Seit 2010 wurden ein Drittel mehr Hörgeräte in der Altersgruppe der 15- bis 35-Jährigen verordnet. Woher kommt der drastische Anstieg? Hört die Jugend immer schlechter - oder ist ein Hörgerät gar nicht mehr so schlimm?
Erfurt (4.10.2016). Träger von Hörgeräten werden immer jünger: Im vergangenen Jahr erhielten 1.065 Versicherte der Barmer GEK bundesweit im Alter von 15 bis 35 Jahren eine Hörhilfe – fast ein Drittel mehr als 2010 (mit 814 Verordnungen). „Man hat heute oft im eigenen Umfeld den Eindruck, dass zunehmend junge Menschen ein Hörgerät tragen. Unsere Zahlen bestätigen den Trend“, sagt Robert Büssow, Sprecher der Barmer GEK in Thüringen. Ob junge Menschen tatsächlich schlechter hören als früher, lässt sich aus den Zahlen jedoch nicht direkt ableiten. „Wir vermuten eher eine andere Ursache: Hörgeräte werden immer kleiner, unauffälliger und sind gesellschaftsfähig geworden. Das senkt für junge Menschen die Hemmschwelle. Auf der anderen Seite gibt es auch stylische Modelle, die vor allem von Mädchen gern als modisches Accessoire getragen werden“, so Büssow weiter.
Teenager bekommen deutlich mehr Hörgeräte verordnet
Hörgeräte sind vor allem Frauensache
Tendenziell steigt die Zahl der Verordnungen mit dem Alter. Überraschend ist daher, dass gerade bei 15- bis 20-Jährigen die Zahl der Hörhilfen im Vergleich besonders angestiegen ist. Die Teenager haben inzwischen die 21- bis 30-Jährigen klar überholt (siehe Grafik). „Ob Musikfestivals schuld sind, zu laute Kopfhörer oder die Bereitschaft gestiegen ist, ein Hörgerät zu tragen – wahrscheinlich spielt alles eine Rolle“, so Büssow. Gerade junge Menschen unterschätzen leicht, wie nachtragend das Ohr sein kann. Denn für das Ohr macht es keinen Unterschied, ob es sich um Lärm handelt oder Rockmusik. Ist es zu laut, werden die feinen Haarzellen im Innenohr irreparabel geschädigt. Deshalb sollte man sich nie direkt vor Lautsprecher stellen und am besten noch zusätzlich Ohrstöpsel dabei haben.
Überraschend: Etwa 55 Prozent aller Hörgeräte werden Frauen verordnet. Also nur ein Vorurteil, dass Männer schlecht hören? Zumindest sind Frauen offenbar eher bereit, einen Hörverlust durch technische Hilfe auszugleichen.
In Thüringen wurden 2015 in der Altersgruppe 15 bis 35 Jahre insgesamt 24 Hörgeräte verordnet – aufgrund der geringen Fallzahl lässt sich hier kein Trend herauslesen. Bei knapp acht Prozent aller Thüringer aus allen Altersgruppen wurde im vergangenen Jahr ein Hörschaden diagnostiziert (rund 160.000 Personen) – oft nur zeit- oder teilweise, darunter beispielsweise auch Hörstürze.
Hintergrund: Hörminderungen sind ein schleichender Prozess
„Lärm zerrt an unseren Nerven, greift unsere Psyche an und kann Stress-Symptome wie Kopfschmerzen, Nervosität sowie Kreislauf- und Magen-Darm-Beschwerden auslösen – auch schon in jungen Jahren“, sagt Dr. Ursula Marschall, leitende Medizinerin bei der Barmer GEK. Die Medizinerin rät deshalb, das Gehör von Kindern und Jugendlichen regelmäßig untersuchen zu lassen. Hör-Checks werden von vielen Hörakustikern kostenlos angeboten. Auch die alltägliche Geräuschkulisse sollte man nicht unterschätzen: Hörminderungen sind in der Regel ein schleichender Prozess, der erst nach Jahren erkannt wird. „Das kann sich negativ auf Sprachentwicklung, Lernleistungen und soziale Beziehungen auswirken. Denn nur wer gut hört, kann dem Unterricht und auch Gesprächen mit Freunden folgen“, so Marschall.