Seit fast einem halben Jahr stehen Dr. Bettina Schultz, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Diplom-Kaufmann Karsten Brandstetter und Wirtschaftsinformatiker Alexander Paquet an der Spitze der KVSH. Wir haben nachgefragt, wie sie die aktuellen Herausforderungen der ambulanten Versorgungsstrukturen meistern wollen.
Fragen an die KVSH-Vorstandsvorsitzende Frau Dr. med. Bettina Schultz:
Frau Dr. Schultz, wie fühlen Sie sich nach einem halben Jahr im neuen Amt? Vermissen Sie bestimmte Aspekte Ihres ärztlichen Alltags?
Die ärztliche Tätigkeit mit dem täglichen Kontakt zu meinen Patientinnen habe ich als sehr erfüllend erlebt und denke gern daran zurück. Meine neue Aufgabe bietet mir aber viele neue Herausforderungen, so dass ich die ärztliche Tätigkeit nicht in dem Sinne vermisse, dass ich den Wechsel bereuen würde. Dazu trägt auch bei, dass ich meine ehemaligen Patientinnen bei meiner Praxisnachfolgerin sowohl in menschlicher als auch in medizinischer Hinsicht in guten Händen weiß.
Und es ist kein Abschied von der Medizin, im Gegenteil. Gerade für die Tätigkeit als Vorstandsvorsitzende der KVSH sind meine ärztlichen Erfahrungen von großem Nutzen. Denn unsere Entscheidungen haben Auswirkungen auf die tägliche Arbeit unserer Mitglieder in den Praxen. Deshalb ist bei vielen Fragestellungen, die uns beschäftigen, ein ärztlicher Blick wichtig, um zu guten und praxisnahen Entscheidungen zu kommen.
Die Stiftung Patientenschutz fordert einen Praxis-Atlas, der Patientinnen und Patienten online umfassende Informationen zur Versorgungsqualität, Ärzteverfügbarkeit, Fehlerkultur und medizinischem Angebot bietet. Wie bewerten Sie diesen Vorschlag?
Es gibt bereits eine Vielzahl von Bewertungsportalen. Menschen, die Beschwerden haben und ärztliche Ansprechpartner suchen, bieten sie aber wenig Orientierung. Die Bewertungen sind oft höchst subjektiv und sagen nichts über die medizinische Qualität der Behandlung aus. Mancher Patient bewertet den Arzt auch negativ, weil eine medizinische Auskunft „unbequem“ war, etwa, weil auf die Notwendigkeit der eigenen Mitwirkung bei der Genesung hingewiesen wurde. Zu erinnern ist daran, dass die Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Medizin wie keine andere Berufsgruppe einer intensiven Qualitätssicherung unterliegen. Für rund zwei Drittel aller diagnostischen und therapeutischen Leistungen gelten spezielle Qualitätsanforderungen. Wir brauchen also keine neuen Internetportale, bei denen vermeintlich die Qualität der Versorgung bewertet wird, zumal offen ist, wer das dort nach welchen Kriterien seriös bewerten sollte.
Patientinnen und Patienten suchen nach meiner Erfahrung nach einer Praxis in ihrer Nähe, in der sie sich gut aufgehoben fühlen, wenn es ihnen nicht gut geht. Das hat viel mit Vertrauen und Nähe zu tun. Wir sollten deshalb unser Augenmerk darauf richten, diese patientennahe Versorgung in den Stadtteilen und Gemeinden zu erhalten, wo man sich und auch seine Ärztin oder seinen Arzt kennt und den eigenen Erfahrungen vertraut. Diese erlebte Nähe der Versorgung ist durch Bewertungsportale nicht zu ersetzen.
Fragen an den Stellvertretenden Vorstandsvorsitzen der KVSH, Dipl.-Kfm. Karsten Brandstetter:
Herr Brandstetter, die Selbstverwaltung ist Ihnen wichtig. Wie können wir mehr Menschen für die aktive Mitarbeit in den Gremien begeistern?
Es ist eine dauerhafte Herausforderung, Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten für die ehrenamtliche Mitarbeit zu gewinnen. Erst die Beteiligung möglichst vieler Mitglieder mit unterschiedlichen beruflichen und persönlichen Hintergründen erfüllt die Selbstverwaltung mit Leben. Deshalb ist es ein Anliegen, die Vielfältigkeit der Versorgung auch in den Gremien besser abzubilden, also jung, alt, Frau, Mann, verschiedene Arztgruppen und Praxismodelle, unterschiedliche Formen der Berufsausübung. Auch die Angestellten gehören dazu, sie sind leider noch zu wenig sichtbar. Wir müssen stetig für das persönliche Engagement und dessen Bedeutung im Hinblick auf die Selbstverwaltung werben. Hierbei ist es sinnvoll, wenn dies ehrenamtlich aktive Personen selbst tun; aus eigener Überzeugung und Erfahrung.
Ein Pluspunkt, das erlebe ich seit der Übernahme meiner Vorstandsposition selbst, ist bei uns, dass in den Gremien der KVSH das kollegiale Miteinander, das gemeinsame Ringen um gute Lösungen im Vordergrund steht. Diese positive und respektvolle Atmosphäre ist nicht selbstverständlich und führt dazu, dass die Zusammenarbeit in den Gremien für alle, auch für mich als Vorstand, angenehm und gewinnbringend ist.
Nicht nur bei Ärztinnen und Ärzten droht ein Fachkräftemangel. Auch bei Medizinischen Fachangestellten (MFA) fehlen zunehmend Fachkräfte. Wie lässt sich der Beruf attraktiver gestalten? Was kann die KVSH dazu beitragen?
Das ist ein großes Problem. Die Praxen haben mittlerweile erhebliche Schwierigkeiten, Medizinische Fachangestellte zu finden. Wir als KVSH spüren das selbst, wenn wir MFA für unseren Bereitschaftsdienst suchen. Um es klar zu sagen: Keine Praxis funktioniert ohne gutes, motiviertes Personal. Deshalb begrüßen wir Initiativen, die für diesen verantwortungsvollen und wichtigen Beruf werben, wie die Kampagne „Von Beruf wichtig: MFA – Ausbildung mit Zukunft“, die KBV und Bundesärztekammer gemeinsam ins Leben gerufen haben. Solche Anstrengungen müssen wir alle wahrscheinlich in Zukunft noch verstärken.
Die Personalprobleme in den Praxen verdeutlichen aber auch erneut, wie wichtig eine angemessene Honorierung in der ambulanten Versorgung ist. Es geht nicht, wie gelegentlich unterstellt, um Wohlstandzuwächse der Niedergelassenen, sondern darum, die Wettbewerbsfähigkeit der Praxen wiederherzustellen – auch beim Werben um qualifizierte Fachkräfte. Obwohl die Gehälter deutlich gestiegen sind, können Kliniken heute noch vielfach eine bessere Bezahlung bieten und so manche MFA hat deshalb der ambulanten Versorgung den Rücken gekehrt. Neben dem Gehalt müssen auch weitere Aspekte wie beispielsweise Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die allgemeinen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten beworben und ggf. auch ausgebaut werden. Leider tragen auch manche Patienten durch ihren rauen Umgangston gegenüber den MFA nicht zur Attraktivität des Berufes bei.
Fragen an Diplom-Wirtschaftsinformatiker Alexander Paquet, Vorstandsmitglied der KVSH:
Herr Paquet, Sie sind seit 20 Jahren bei der KVSH und kennen die Versorgungsstrukturen bestens. Wo sehen Sie die höchste Priorität für die Verbesserung digitaler Strukturen?
Es ist eine Erkenntnis aus den zurückliegenden Jahren, die gar nicht oft genug wiederholt werden kann, dass digitale Lösungen für den Anwender programmiert werden müssen. Die Nutzerinnen und Nutzer müssen einen tatsächlichen und erlebbaren Mehrwert haben.
Das mag banal klingen, aber leider hat sich bei den digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen zu oft gezeigt, insbesondere bei jenen, die von der Politik forciert wurden, dass der Nutzen zunächst fraglich blieb. Vielfach ist die Perspektive der Praktiker, die damit täglich umgehen müssen, nicht ausreichend berücksichtigt worden. Und zu oft wurde stur an Startterminen festgehalten, obwohl eine neue Anwendung noch nicht den notwendigen Reifegrad für den Einsatz in den Praxen hatte. Dass es die Begeisterung nicht fördert, wenn im Praxisbetrieb mit vollem Wartezimmer Probleme mit nicht ausgereiften TI-Anwendungen die Abläufe stören, ist offensichtlich. Das ist auch deshalb ärgerlich, weil daraus oftmals gefolgert wird, dass die Niedergelassenen digitale Neuerungen grundsätzlich ablehnen. Das ist aber ausdrücklich nicht der Fall.
Ein vielleicht zu lange übersehener Faktor sind übrigens die Praxisverwaltungssysteme (PVS). Das PVS ist das zentrale Arbeitstool der Praxis, es ist die erforderliche technische Basis, um die Anwendungen wie eAU, eRezept oder künftig auch die ePA sinnvoll nutzen zu können. Mit dem Funktionieren des PVS steht und fällt letztlich die Digitalisierung in den Praxen. Insofern begrüßen wir, dass die Politik mittlerweile Regelungen geschaffen hat, um die Anforderungen an die PVS verbindlicher zu definieren.
Eine weitere wesentliche Voraussetzung für ein digitales Gesundheitswesen sind zudem einheitliche Schnittstellen, die den sicheren Datenaustausch zwischen allen relevanten Akteuren ermöglichen. Es reicht nicht, wenn die einzelnen Sektoren ihre eigenen Abläufe digitalisieren, sondern alle Beteiligten – Krankenhäuser, Praxen, Heime, Apotheken – müssen zuverlässig elektronisch miteinander kommunizieren können. Dies gilt insbesondere in der Notfallversorgung. Dort sind, um zwei Beispiele zu nennen, standardisierte Schnittstellen sowohl zwischen den Leitstellen des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes (116117) und des Rettungsdienstes als auch zwischen den Anlaufpraxen und den Kliniknotaufnahmen dringend erforderlich.
Erlauben Sie mir, auf eine weitere große Baustelle hinzuweisen. Die Entwicklung der KI wird uns absehbar vor große Herausforderungen stellen. Wir werden darüber sprechen müssen, wie wir in der Gesundheitsversorgung mit dieser Entwicklung umgehen wollen. Die Chancen sind enorm und wir sollten sie nicht den Tech-Konzernen in Nordamerika und Asien überlassen, die schon lange erkannt haben, welcher Markt sich da auftut. Wir müssen uns deshalb damit auseinandersetzen, wie wir in der Versorgung KI-Anwendungen einsetzen wollen, und werden gerade im sensiblen Bereich der Medizin auch klare Regeln brauchen.
Ab dem 15. Januar 2025 erhalten alle gesetzlich Versicherten in Schleswig-Holstein eine elektronische Patientenakte. Sind die Praxen darauf vorbereitet und wie wird der Start gelingen?
Die Praxen können nur so gut vorbereitet sein, wie die technischen Voraussetzungen verlässlich gegeben sind, Stichwort PVS-Einbindung. Unsere Mitglieder sind auf das Funktionieren des Zusammenspiels von ePA, PVS und TI angewiesen, ohne es selbst beeinflussen zu können. Die Niedergelassenen sind sehr wohl bereit für digitale Anwendungen und sehen den Mehrwert, den gerade die ePA für ihre tägliche Arbeit bieten kann. Das Bild des Arztes, der seinem Faxgerät hinterhertrauert, ist jedenfalls eines, das sich in meinen täglichen Kontakten mit unseren Mitgliedern nicht bestätigt.
Aber leider verfügen die Ärzte und Psychotherapeuten über ein Erfahrungswissen aus unzähligen Einführungen neuer Anwendungen, bei denen sie erleben mussten, dass viel versprochen wurde und wenig funktionierte. Und leider standen dann vielfach Sanktionsdrohungen im Raum, wo angemessen gewesen wäre, eine Einführung einfach zurückzustellen und zunächst die Fehler zu beheben.
Wir alle hoffen, dass es diesmal anders ist, denn es geht um eine bessere Versorgung. Die kann es aber nur mit funktionierenden digitalen Lösungen geben, die einen echten Mehrwert ohne unnötige Mehrarbeit bieten. Wenn das alle Beteiligten so sehen, auch in der Politik, wäre schon viel gewonnen für die Akzeptanz der Digitalisierung.