Erfurt, 25. April 2023 – Thüringens Kinder haben während der Corona-Pandemie unter vielen Entbehrungen gelitten und tragen heute die Konsequenzen für ihre Gesundheit. Zu diesem Schluss kommt der aktuelle Arztreport der Barmer Thüringen, in welchem die Entwicklung verschiedener „klassischer“ Kinderkrankheiten untersucht worden ist. Viele sonst übliche Infektionen sind demnach während der Pandemie ausgeblieben, weswegen nun heftige Krankheitswellen drohen oder bereits im Gange sind.
„Angesichts intensiver Nachholeffekte sind teils außergewöhnlich schwere Verläufe nicht auszuschließen. Das betrifft Krankheiten wie Scharlach, Ringelröteln oder auch Infekte mit dem RS-Virus. Um solche negativen Effekte für die Zukunft zu vermeiden, müssen wir die richtigen Lehren aus der Pandemie ziehen“, sagt Birgit Dziuk, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Thüringen. Es brauche evidenzbasierte Konzepte mit Augenmaß, die im Falle einer Pandemie als eine Art Blaupause vorliegen. Zudem müsse das Thema Gesundheit in Thüringens Lehrplänen eine viel stärkere Rolle spielen als bislang. Es sei von immenser Bedeutung für die gesamte Gesellschaft, die individuelle Gesundheitskompetenz zu stärken.
Verdacht auf Meldelücken bei Scharlach
Wie aus dem Barmer Arztreport hervorgeht, ist während der Pandemie unter anderem die übliche Scharlach-Welle bei Kindern in der Kita nahezu ausgeblieben. In Thüringen haben sich im Jahr 2019 noch rund 5.600 Kinder mit Scharlach infiziert, im Jahr 2021 waren es nur noch 529. Das entspricht einem Rückgang von knapp 91 Prozent. Ein massiver Nachholeffekt lässt sich aktuell bereits angesichts der Zahlen des Robert-Koch-Instituts vermuten, die für 2023 bereits die Meldezahlen des gesamten Jahres 2019 übersteigen. Jedoch ist bei den Daten des RKI von erheblichen Meldelücken auszugehen. Die sehr niedrigen Werte des RKI wiesen auf eine Untererfassung hin. „In Thüringen besteht für Scharlach eine Meldepflicht. Es ist wichtig, dass diese ernst genommen wird“, so Birgit Dziuk. Nur so könne auf aktuelle Entwicklungen schnell reagiert werden.
Höchststand an Infektionen mit Hand-Fuß-Mund-Krankheit
Den Analysen im Barmer Arztreport zufolge sind neben Scharlach weitere klassische Kinderkrankheiten während der Pandemie seltener aufgetreten als in den Jahren zuvor. Das gelte beispielsweise für Ringelröteln. Hier gingen die Infektionen in Thüringen um 74 Prozent zurück. Beim Pfeifferschen Drüsenfieber ist ein Rückgang um 55 Prozent verzeichnet. „Einzig bei der Hand-Fuß-Mund-Krankheit gibt es einen gegenteiligen Effekt“, sagt Birgit Dziuk. Im vierten Quartal 2021 seien mit mehr als 4.100 Thüringer Kindern so viele von dieser Erkrankung betroffen wie noch nie zuvor in einem Quartal. „Eine weitere Beobachtung der Hand-Fuß-Mund-Krankheit ist wegen der besonderen Entwicklung dieser Erkrankung sinnvoll“, betont Dziuk. Das gelte vor allem vor dem Hintergrund, dass sich ein Kind durchaus mehrfach anstecken könne. Diese Krankheit könne auch an Erwachsene übertragen werden. „Wir sollten genau im Blick haben, wie sich die Fallzahlen entwickeln“, so Dziuk. Es sei nicht auszuschließen, dass es trotz ohnehin schon hoher Fallzahlen einen Nachholeffekt ähnlich wie bei Scharlach geben werde.
Pandemiemaßnahmen bremsen Windpocken zusätzlich aus
Bereits vor der Pandemie hätten vor allem Schutzimpfungen dazu geführt, dass Kinderkrankheiten eine rückläufige Tendenz zeigen. Das belege exemplarisch die Diagnoserate für Windpocken. Eine Empfehlung für die Schutzimpfung gegen Windpocken gebe es in Deutschland seit dem Jahr 2004. Vor der Einführung der Schutzimpfung hätten sich mehr als 90 Prozent aller Kinder mit dem für die Windpocken verantwortlichen Varizella-Zoster-Virus infiziert. Von 2005 bis 2019 sei die Diagnoserate bei Thüringer Kindern bis 14 Jahren um 94 Prozent gesunken. Während der Pandemie habe es nochmal rund 54 Prozent weniger Windpocken-Erkrankungen gegeben. So seien landesweit im Jahr 2021 nur noch 265 Kinder mit Windpocken infiziert gewesen. „Der Rückgang der Fallzahlen ist auch deswegen eine gute Nachricht, da Kinder, die eine Windpocken-Infektion durchgemacht haben, als Erwachsene an einer Gürtelrose erkranken können. So wird diese mögliche Folgeerkrankung ebenfalls ausgebremst“, erklärt Birgit Dziuk.
Heranwachsende auch während Pandemie gut versorgt
Der Barmer Arztreport liefert neben Erkenntnissen zur Entwicklung klassischer Kinderkrankheiten auch einen Überblick über die gesamte Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Dabei zeigt sich, dass die Heranwachsenden während der Pandemie ähnlich häufig versorgt wurden wie vor Corona. So haben im Jahr 2021 von den rund 270.000 Kindern bis 14 Jahren in Thüringen 93,5 Prozent mindestens einmal eine ambulante ärztliche Behandlung erhalten. Vor der Pandemie lag die Behandlungsrate mit 94,4 Prozent nur geringfügig höher. Bei den Säuglingen und Kleinkindern bis vier Jahre waren sogar durchweg 99 Prozent in ärztlicher Behandlung. „Es ist ein wichtiges Ergebnis, dass nahezu alle Babys und Kleinkinder im Land während den ersten beiden Corona-Jahren wenigstens einmal jährlich bei einer Ärztin oder einem Arzt vorstellig waren“, so Dziuk.