Zu Beginn dieses Jahres hat die Barmer.i ihre Arbeit aufgenommen. Als Unit für Digitalisierung soll sie alle Aktivitäten des Unternehmens im Bereich Digital Health koordinieren und neue Produkte entwickeln. Die Standortinfo sprach mit Dr. Regina Vetters, Leiterin der Barmer.i.
Frau Dr. Vetters, seit April leiten Sie die BARMER.i. Als Innovationsabteilung soll sie die Barmer in das Zeitalter der Digitalisierung führen. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Das Zeitalter der Digitalisierung hat längst begonnen, und sie bringt enorme Chancen für die Gesundheitsversorgung mit sich. Die Gründung der Barmer.i ist die richtige Antwort auf die Dynamik der Digitalisierung. Innovationen erfordern neue Denk– und Arbeitsweisen. Bei der Barmer.i haben wir die Freiräume, neue Ideen zu entwickeln und Konzepte auszuprobieren und das unter dem Dach einer großen Krankenkasse.
Sie arbeiten also wie ein Start-up, sind aber gleichzeitig Teil einer Körperschaft Öffentlichen Rechts. Das klingt wie zwei Welten, die da aufeinander prallen.
Ja, und das ganz bewusst. Unser Team besteht hälftig aus internen Mitarbeitern mit dem Fachwissen einer Krankenkasse und externen Kollegen aus Start-ups und Agenturen die mit anderen Methoden arbeiten. Wir brauchen Reibung und Diversität, um Innovation entstehen zu lassen. Darüber hinaus hat die Barmer ein Rotationsprogramm ins Leben gerufen. Jeder Mitarbeiter der Barmer, egal in welcher Abteilung oder Position er arbeitet, hat die Möglichkeit, für drei Monate bei der Barmer.i mitzuarbeiten. Die große Stärke der Barmer.i ist, dass wir bei der Entwicklung digitaler Lösungen auf diese Weise interdisziplinär auf hohem Niveau vorgehen können und ein immer größeres Netzwerk aufbauen.
Wie sehen Ihre Arbeitsweisen in diesem interdisziplinären Team aus?
Zunächst geht es darum, die Kundenbedürfnisse zu verstehen und unser Angebot darauf auszurichten. Was wir aus unserer internen Barmer-Sicht als Prozess begreifen, ist für unsere Kunden ein Lebensereignis. Jemand wird krank, zieht um, ein Angehöriger wird pflegebedürftig. In diese Lebenssituation begeben wir uns, um zu verstehen, wie wir hier bestmöglich unterstützen können. Mit neuen Services oder einer anderen Herangehensweise an unsere bisherigen Antrags- und Angebotswelt. Ideen werden frühzeitig beim Kunden getestet, um den Bedürfnisfokus bis in die Umsetzung beizubehalten. Großen Wert legen wir auf eine Fehlerkultur. Momente des Scheiterns begreifen wir als Chance zum kontinuierlichen Lernen.
Es gibt mehr als 100.000 Gesundheits-Apps auf dem Markt. Mit welcher Strategie wollen Sie sich innerhalb eines solch unübersichtlichen Angebot positionieren?
Die Barmer steht für Qualität und Vertrauen in der Gesundheitsversorgung. Das soll auch für unsere Apps gelten. Wir setzen nur auf Anwendungen, wenn sie einen konkreten Mehrwehrt für die User haben. Dieser muss sich in einer Evaluation zeigen. Außerdem müssen unsere Apps höchsten datenschutzrechtlichen Anforderungen entsprechen. Das erwarten unsere Kunden zurecht von uns. Neben den eigenen Projekten der Barmer.i setzen wir aber auch auf die Kooperation mit Start-Ups. Nirgendwo in Deutschland gibt es so eine vibrierende Start-up-Szene wie in Berlin. Erst vor ein paar Wochen haben wir rund 100 Start-upler eingeladen, um ins Gespräch darüber zu kommen, wie ihre Ideen und Produkte zu Leistungen einer gesetzlichen Krankenkasse werden können.
Warum ist die Barmer für Start-Ups ein interessanter Geschäftspartner?
Wenn eine App zum Beispiel durch einen Selektivvertrag Leistung einer Krankenkasse wird, entsteht für das Start-Up ein großer Absatzmarkt. Investitionskosten können so wieder eingeholt und Gewinne erzielt werden. Aber kaum ein App-Entwickler kennt die strengen Bedingungen, die sich durch das SGB V mit all seinen Regularien ergeben. Hier können wir Start-Ups beraten und Wege aufzeigen. Wichtig ist, dass sich die Start-Ups schon zu einem möglichst frühen Zeitpunkt bei uns melden, so dass bestimmte Bedingungen in die Produktentwicklung aufgenommen werden können.
Können Sie uns einen Einblick in Ihre laufenden Projekte geben? Welche Innovationen wird es demnächst von der BARMER.i geben?
Wir konzentrieren uns auf drei Aufgabengebiete. Wir wollen medizinische Innovationen für Patienten entwickeln, digitale Service-Angebote ausbauen und interne digitale Prozesse und Organisationsabläufe optimieren. Aktuell entwickeln wir zusätzliche Services für unsere „Meine Barmer“-Onlineangebote, versuchen werdenden Müttern digital durch den gesammelten Verwaltungsaufwand einer Schwangerschaft zu helfen und den Antrag zur Pflege komplett aus Anwendersicht zu gestalten in einfacher Sprache, bildhafter Unterstützung und eben digital. Neben medizinischen Apps haben viele Krankenkassen Service-Apps, mit denen Versicherte verschiedene Angelegenheiten schnell und unkompliziert erledigen können.
Wie wird die Krankenkasse der Zukunft aussehen? Wird sie nur noch im Virtuellen existieren?
Apps werden die Geschäftsstellen der Barmer ebenso wenig ersetzen wie den Besuch beim Arzt. Es geht uns darum, digitale Lösungen dort einzusetzen, wo sie Sinn machen und Erleichterungen bringen. Digitalisierung ist ja kein Selbstzweck, sondern wir entsprechen damit den Wünschen unserer Kunden. Aus Befragungen wissen wir, dass unsere Kunden moderne technische Innovationen nutzen wollen, um mit uns zu kommunizieren. Das gilt übrigens nicht nur für junge, sondern auch für ältere Versicherte.
Dr. Regina Vetters hat in Berlin, New York und Paris Politikwissenschaften studiert und zur Europäischen Kommunikationspolitik promoviert. Nach Stationen im Journalismus unter anderem bei Reuters und als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt Universität zu Berlin und der Universität Oslo arbeitete sie von 2007 bis 2017 als Unternehmensberaterin im Gesundheitswesen bei McKinsey. Seit April 2017 leitet sie die Barmer.i – die digitale Einheit der Barmer in Berlin.