Die Barmer fordert für die medizinische Versorgung in Thüringen einen strukturellen Wandel im Zusammenspiel von Land, Kostenträgern, Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten. Ein Aufruf zur Zusammenarbeit aller Akteure im Thüringer Gesundheitswesen.
Erfurt, 5. Dezember 2019 – „Es ist fünf vor zwölf! Der Gesundheitssektor steht unter hohem Druck. Es sollte nicht abgewartet werden, bis Leistungserbringern finanzielle Schieflagen drohen. Aktuell werden Ressourcen nicht zielgerecht genug eingesetzt und sogar verschwendet. Was es braucht, ist eine engere Zusammenarbeit und Vernetzung aller Akteure mit dem gemeinsamen Fokus auf Qualität und Nutzen für Patientinnen und Patienten“, sagt Birgit Dziuk, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Thüringen.
Rückenwind in dieser Position kommt von prominenter Stelle, nämlich vom Vorsitzenden des höchsten Beschlussgremiums der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, Professor Josef Hecken.
Während einer Veranstaltung am 27. November in Erfurt verdeutlichte Josef Hecken, vor welchen Herausforderungen das deutsche Gesundheitswesen steht. Der medizinisch-technische Fortschritt schreitet rasant voran, die Gesellschaft altert, Ärzte und medizinisches Fachpersonal reichen nicht aus und die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung steigen stärker als das Bruttoiunlandsprodukt, während die Entwicklung von Löhnen und Gehältern dieser Entwicklung nicht standhält. Vor diesem Hintergrund, so Birgit Dziuk und Josef Hecken, sei es dringend notwendig, zukunftssichere Strukturen aufzubauen und Gesundheitsversorgung „aus einem Guss“ zu organisieren. Das bringe letztlich vor allem Vorteile für Patientinnen und Patienten, weil Qualität und damit Patientensicherheit stärker in den Fokus rücken.
Fehlanreize auf Kosten der Solidargemeinschaft
„Medizinische Leistung sollte stets da erbracht werden, wo es am sinnvollsten ist und nicht da, wo es am meisten Geld bringt“, sagt die Chefin der Barmer in Thüringen und betont in diesem Zusammenhang, dass das „Geld der Krankenkassen“ letztlich das Geld der Versicherten und Arbeitgeber ist. Inakzeptabel ist nach Ansicht von Birgit Dziuk und Josef Hecken, dass für gleiche Leistungen unterschiedliche Bedingungen bei Zugang, Vergütung, Qualität und Leistungsdefinition bestehen. Denn das schafft Fehlanreize auf Kosten der Solidargemeinschaft.
Vieles, was einst aufwendig im Krankenhaus behandelt werden musste, ist mittlerweile ambulant machbar – bis hin zu bestimmten Operationen. Auf Basis dieser Tatsache fordern Krankenkassen bereits seit Längerem eine stärkere Spezialisierung im Leistungsportfolio der Krankenhäuser. „Bei allem Drang nach Spezialisierung darf die Grundversorgung jedoch nicht auf der Strecke bleiben“, so Birgit Dziuk. Es sei deshalb an der Zeit, auch unkonventionelle Wege einzuschlagen, damit die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen weiterhin gelingen kann. Denkbar sei beispielsweise, Ermächtigungen für Krankenhäuser auszuweiten, auch ambulante Leistungen zu erbringen, sofern diese qualitativ und quantitativ durch Vertragsärzte nicht geleistet werden können. Dazu gehört auch, Krankenhausbetten umzuwandeln und zu streichen. Thüringen ist das Flächenland mit höchsten Krankenhaus-Bettendichte.
Appell an die künftige Landesregierung
Mit ihren Positionen appelliert die Barmer auch an die künftige Thüringer Landesregierung, eine aktive und sektorenübergreifende Versorgungsplanung in den Koalitionsvertrag mit aufzunehmen. „Bestehende Landesgremien müssen intensiver genutzt werden, es braucht mehr aktiven gesundheitspolitischen Gestaltungswillen. Denkbar sind beispielsweise Gesundheitsregionen, in denen ambulante und stationäre Versorgung einheitlich geplant und gemeinschaftlich umgesetzt werden“, so Birgit Dziuk. Denn es bleibe keine Zeit, um auf Gesetzesänderungen auf Bundesebene zu warten. Thüringen könnte auf diese Weise eine bundesweite Vorreiterrolle einnehmen und den strukturellen Wandel im Gesundheitswesen zukunftsorientiert vorantreiben.
„Wir brauchen einen neuen Grundkonsens und müssen mit alten Rollenbildern abschließen. Einzelinteressen müssen hintenan stehen. Ziel ist, dass jedem Menschen eine medizinische Versorgung in größtmöglicher Qualität mit den modernen Möglichkeiten der Medizin zugänglich bleibt. Die finanziellen Ressourcen im System reichen aktuell aus, müssen aber umverteilt werden“, so Birgit Dziuk.