Neustrukturierung der Notfallversorgung im DRK-Krankenhaus Sömmerda
Nicht nur die Thüringer Gesundheitswelt blickt derzeit mit Interesse, aber auch Argusaugen nach Nordthüringen. Weitgehend unbemerkt von der breiteren Öffentlichkeit haben die DRK-Kliniken ihre Notaufnahmen in Sömmerda, Sondershausen und Bad Frankenhausen im letzten Jahr strukturell umgekrempelt. Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen (KV), der Landeskrankenhausgesellschaft und den Gesetzlichen Krankenkassen wurden die Notaufnahmen zu sogenannten Portalpraxen weiterentwickelt.
Ein Besuch in der Portalpraxis Sömmerda
„Sie werden hier weit und breit nichts Vergleichbares finden“, sagt Oberarzt Axel Pleßmann gleich zur Begrüßung selbstbewusst. Pleßmann leitet seit 13 Jahren die Notaufnahmen an den Thüringer DRK-Krankenhäusern und ist stolz auf die im Oktober 2017 gestartete Notdienstkooperation. Das Portal ist eigentlich eher eine Notdienstkooperation im sogenannten „Ein-Tresen-Prinzip“, wie Pleßmann es ausdrückt. Kommt der Patient in die Notaufnahme in Sömmerda, egal ob als Selbsteinweiser, per Rettungswagen oder auf Überweisung eines Arztes, wird er zunächst von einer speziell geschulten Pflegefachkraft nach der sogenannten Manchester-Triage (siehe Kasten) klassifiziert: Die Triage-Fachkraft stellt fest wie dringend eine Behandlung ist. Das fünfstufige System beginnt bei "Kategorie Blau: nicht dringend. Behandlung innerhalb von 2 Stunden“, und reicht – zeitlich abgestuft – bis zu „Rot: Sofortige Behandlung“. Falls nötig werden Voruntersuchungen wie EKG oder Blutdruckmessung durchgeführt und den behandelnden Ärzten per Software als „Steckbrief“ aufbereitet. Für den Patienten heißt das: Keine Schwester schickt jemanden weg. Es wird immer ein Arzt konsultiert, aber eben nach Dringlichkeit und nicht der Reihe nach. Bagatellfälle müssen also unter Umständen länger warten.
Manchester-Triage
Damit kritisch kranke oder verletzte Patienten nicht unnötig lange auf eine Behandlung warten müssen, während weniger schwere Fälle Behandlungskapazitäten binden, wurde die sogenannte Triage entwickelt.
Sofortige Behandlung! Alle anderen laufenden untergeordneten Tätigkeiten werden sofort unterbrochen.
Normal: Die Behandlung sollte innerhalb von 90 Minuten eingeleitet werden.
Von der Platzwunde bis zum Zeckenbiss
Dem Triage-Farbcode nachempfunden verfügt die Notaufnahme Sömmerda über fünf farblich gekennzeichnete Räume. Rot heißt Maximalstufe: Ein großer Schockraum, viel Technik und eine telemedizinische Anbindung an das Schlaganfall-Netzwerk „Satelit“, um schwierige Fälle live mit Neurologen an der Uni-Klinik Jena zu besprechen. Aber es gibt immer wieder auch Fälle für die blaue und grüne Triagestufe im Krankenhaus. Das sind "leichte Erkrankungen", von der Platzwunde bis zum Zeckenbiss, die meist ambulant behandelt werden . Patienten werden dort nicht - wie üblich - von Krankenhausärzten behandelt oder wie in der Vergangenheit zum kassenärztlichen Notdienst nach Erfurt geschickt. Zu bestimmten Zeiten sind jetzt Haus- und Fachärzte vor Ort und übernehmen im Krankenhaus die Behandlung.
Die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen sichert diese Dienste in Sömmerda mit niedergelassenen Ärzten. Mittwochs und freitags von 16 bis 19 Uhr, sowie von 10 bis 16 Uhr an Wochenenden, Feiertagen und Brückentagen. Dann übernimmt ein KV-Arzt den „blauen“ Patienten aus der Portalsteuerung, versorgt ihn medizinisch oder leitet ihn, falls erforderlich, zur Weiterbehandlung an einen niedergelassenen Kollegen in den regulären Sprechzeiten. Ziel der Portalpraxis ist folglich eine überbrückende Erstversorgung. Die KV-Kollegen seien eine große Hilfe, so Pleßmann. „Gerade an den Wochenende und Feiertagen übernehmen sie 10 bis 15 Patienten pro Tag.“ Bei im Schnitt rund 60 Fällen sei dies eine spürbare Entlastung.
„Unsere Patienten sind in der Regel aus gutem Grund hier.“
Trotz anfänglicher Skepsis bei manch niedergelassenem Arzt, sei die Akzeptanz inzwischen gewachsen. „Nur die Dienste am Mittwoch und Freitag sind nicht so beliebt. Da ist zu wenig los. Dies könnten wir sicherlich auch noch allein schultern“, schildert Pleßmann, der selbst Facharzt für Allgemeinmedizin ist, erste Erfahrungen. Berichte über eine Flut von Bagatellfällen, die Deutschlands Notaufnahmen verstopfen, könne er so nicht bestätigen: „Es kommen zwar jedes Jahr rund fünf Prozent mehr Patienten in die Notaufnahme. Unsere Patienten sind in der Regel aber aus gutem Grund hier. Ich habe nicht den Eindruck, dass ein großer Missbrauch betrieben wird“, sagt er. Allerdings gebe es womöglich Unterschiede zwischen Notaufnahmen in ländlichen und städtischen Regionen. Die Stoßzeit eher leichter Fälle erlebt Pleßmann vor allem im Frühdienst: „Der klassische Fall: Der Patient wacht morgens mit Atemnot oder Herzschmerzen auf. Dann kommt er entweder direkt ins Krankenhaus oder geht erst zum Hausarzt und wird von dort häufig zur Abklärung zu uns geschickt. Diese Patienten sind also nicht per se falsch bei uns, denn es wäre fatal, wenn wir von 100 Patienten zwei schwere Erkrankungen, beispielsweise eine Embolie oder Magen-Darm-Blutung übersehen. Das wollen wir ausschließen.“
KVT: „Wir wollen diesen Patienten in ihrer Situation helfen“
Dr. Annette Rommel, 1. Vorsitzende des Vorstands der KV Thüringen, verweist laut Thüringer Ärzteblatt ebenfalls auf die wachsende Zahl an Patienten in Thüringen, die, wenn sie krank sind, nicht zum niedergelassenen Arzt, sondern direkt ins Krankenhaus gehen. Dies seien zwar nicht so viele wie in anderen Bundesländern. Auch würden im regionalen Vergleich mehr Thüringer durch den Ärztlichen Notdienst behandelt als anderswo. Den Trend zur Notaufnahme gebe es aber auch in Thüringen. „Wir wollen dieses Verhalten nicht bewerten. Wir wollen diesen Patienten in ihrer Situation helfen und zwar dort, wo ihnen am besten geholfen werden kann. Gleichzeitig werde mit der Portalpraxis sichergestellt, dass sich die Notaufnahmen wieder auf die Fälle konzentrieren können, für die sie wirklich da sind: Unfälle, lebensbedrohliche Erkrankungen und generell Patienten, die im Rettungswagen gebracht werden“, sagt Dr. Rommel.
Sektorengrenzen öffnen sich mit den Portalpraxen
Eine gemeinsame Notdienstkooperation von Krankenhaus und KV-Ärzten unter einem Dach, Zimmer an Zimmer - das klingt zunächst unspektakulär, ist aber eine kleine Revolution. Denn im sektoral geprägten Gesundheitssystem, das zwischen Krankenhaus und ambulanter Versorgung unterscheidet, war eine solche Konstruktion bisher nicht vorgesehen. Diese Sektorengrenzen öffnen sich mit den Portalpraxen, die vom Krankenhausstärkungsgesetz (KHSG) ermöglicht werden, derzeit in vielen Bundesländern. Allerdings klappt die Zusammenarbeit in Thüringen an vielen Krankenhäusern auch bisher schon gut, da die KV ihren Ärztlichen Notdienst bevorzugt in der Nähe oder sogar im Gebäude von Krankenhäusern eingerichtet hat. Mit der Portalpraxis rückt man also noch ein bisschen näher in Form einer Organisationseinheit.
Für Pleßmann ist das die Zukunft. Dazu gehört für ihn aber auch, die Sektoren noch enger zu verknüpfen und beispielsweise die Notrufnummern 112 und 116 117 zu verschmelzen. „Alles andere ist nicht mehr zeitgemäß“, ist er überzeugt. Ob die Pilotpraxen letztlich ein geeignetes und effektives Mittel zur Steuerung der wachsenden Patientenströme sind und die Erwartungen erfüllen, soll in den kommenden zwei Jahren in den DRK-Kliniken erprobt und evaluiert werden. Zum Vergleich wird derzeit geprüft, auch eine städtische Portalpraxis in das Modellprojekt aufzunehmen.
Ausblick: Der zwischen SPD und Union vereinbarte Koalitionsvertrag möchte noch einen Schritt weiter gehen. Darin heißt es:
Ausblick: Koalitionsvertrag 2018 der Bundesregierung SPD und Union: „Zur Verbesserung der Notfallversorgung wird eine gemeinsame Sicherstellung der Notfallversorgung von Landeskrankenhausgesellschaften und Kassenärztlichen Vereinigungen in gemeinsamer Finanzierungsverantwortung geschaffen. Dazu sind Notfallleitstellen und integrierte Notfallzentren aufzubauen.“