion Pflege, die bis zum Jahr 2023 einen deutlichen Zuwachs an Ausbildungsplätzen vorsieht, einen wichtigen Schritt gemacht. Allerdings richtet sich der Fokus dabei nur auf Pflegefachkräfte. Das reicht nicht aus“, so der Barmer-Vorstandsvorsitzende. Die Pflegedienste und -heime müssten verstärkt auch Ausbildungsplätze für Pflegehilfskräfte anbieten.
Mitschnitt der Online-Pressekonferenz zum Barmer Pflegereport 2020: