Dr. Heiner Garg ist seit 1990 Mitglied der FDP und seit 1996 im Kreisvorstand der FDP Kiel. Ab 2000 ist er Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtages und ab 2013 Mitglied des Bundesvorstandes der FDP. In der Zeit von 2009 bis 2012 und zuletzt in der Jamaika-Regierung von 2017 bis 2022 war er Landes-Gesundheitsminister und in seiner zweiten Amtszeit auch 2. Stellvertreter des Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein.
Im Interview spricht er darüber, wie er sich eine gemeinsame Krankenhausplanung mit Hamburg vorstellt und wie das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz seiner Meinung nach doch noch geeint werden könnte.
Das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) wurde von der Ampel-Regierung per Kabinettsbeschluss ins parlamentarische Verfahren übergeben. Der Widerstand der Bundesländer, der Krankenhausgesellschaft und der Krankenkassen dazu ist bekannt. Wie kann es Ihrer Meinung nach dennoch zu einem versöhnlichen Gesetzesbeschluss kommen?
Mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz verfolgt die Ampel-Koalition das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel, die stationäre Versorgung in Deutschland nachhaltig zu sichern. Sie sollte eigentlich längst überfällige Strukturanpassungen auf den Weg bringen, mit dem Ziel, die Versorgung dauerhaft zu sichern. Doch während über den notwendigen Reformbedarf grundsätzliche Einigkeit herrscht, zeigt der erbitterte Widerstand aus den Bundesländern, den Krankenhausgesellschaften und Krankenkassen, dass noch erheblicher Kommunikations- und Korrekturbedarf besteht.
Ein zentraler Kritikpunkt am Gesetzentwurf ist, dass die spezifischen Bedürfnisse der Länder zu wenig berücksichtigt werden. Das gilt insbesondere für Flächenländer wie Schleswig-Holstein. Hier ist mehr Flexibilität gefordert, um den unterschiedlichen Versorgungsrealitäten gerecht zu werden. Dazu gehört, dass Klinik-Kooperationen gefördert und sowohl die versorgungsrelevanten Fachkliniken als auch das Belegarztwesen als Versorgungsform abgesichert werden. Gerade das Belegarztsystem ist nicht nur in ländlichen Gebieten eine tragende Säule der medizinischen Versorgung und darf daher nicht durch realitätsferne Vorgaben gefährdet werden.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Sicherstellung einer verlässlichen Übergangsfinanzierung. Viele Kliniken stehen bereits jetzt unter finanziellem Druck. Ohne eine angemessene Übergangsfinanzierung besteht die Gefahr, dass notwendige Versorgungsstrukturen unkontrolliert verloren gehen. Hier müssen Bund und Länder gemeinsam eine Lösung finden, die den Kliniken die nötige Sicherheit bietet, bis die Reform vollständig umgesetzt ist.
Die bisherigen Kommunikationsprobleme zwischen dem Bundesgesundheitsminister und den Ländern haben das Vertrauen untereinander und das Gesetzgebungsverfahren insgesamt erheblich belastet. Es wurden Chancen vertan, berechtigte Änderungsbedarfe zu berücksichtigen. Nun stehen die öffentliche Anhörung sowie die zweite und dritte Lesung im Deutschen Bundestag bevor. Hierbei werden hoffentlich relevante Änderungen umgesetzt, damit das Gesetz am Ende die breite Unterstützung findet, die es braucht, um auf lange Sicht erfolgreich zu sein.
Zusammengefasst: Es ist und bleibt der Auftrag an den Bund und die Länder, ihre Differenzen zu überwinden und gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten, die die stationäre Versorgung in Deutschland langfristig sichert und verbessert. Dazu braucht es Flexibilität, eine starke Kommunikation und die Bereitschaft, das Gesetz im Sinne aller Beteiligten weiterzuentwickeln.
Krankenhausplanung ist Ländersache. Erste Forderungen wurden aus dem Hamburger Senat laut, Schleswig-Holstein solle sich an den Investitionskosten der Hamburger Krankenhäuser beteiligen. Nun haben Sie kürzlich den Antrag gestellt: „Versorgung sichern – gemeinsame Krankenhausplanung mit Hamburg auf den Weg bringen“. Was erhoffen Sie sich davon?
Die Forderungen aus Hamburg waren der aus meiner Sicht politisch vollkommen misslungene Versuch, die enge Verflechtung der Versorgungslandschaft zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein aufzuzeigen. Richtig ist, dass sich in der Metropolregion täglich zeigt, wie stark unsere Gesundheitssysteme voneinander profitieren. Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner – besonders aus der Metropolregion – werden natürlich immer wieder auch in Hamburger Krankenhäusern behandelt. Auf der anderen Seite ist Hamburg auf die Reha- und AHB-Kapazitäten in Schleswig-Holstein angewiesen.
Aber auch in der Kinder- und Jugendmedizin sehen wir durchaus einen Trend Richtung Schleswig-Holstein. Diese aus meiner Sicht grundsätzlich positive wechselseitige Inanspruchnahme verlangt nach einer koordinierten und zukunftsfähigen Krankenhausplanung.
Wir verfolgen das Ziel, diese Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der Grundprinzipien der freien Arzt- und Krankenhauswahl, auf eine neue Ebene zu heben. Es geht darum, die Synergien zu fördern und die personellen sowie infrastrukturellen Ressourcen beider Länder optimal zu nutzen. Eine gemeinsame Planung ermöglicht es, Doppelstrukturen abzubauen und gleichzeitig hochspezialisierte Versorgungseinrichtungen besser zu koordinieren.
Der gemeinsame Planungsprozess mit Hamburg ist deshalb kein Selbstzweck, sondern ein notwendiger Schritt, um die Herausforderungen der bevorstehenden Krankenhausstrukturreform und der damit verbundenen Finanzierungsfragen zu bewältigen. Die Landesregierung muss das gegenwärtige Momentum der Krankenhausstrukturreform und die Erstellung des neuen Krankenhausplanes als Chance verstehen. Wir müssen sicherstellen, dass sowohl die Bevölkerung in Hamburg als auch in Schleswig-Holstein heute und in Zukunft eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe Gesundheitsversorgung erhält.
Besonders in der hochkomplexen Gesundheitsversorgung ist es sinnvoll, Know-how und Kompetenzen in der Metropolregion zu bündeln. Eine Kooperationsvereinbarung zwischen unseren beiden Ländern sollte beispielsweise festlegen, welche Schwerpunkte in der spezialisierten Versorgung in welchem Land ausgebaut und wie Investitionen für eine bestmögliche Versorgung der Metropolregion aufgeteilt werden.
Ich hoffe, dass es unsere Initiative schafft, in der aktuellen Legislaturperiode konkrete Fortschritte in Richtung einer gemeinsamen Krankenhausplanung zu machen. Mit besonderem Interesse blicke ich daher auf die Ergebnisse der Anhörung des Sozialausschusses und die darauffolgenden Beratungen mit Regierungsvertretern beider Länder.
Eine zentrale Rolle für die Position der Bundesländer übernimmt in diesem Jahr Schleswig-Holstein. Ihre Nachfolgerin im Gesundheitsministerium, Prof. Dr. Kerstin von der Decken, steht als Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) im Fokus der Öffentlichkeit. Ihre Position hinsichtlich der Krankenhausreform ist hinlänglich bekannt. Was erwarten Sie darüber hinaus von ihr?
Die Rolle als GMK-Vorsitzende bringt für Ministerin von der Decken eine immense Verantwortung mit sich, die weit über die aktuelle Krankenhausreform hinausgeht. Die Ministerin muss die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung und die Unterstützung der Vor-Ort-Apotheken dringend stärker in den Fokus rücken. Grundsätzlich und besonders in ländlichen Regionen steht die essenzielle Verfügbarkeit von Apotheken und Arzneimitteln vor großen Herausforderungen. Die breite Kritik am Entwurf des Apotheken-Reformgesetzes von Bundesgesundheitsminister Lauterbach ist unmissverständlich – unverändert gilt, eine Apotheke ohne Apotheker ist keine Apotheke. Unsere Forderung nach einer Landesstrategie zur Stärkung der Apotheken als verlässliche Säule unseres Gesundheitssystems wird hierbei, zumindest bislang, leider ignoriert.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der strategischen Zielsetzung einer weiteren Ambulantisierung ist die Stärkung des ambulanten Bereichs ein weiterer bedeutender Bereich. Die in den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene hart erkämpfte Entbudgetierung grundversorgender Fächer darf hierbei nur ein Anfang sein. Die zentrale Forderung lautet, die Freiberuflichkeit zu stärken und sie nicht weiter auszuhöhlen!
Ein leistungsfähiges und reaktionsschnelles Rettungsdienstwesen, das die Besonderheiten unseres Flächenlandes mit Inseln und Halligen berücksichtigt, ist ebenfalls von essentieller Bedeutung, wenn es darum geht, die Daseinsvorsorge zu sichern. Hier erwarte ich von der Ministerin, dass sie konkrete Schritte unternimmt, um die Erfüllungsquote der Hilfsfristen besonders in den Kreisen weiter auszubauen.
Bei all dem verfügt die Ministerin mit dem Versorgungssicherungsfonds grundsätzlich über ein Gestaltungswerkzeug, um die Gesundheitslandschaft durch Innovation und sektorenübergreifende Konzepte fit für die Zukunft zu machen. Gerade deshalb kritisiere ich die Kürzungen der Landesregierung bei diesem wichtigen Werkzeug der Gesundheitsversorgung im Haushalt 2024 um etwa 56 Prozent so scharf.
Insgesamt erwarte ich von der Ministerin, dass sie die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten vollständig nutzt, um nicht nur Akzente bei großen Strukturfragen zu setzen, sondern auch die alltäglichen Herausforderungen der Gesundheitsversorgung zu adressieren. Unverändert werden wir hierzu Anträge einbringen und Irrwege konstruktiv kritisieren, wie zum Beispiel den Vorschlag der Ministerin zur Wiedereinführung der Praxisgebühr.
Der Bundeszuschuss zur GKV stagniert und die kostendeckenden Beiträge für Bürgergeld-Bezieher sind auch kein aktuelles Thema in der Bundespolitik – allerdings Ziele des Ampel-Koalitionsvertrags. Vom FDP-geführten Finanzministerium gibt es kein weiteres Geld für die GKV und SPV. Das FDP-Ziel, die Abgabenquote unter 40 Prozent zu senken, rückt in weite Ferne. Kann man den Trend noch abwenden?
Die Finanzierung der GKV und SPV steht ununterbrochen und unabhängig der jeweiligen Regierungskoalition vor erheblichen Herausforderungen. Der steuerfinanzierte Bundeszuschuss zur GKV, der für versicherungsfremde Leistungen wie die Familienversicherung oder Mutterschaftsleistungen gezahlt wird, beträgt seit 2017 jährlich 14,5 Milliarden Euro. In den letzten Jahren wurde dieser Zuschuss erhöht, um die finanziellen Belastungen der GKV durch pandemiebedingte, versicherungsfremde Mehrausgaben sowie konjunkturelle Beitragsmindereinnahmen abzufedern. Trotz dieser Maßnahmen bleibt der Handlungsbedarf groß, insbesondere was die Beiträge für Bürgergeld-Bezieher betrifft.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass der Bundesgesetzgeber bei den pauschalen Krankenversicherungsbeiträgen für Bürgergeld-Bezieher einen auffällig niedrigen Betrag – der nicht ausreichend ist – ansetzt. Während ein Arbeitnehmer mit Mindestlohn zusammen mit seinem Arbeitgeber etwa 350 Euro pro Monat an die GKV zahlt, beläuft sich der steuerfinanzierte Beitrag für Bürgergeld-Bezieher auf lediglich 119 Euro. Dieser Unterschied führt dazu, dass die GKV-Mitglieder jährlich etwa neun Milliarden Euro zusätzlich aufbringen müssen. Eine faire Anpassung dieser steuerfinanzierten Beiträge, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, ist dringend erforderlich, um das System finanziell zu entlasten und die GKV-Beitragszahler gerecht zu behandeln.
Gleichzeitig dürfen wir die generelle Frage der Abgabenquote nicht aus den Augen verlieren. Das Ziel der FDP, die Abgabenquote unter 40 Prozent zu senken, bleibt bestehen. Die Umsetzung ist jedoch durch die gegenwärtige Haushaltslage erschwert. Eine hohe Abgabenquote belastet die Standortattraktivität und damit die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Wir setzen uns daher für Rahmenbedingungen ein, die möglichst zur Verbesserung der wirtschaftlichen Dynamik beitragen.
Aufgrund der demografischen Entwicklung sowie des immer weiter voranschreitenden medizinischen Fortschritts muss grundsätzlich eine gesamtgesellschaftliche Debatte initiiert werden, wie viel uns eine gute Gesundheitsversorgung dauerhaft wert ist und wer sich wie daran zu beteiligen hat.