25 Jahre Soziale Sicherung in Thüringen: Zum 1. Januar 1991 wurde mit dem Einigungsvertrag die vollständig gegliederte Sozialversicherung eingeführt – mit plötzlich über 1100 Krankenkassen statt Einheitskasse. Dies feierte die Barmer GEK am 20. Januar mit einer Festveranstaltung in Erfurt.
Erfurt (20.01.2016). Aufbruchsstimmung herrschte nach dem Fall der Mauer und mit der Wiedervereinigung, die den neuen Bundesländern nicht nur die D-Mark brachte, sondern auch ein neues Sozialsystem. "25 Jahre später lässt sich feststellen: Die gesetzlichen Krankenkassen haben einen wichtigen Beitrag für die Wiedervereinigung und den sozialen Frieden geleistet", sagt Hermann Schmitt, Landesgeschäftsführer der Barmer GEK in Thüringen. Aus diesem Anlass feiert die Barmer GEK am 20. Januar in Erfurt mit einer Festveranstaltung ein Vierteljahrhundert soziale Sicherung in Thüringen.
"Eine Zeit, in der die Realität die Fantasie überholte"
Den Festvortrag hält Dr. Johannes Vöcking, der 1990 als Büroleiter von Bundesminister Norbert Blüm und Leiter des Aufbaustabes für die neuen Bundesländer tätig war. Der Titel des Vortrags: "Eine Zeit, in der die Realität die Fantasie überholte". Als Vertreter der folgenden Generation berichtet Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff über seine Erfahrungen mit dem Gesundheitswesen. Der Chef der Thüringer Staatskanzlei war bis 2011 Staatssekretär für Gesundheit in Berlin.
"Als die Realität die Phantasie überholte", überschrieb Dr. Johannes Vöcking seinen Festvortrag über die bewegten Wendejahre.
Minister Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff berichtete über seine Erfahrungen mit 25 Jahren Gesundheitssystem in den neuen Bundesländern.
Wiedervereinigung förderlich für die Gesundheit der Thüringer
Die Bilanz der letzten 25 Jahre kann sich sehen lassen, sagt Hermann Schmitt Pressemitteilung: Die Wiedervereinigung hat sich extrem positiv auf die Gesundheit der Thüringer ausgewirkt. Die Lebenserwartung, die vorher unter dem westdeutschen Niveau lag, ist seitdem deutlich gestiegen. Die Versorgung mit innovativen Medikamenten und medizinischen Leistungen ist vorbildlich. Wir haben so viele Ärzte wie nie in Thüringen und ein starkes System solidarisch finanzierter gesetzlicher Krankenkassen, um das wir in vielen Ländern weltweit beneidet werden. Im aktuellen Thüringen-Monitor der Landesregierung sagen 53 Prozent der Thüringer, die noch selbst bewusst die DDR erlebt haben, dass die Gesundheitsversorgung in den vergangenen 25 Jahren besser geworden ist. Das lässt sich auch in Zahlen ablesen: Nach Angaben des Statistischen Landesamtes Thüringen…
- betrug die Lebenserwartung von Kindern, die 1990 geboren wurden, rund 76,8 Jahre bei Frauen und 70 Jahre bei Männern. Im Vergleich zum früheren Bundesgebiet waren dies etwa drei Jahre weniger (79,3 bzw. 72,9 Jahre). Heute liegt die Lebenserwartung in Thüringen bei 82,5 Jahren beziehungsweise 76,9 Jahren. Das ist ein Zugewinn an Lebenszeit von fast sieben Jahren bei den Männern. Die Lebenserwartung ist damit heute Ost wie West nahezu gleich hoch.
- ist die Säuglingssterblichkeit seit der Wiedervereinigung zurückgegangen: Von 8 Todesfällen je 1000 Geborenen im Jahr 1990 (in Summe 228) auf heute 2,6 Sterbefälle (insgesamt 45).
- waren in Thüringen 2013 insgesamt 8872 Ärzte tätig, im Jahr 1995 waren es erst 7209 Ärzte. Hinzu kommen rund 2000 Zahnärzte. Dadurch ist das Verhältnis von 347 auf heute 244 Einwohner je Arzt gesunken.
- stiegen die Gesundheitsausgaben in Thüringen auf 8,3 Milliarden Euro im Jahr 2012.
Ironie der Geschichte: Renaissance von Versorgungsformen der DDR
Den Thüringern geht es gesundheitlich heute besser als vor 25 Jahren. Damit steigen die Chancen immer älter zu werden. Das heißt aber nicht, dass wir uns darauf ausruhen können. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung steht der deutsche Sozialstaat vor gravierenden Herausforderungen. Es ist schon ein Stück weit Ironie der Geschichte, dass wir heute mitunter auf Versorgungsformen der DDR zurückgreifen und diese als Innovation feiern, sagt Schmitt. Angefangen bei der Gemeindeschwester, die heute Verah heißt oder NäPa (Nichtärztliche Praxisassistentin), bis hin zur Poliklinik, die als Medizinisches Versorgungszentrum eine Renaissance erlebt. Auch die Dispensaire-Versorgung der DDR finden wir heute in ähnlicher Form als Disease-Management-Programme (DMP) für die koordinierte ärztliche Versorgung vor allem chronisch Kranker wieder.
Drei ehemalige Gesundheitsminister(innen) von Thüringen beehrten die Runde ebenfalls: Dr. Hans-Henning Axthelm (rechts, Minister von 1990 bis 1992), Dr. Frank-Michael Pietzsch (links, Minister von 1992-94 und 1999-2003), CDU-Landtagsabgeordnete Christine Lieberknecht (Ministerin für Gesundheit von 2008 bis 2009, sowie ehemalige Ministerpräsidentin). Sowie die amtierende Staatssekretärin für Gesundheit in Thüringen, Ines Feierabend (2. v.l.) und Barmer GEK Landesgeschäftsführer Hermann Schmitt (Mitte).
Stellvertretend für die Aufbauarbeit der vielen neuen Mitarbeiter in den neuen Bundesländern vor 25 Jahren wurde Carmen Geigenmüller mit der Silbernen Verdienstmedaille der Barmer GEK geehrt. Die Dankesworte sprachen Landesgeschäftsführer Hermann Schmitt und Thüringens Staatssekretärin für Gesundheit (l.) Ines Feierabend.
Reformbedarf bei Prävention und im Krankenhausbereich
Großes Potenzial sieht Schmitt im geplanten Ausbau flächendeckender Angebote zur Gesundheitsförderung in Thüringen mit dem neuen Präventionsgesetz: Viele sogenannte Volkskrankheiten ließen sich zum Teil vermeiden, da sie Folge unseres modernen, aber nicht immer gesunden Lebensstils sind. Freilich haben wir kein Erkenntnisproblem, wie schädlich Übergewicht, Bewegungsmangel und Rauchen sind. Erreichen können wir die Menschen jedoch nur, wenn wir sie in ihrem Lebensumfeld gezielt ansprechen, also dort, wo sie leben, arbeiten oder studieren. Diesen Weg gehen wir jetzt verstärkt mit dem Präventionsgesetz.
Unterschiede bei der Lebenserwartung gibt es heute nicht mehr zwischen Ost und West, sondern zwischen Arm und Reich. Studien zufolge sind vor allem Menschen mit niedrigem Sozialstatus häufiger krank und sterben früher. Frauen mit sehr niedrigem Einkommen haben laut Robert-Koch-Institut eine um acht Jahre geringere Lebenserwartung als Frauen mit hohem Einkommen.
"Kleine Krankenhäuser werden Probleme bekommen"
Kritisch sieht Schmitt in Thüringen vor allem die Entwicklung im Krankenhaussektor: Nach zahlreichen Fusionen von Standorten in den Neunziger Jahren erleben wir seitdem einen Stillstand und in einigen Bereichen sogar Überversorgung. Der demografische Wandel macht aber auch vor der Krankenhausstruktur nicht Halt. Deshalb werden insbesondere kleine Krankenhäuser im ländlichen Bereich in den kommenden Jahren nicht nur finanzielle Probleme bekommen, sondern auch kaum die Kriterien und Mindestmengen erfüllen, die für eine hohe medizinische Qualität erforderlich sind. Schmitt plädiert deshalb für eine flächendeckende Grundversorgung einerseits, flankiert durch eine Zentralisierung von spezialisierten Fachabteilungen, etwa in der Onkologie oder Orthopädie. Dies sichert die nötige Qualität bei schwierigen Eingriffen und liegt auch im Interesse der Patienten, da er nur noch von erfahrenen Spezialisten behandelt wird. Ein solches abgestuftes Versorgungssystem hat es im Übrigen auch schon in der DDR gegeben: angefangen bei Klinken der Grundversorgung über Kreiskrankenhäuser, Bezirkskliniken bis hin zu Hochschulkliniken. Auch die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung, die wir heute einfordern, hat damals schon ziemlich gut geklappt, sagte Schmitt