Mit seiner Studie zu den NRW-Leistungsgruppen greift das Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg) die aktuelle Reformdiskussion im Gesundheitswesen auf. Es entwickelt darin eine Methodik, mit der sich die Verteilung stationärer Fälle nach Leistungsgruppen unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung bundesweit bestimmen lässt – als Grundlage für eine stationäre Bedarfsplanung. Zugleich ermöglicht die Studie eine sektorenübergreifende Sicht auf die künftige Gesundheitsversorgung: Dazu analysiert das bifg das Potenzial für Ambulantisierung und die Möglichkeiten der sektorenübergreifenden Leistungserbringung.
Bund und Länder hatten sich darauf geeinigt, die bereits in Nordrhein-Westfalen angewandte Systematik der Leistungsgruppen für die angestrebte Strukturreform der Krankenhauslandschaft auf Bundesebene zu nutzen. Auf diese Weise sollen bundesweit einheitliche Qualitätsvorgaben für die Krankenhausbehandlung eingeführt werden. Eine Zuordnung medizinischer Leistungen zu Versorgungsleveln konnte der Bund gegen den Willen der Länder nicht durchsetzen – aus Sicht der Barmer eine vertane Chance, die zu Lasten der Versorgungsqualität geht.
bifg-Analyse liefert wichtige Ergebnisse für die künftige Versorgungsplanung
Vor diesem Hintergrund stellt das bifg in seiner aktuellen Analyse Berechnungen zur bundesweiten Implementierung der Leistungsgruppen an. Dies erfolgt auf Grundlage der Routinedaten von rund 8,7 Millionen Barmer Versicherten.
Deutlich wird dabei, dass die Versorgungsplanung in Zukunft regional und spezifisch auf die Leistungsgruppen ausgerichtet werden sollte: So zeigt die Auswertung der Routinedaten zu stationären und teilstationären Behandlungen, dass sich mehr als 50 Prozent der Krankenhausfälle auf nur vier Leistungsgruppen verteilen („Allgemeine Innere Medizin“, „Allgemeine Chirurgie“ sowie „Allgemeine Kinder- und Jugendmedizin“ und „Psychiatrie und Psychotherapie und Psychosomatische Medizin und Psychotherapie – vollstationär“).
Aus der Prognose der stationären Fallzahlentwicklung bis in das Jahr 2040 geht weiterhin hervor, dass mit einer demografisch bedingten Erhöhung der stationären Fälle von durchschnittlich fünf Prozent zu rechnen ist. Auffällig ist dabei, dass sich die Fallzahlsteigerungen in den Bundesländern sehr stark unterscheiden: So steht im Bereich „Allgemeine innere Medizin“ den Ländern Baden-Württemberg (+14,1 Prozent) und Bayern (+13,9 Prozent) ein besonders hoher Anstieg bevor. Auch für Schleswig-Holstein wird ein zweistelliger Anstieg von +10,6 Prozent prognostiziert. Den stärksten Anstieg werde es mit +16,2 Prozent im Landkreis Herzogtum Lauenburg geben.
Konsequente Ambulantisierung bremst Anstieg der stationären Fallzahlen
Das bifg sieht ein hohes Ambulantisierungspotenzial für eine Vielzahl von bislang stationär erbrachten Leistungen, dieses Potenzial müsse konsequent gehoben werden. Auf diese Weise könne dem demografisch bedingten Anstieg der stationären Fallzahlen entgegengewirkt und dieser sogar überkompensiert werden. Am Beispiel der Leistungsgruppe „Allgemeine Chirurgie“ legt das bifg dar, dass eine Entlastung des stationären Bereichs bundesweit von rund 30 Prozent möglich wäre. In Schleswig-Holstein liegt die Entlastung mit -28,16 Prozent im ähnlichen Bereich. Ganz anders sieht dies hingegen für die Geriatrie aus: Der bis 2040 prognostizierte Anstieg der Fallzahl kann durch Ambulantisierung nicht abgefedert werden.
Sektorenübergreifende Ausrichtung von Versorgung und Planung notwendig
Angesichts des hohen Ambulantisierungspotenzials in der Versorgung, aber auch mit Blick auf die mitunter schwierige Versorgungslage in Regionen mit fachärztlicher Unterversorgung empfiehlt das bifg eine verstärkte ambulante Erbringung von medizinischen Leistungen durch sektorenübergreifende Versorger (ehemalige Level-1i-Krankenhäuser). Zudem sei eine weitere Verzahnung der Leistungserbringer im stationären und ambulanten Bereich notwendig, ergänzt um eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung. Eine solche Bedarfsplanung solle prospektiv und mit Bezug zur demografischen Entwicklung erfolgen, so das bifg. In Schleswig-Holstein ist man diesen Weg gegangen – die Versorgungsbedarfsanalyse von Curacon soll im April/Mai vorgestellt werden.