Erfurt, 23. Oktober 2019 – Die Barmer fordert ein Umdenken beim Umgang mit Blutkonserven in Thüringer Kliniken. Hintergrund ist, dass demografiebedingt immer weniger Menschen Blut spenden. Zudem lassen sich gesundheitliche Komplikationen in zahlreichen Fällen vermeiden, wie der aktuelle Barmer Krankenhausreport aufzeigt. Um Risiken für Patientinnen und Patienten zu minimieren und Blutkonserven einzusparen, plädiert die Krankenkasse für ein konsequentes Umsetzen des Konzepts „Patient Blood Management“, kurz PBM.
„Bluttransfusionen können Leben retten, daran besteht kein Zweifel. Kein Zweifel besteht aber auch daran, dass die Ressource Blut immer knapper wird“, sagt Birgit Dziuk, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Thüringen. Derzeit werden bei 6,5 Prozent aller Operationen im Freistaat Blutkonserven gebraucht. Nach Ansicht der Barmer könnte diese Rate deutlich gesenkt werden. „Zahlreiche Bluttransfusionen sind vermeidbar durch das Behandlungskonzept ‚Patient Blood Management‘“, sagt Birgit Dziuk.
Mit eben diesem Konzept werden Patientinnen und Patienten durch Stärkung körpereigener Blutreserven optimal auf Operationen vorbereitet. Blutverluste vor, während und nach planbaren Eingriffen fallen durch das spezielle Behandlungskonzept wesentlich niedriger aus. Transfusionen samt Risiken werden dadurch seltener.
Mehr Informationen für Patienten
„Ob und im welchem Umfang dieses nachhaltige Behandlungskonzept in Thüringen umgesetzt wird, ist nicht bekannt“, bedauert Barmer-Landeschefin Birgit Dziuk. Ein zentrales Register oder anderweitige Informationsquellen für Patienten gibt es nicht. Krankenhäuser sollten ihren PBM-Status deshalb öffentlich machen, so die Forderung der Barmer nach mehr Transparenz.
In Richtlinien der Bundesärztekammer sind aktuell mehrere Passagen enthalten, die im Sinne des PBM-Konzeptes sind. „Diese sind ein guter Anfang. Nun brauchen wir konkrete Vorgaben und Strukturen, wie mit Blutkonserven bei Operationen umgegangen werden sollte“, sagt Birgit Dziuk. Denn Deutschland sei mit 47,7 Blutkonzentraten pro 1000 Einwohner weltweit Spitzenreiter im Verbrauch von Blutkonserven.
In Thüringen ist das Universitätsklinikum Jena (UKJ) das bislang einzige Krankenhaus, das Mitglied im PBM-Netzwerk Deutschland ist und dessen PBM-Status offiziell bekannt ist. Dr. Ansgar Raadts koordiniert das Patient Blood Management am UKJ, um den rationalen Umgang mit Blutkonserven interdisziplinär voranzubringen. „Jede Blutübertragung ist eine Art Minitransplantation, auf die der Körper reagiert. Folgen können ein längerer Krankenhausaufenthalt, Infektionen und ein höheres Sterberisiko sein. Das bewegt uns, sparsam mit der Ressource Blut umzugehen“, verdeutlicht Dr. Ansgar Raadts. Dazu gehöre insbesondere das Diagnostizieren und Behandeln von Blutarmut im Vorfeld von planbaren Operationen.
Hilfreich für Tausende Thüringer mit Blutarmut
Wie der Barmer Krankenhausreport aufzeigt, kann „Patient Blood Management“ vor allem den Tausenden Menschen mit Blutarmut in Thüringen helfen. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation zufolge, sind etwa 25 Prozent der Bevölkerung von Blutarmut betroffen – was rund 500.000 Menschen in Thüringen entspricht. In zahlreichen Fällen bleibt die Blutarmut jedoch unentdeckt. Wird sie aber vor planbaren Operationen erkannt und behandelt, sind bessere Behandlungsergebnisse, kürzere Krankenhausaufenthalte, eine niedrigere Sterblichkeitsrate, geringere Kosten und ein geringerer Verbrauch an Blutkonserven die Folge. „Planbare Operationen sollten nur noch nach einer Behandlung der Blutarmut erfolgen“, schlussfolgert Birgit Dziuk aus den Ergebnissen der Versorgungsforschung der Barmer.
Demnach bekommen Patienten mit Blutarmut wesentlich häufiger Bluttransfusionen verabreicht als Patienten ohne. Beispielsweise haben in den Jahren 2005 bis 2016 rund 67 Prozent der Patienten mit Blutarmut bei einer Bypass-Operation am Herzen eine Transfusion erhalten. Demgegenüber stehen Patienten ohne Blutarmut, von denen im gleichen Zeitraum beim gleichen Eingriff lediglich 49 Prozent eine Bluttransfusion gegeben werden musste. Die Sterblichkeitsrate nach Bypass-Operationen liegt bei Anämie-Patienten bei 4,3 Prozent, bei Patienten ohne Blutarmut lediglich bei 1,8 Prozent.
In Deutschland gut, international schlecht
In Thüringen sind im Jahr 2017 bei 6,5 Prozent aller Operationen Bluttransfusionen gegeben worden. Als einziges neues Bundesland erreicht Thüringen somit eine Transfusionsrate unterhalb des bundesweiten Durchschnitts von 6,6 Prozent. Schlusslicht ist Mecklenburg-Vorpommern mit 7,7 Prozent. Bayern ist Spitzenreiter, dort werden bei 6,1 Prozent der Operationen Blutkonserven eingesetzt. „Jährlich sinkt die Rate um etwa 2,7 Prozent, was durchaus positiv zu sehen ist“, sagt Birgit Dziuk. Von einer Annäherung an beispielsweise die Niederlande, wo der Verbrauch an Blutkonserven nur etwa halb so hoch ist, könne aber keine Rede sein. „Deutschland hat hier einiges aufzuholen, Thüringens Krankenhäuser könnten deshalb eine Vorreiterrolle einnehmen“, so die Barmer-Landeschefin.
Blässe, Müdigkeit und Erschöpfung sind Anzeichen einer Blutarmut. Grund für eine Anämie kann zum Beispiel eine starke Regelblutung bei Frauen sein, aber auch ein Mangel an Vitamin B12 und Folsäure. Häufigste Ursache für eine Anämie ist Eisenmangel. Dieser lässt sich einfach behandeln. Meist genügt eine Ernährungsumstellung, bei der anfangs viel Eisen zugeführt wird, um die Depots zu füllen, und später dafür Sorge getragen, dass sich kein Mangel mehr einstellt. Eine große Menge des Spurenelements Eisen steckt beispielsweise in Schweineleber und Austern. Vegetarier und Veganer können sich mit Hülsenfrüchten behelfen: Linsen, Erbsen und weißen Bohnen. Weitere pflanzliche Eisen-Lieferanten: Pfifferlinge und rote Bete.
Patient Blood Management (PBM) umfasst Maßnahmen für den effizienten Umgang mit Blutprodukten zur Steigerung der Patientensicherheit. Das Konzept basiert auf drei Säulen.
Säule 1: Anämie erkennen und behandeln:
Zentrale Maßnahmen sind Diagnose und Behandlung einer Anämie. Damit sollte bereits im Vorfeld von planbaren Operationen mit hoher Transfusionswahrscheinlichkeit begonnen werden. Bei planbaren Eingriffen handelt es sich um Operationen, die keine Notfälle sind und um einen gewissen Zeitraum verschoben werden könnten. Die Therapie der Anämie ist dabei gemäß der Ursache zu wählen. Es sollten Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medikamenten beachtet werden.
Säule 2: Blutverluste vermeiden:
Ziel ist das Minimieren von Blutverlusten bei gleichzeitigem Einsatz fremdblutsparender Maßnahmen. So kann beispielsweise vor Operationen das Blutungsrisiko abgeklärt werden, kleinere Entnahmeröhrchen verringern Blutverluste und OP-Abläufe können im Hinblick auf minimale Blutverluste optimiert werden. Während Operationen werden blutsparende chirurgische Techniken wie zum Beispiel minimalinvasive Eingriffe angewendet, blutstillende Mittel kommen zum Einsatz und es werden Maßnahmen zur Bluterhaltung, wie beispielsweise maschinelle Autotransfusion (Blutverluste bei OP werden aufgefangen, gewaschen und dem Patienten zurück transfundiert) umgesetzt.
Säule 3: rationaler Umgang mit Blutkonserven:
Hierbei geht es um Maßnahmen, die auf den rationalen Einsatz von Blutkonserven abzielen. Es soll ein starkes Bewusstsein für eine sorgfältige Abwägung bezüglich der Entscheidungen über Bluttransfusionen geschaffen werden. Erst wenn rationale Kriterien erfüllt sind, sollte eine Bluttransfusion verabreicht werden.
Eine Blutarmut, auch als Anämie bezeichnet, ist ein Mangel an roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und rotem Blutfarbstoff (Hämoglobin). Die Hauptaufgabe der roten Blutkörperchen ist es, Sauerstoff von der Lunge zu den verschiedenen Geweben des Körpers zu transportieren.
Wenn die Rede von einer Bluttransfusion ist, dann ist damit die Transfusion eines Erythrozytenkonzentrats gemeint, also ein Konzentrat aus roten Blutkörperchen. Ein Bestandteil der roten Blutkörperchen ist der rote Blutfarbstoff Hämoglobin, ein eisenhaltiges Protein. Dieses befähigt die roten Blutkörperchen zum Transport von Sauerstoff im Blut.
Das Deutsche Patient Blood Management Netzwerk bietet Kliniken aller Versorgungsstufen eine Plattform der Zusammenarbeit für das gemeinsame Ziel einer gesteigerten Patientensicherheit. Es ist das größte Netzwerk seiner Art in Deutschland. Gegründet wurde es im Jahr 2014 am Universitätsklinikum Frankfurt. Bereits drei Jahre nach Gründung haben deutschlandweit mehr als 200 Kliniken aktiv Interesse am Netzwerk gezeigt.