„Für die Behandlung von Covid gelten andere Regeln.“ Es ist Mitte Februar 2021, als Professor Michael Bauer diesen Satz sagt. Zuvor hat er in einem Impulsvortrag leidenschaftlich beschrieben, welche Lehren die Thüringer Krankenhäuser bislang aus der Zeit mit Corona ziehen. Nach gut einem Jahr Pandemie hat sich einiges verändert. Never waste a good crisis!
Zusammenarbeit, Kooperation, Solidarität, Miteinander - Es sind diese Aspekte, die wesentlich waren und sind, um der Situation Herr zu werden; um Kollaps und Eskalation zu verhindern. Es sind diese Aspekte, die in der Krise eine wahre Renaissance erleben. Als Professor Bauer seinen Impuls abschließt, hat er dem leidig gewordenen Corona-Thema einen Anstrich von Mut und Hoffnung verliehen.
Vor Expertinnen und Experten aus Politik und Gesundheitswesen beim ersten digitalen Nachmittagstalk der Barmer Thüringen macht der Intensivmediziner vor allem eines deutlich: „Wir müssen zusehen, dass wir das neue Wissen und die resilienteren Strukturen in die Zeit nach Covid retten.“
Level-Konzept und drei Eskalationsstufen
Professor Michael Bauer ist Direktor der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin am Uniklinikum Jena. Im Frühjahr 2020 hat er das Covid-Versorgungskonzept des Landes Thüringen wesentlich entwickelt und vorangetrieben. Die Kliniken im Land firmieren seither in drei unterschiedlichen Kategorien.
Level-1-Kliniken verfügen über große, voneinander getrennte Intensivstationen und behandeln vor allem die an Corona Erkrankten, die eine Beatmung benötigen. Level-2-Kliniken kümmern sich um die Corona-Patientinnen und -Patienten, die stationär behandelt, aber nicht beatmet werden müssen oder nur leichte Sauerstoffzufuhr benötigen. Die Kliniken in Level 3 versorgen unterdessen jene Patientinnen und Patienten, die nicht an Covid-19 erkrankt sind.
Obendrein gibt es drei Eskalationsstufen. In der ersten erfolgt die Behandlung von Covid-Erkrankten nach dem Level-Konzept. Reichen die Kapazitäten nicht aus, werden in einer zweiten Eskalationsstufe die Reha- und Vorsorgeeinrichtungen in die Krankenhausversorgung mit einbezogen. Die dritte Eskalationsstufe sieht das Errichten von Notkrankenhäusern vor.
„Wir haben uns zusammengetan und gefragt, wie wir in Thüringen die Krise überstehen und den Systemkollaps abwenden können“, beschreibt Michael Bauer den Anfang der neuen Kultur der Zusammenarbeit unter den Kliniken. Stets präsent in den Überlegungen zu diesem Zeitpunkt: die Bilder von Bergamo, Italien. Knapp ein Jahr danach bleibt, glücklicherweise, nur die Wortwahl dramatisch: als „schlachtentscheidend“ bezeichnet Bauer die Festlegungen im Thüringer Covid-Versorgungskonzept und die wesentlich intensivierte Kooperation unter den Krankenhäusern.
Zusammenarbeit ohne Grenzen
So ist der Wettbewerb unter den Kliniken für die Zeit der Pandemie beinahe ad acta gelegt. Nur vereinzelt gab es Widerstände von Geschäftsführungen gegen den ärztlichen, gemeinschaftlichen, Konzerngrenzen überschreitenden Corona-Spirit, so Professor Bauer. Denn dieser vermag Leben zu retten. „In der ersten Corona-Welle Anfang 2020 lag die Sterblichkeit bei 23 Prozent. In der zweiten Welle, als das Covid-Versorgungskonzept gegriffen hat, ist sie drastisch gesunken auf 13 Prozent.“
Nicht nur Konzerngrenzen, auch die Grenzen zwischen den Fachabteilungen innerhalb der Krankenhäuser seien im Zuge der Pandemie stark verschwommen. Einer der wichtigsten Treiber dieser Prozesse war und ist das Thema Krankenhaushygiene. Aber auch das Wissen um die Therapie von an Covid Erkrankten hat die Disziplinen zu engerem Austausch gezwungen.
„Wir haben Anfang 2020 noch gedacht, es handle sich bei Corona um eine Art schwere Lungenentzündung. Doch schnell mussten wir feststellen, dass es binnen weniger Stunden nicht nur zu massivem Lungenversagen kommen kann. Auch neurologische Probleme wie Schlaganfälle rückten in den Fokus. Wir brauchten also wesentlich mehr Zusammenarbeit mit neurologischen Fachabteilungen und der interventionellen Radiologie.“
Telemedizin kann Leben retten
Ebenfalls entscheidend und „unbedingt in die Post-Covid-Ära zu retten“ ist aus Sicht Michael Bauers auch der verstärkte Einsatz telemedizinischer Verfahren. Um Überlastungssituationen in den Level-1-Kliniken abzuwenden haben Intensivmediziner per Telemedizin die Therapie von Covid-Patientinnen und -Patienten in Level-2-Kliniken begleitet. Landkreisgrenzen, die erwähnten Konzerngrenzen und jene zwischen Fachabteilungen - allesamt obsolet.
Später in der Diskussion wird Professor Bauer konkrete Worte in Richtung der anwesenden Landespolitik richten. Es müsse, und daran führe kein Weg vorbei, eine Telemedizinplattform geschaffen werden - speziell auf die Intensivmedizin ausgerichtet und besonders geeignet für die Behandlung von Covid-Patientinnen und -Patienten. Denn „für die Behandlung von Covid gelten andere Regeln“. Wie und auf welche weiteren Krankheitsbilder diese zu adaptieren sind, das seien die spannenden Fragen für die nahe Zukunft.
Gesundheitsregionen im „Kleeblatt-Prinzip“
Spannende Fragen für die Zukunft der Krankenhausversorgung wirft auch das Thema der überregionalen Zusammenarbeit auf. Denn zu all den während der Pandemie verschwommenen Grenzen zählen auch die der Bundesländer.
In fünf Großregionen sind diese zusammengefasst worden, um gegebenenfalls eine länderübergreifende oder deutschlandweite Umverteilung von Patienten, insbesondere von intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten, zu ermöglichen. Dieses „Kleeblatt-Prinzip“ fand auch für Menschen aus Thüringen Anwendung, als das Infektionsgeschehen in den nördlichen Landkreisen rasant anstieg.
Es habe deutlich die Spitzen abgefangen und Überforderungssituationen auf den Intensivstationen vermieden. Und es beweist, dass Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos sein kann, vielleicht sogar sein muss.
Fest steht: Als eines der ersten Bundesländer hat Thüringen eine unter den Krankenhäusern abgestimmte Versorgung von Covid-Intensivpatienten etabliert. Eine Überlastung des Systems ist dadurch maßgeblich verhindert worden. In der Notsituation der Pandemie hat die Zusammenarbeit der Thüringer Kliniken ein vollkommen neues Niveau erreicht. Das gilt es zu halten und dem pandemischen Armageddon mit Mut und Hoffnung entgegenzutreten.
„Never waste a good crisis!“, sind sich Winston Churchill und Professor Michael Bauer vom Uniklinikum Jena einig.