Birte Pauls ist ist schleswig-holsteinische Landtagsabgeordnete der SPD und in ihrer Fraktion als sozialpolitische Sprecherin aktiv. Sie weiß, wovon sie spricht: Schließlich hat sie eine Ausbildung zur Krankenschwester – Fachausbildung Intensivpflege – absolviert, war als Stationsleitung tätig und hat zudem 23 Jahre Berufserfahrung in verschiedenen Bereichen der Pflege. Wir haben mit ihr gesprochen und sie u. a. gefragt, wie sie der immer prekärer werdenden Pflegesituation im Land begegnen würde.
Seit knapp einem Jahr wird über die Krankenhausreform verhandelt. Bund und Länder sind sich weiterhin in vielen Punkten noch nicht einig. Wie kann es aus Ihrer Sicht noch zu einem erfolgreichen Gesetzesabschluss kommen?
Es ist gut, dass die Bundesregierung an der tiefgreifendsten Krankenhausreform der letzten 20 Jahre arbeitet. Der Paradigmenwechsel in der Finanzierung der Krankenhausversorgung fördert die Patienteninteressen und stärkt die Gesundheitsversorgung. Durch die Einführung von Vorhaltepauschalen wird der ökonomische Druck auf die Krankenhäuser genommen. Es wird eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Versorgung sichergestellt und durch Entbürokratisierung das Krankenhauspersonal entlastet. Es ist eine komplexe Reform mit vielen Interessen. Aber alle sind sich einig, dass die Reform dringend notwendig ist.
Der Gesetzentwurf liegt nun vor und muss im Bundestag beraten werden. Hier können nun noch viele Punkte diskutiert und einfließen. Auch die Forderungen aus den Bundesländern werden sicherlich besprochen, da die Bundestagsabgeordneten die Interessen ihrer Bundesländer mit vertreten. Auch ich als Landtagsabgeordnete tausche mich regelmäßig mit der Bundesebene dazu aus.
Wie könnte man aus Ihrer Sicht das Dilemma lösen, dass die Länder die Planungshoheit über die Krankenhäuser haben, andererseits aber ihren finanziellen Investitionsverpflichtungen seit Jahren nicht gerecht werden?
Das ist in der Tat ein großes Dilemma. Wir brauchen gut ausgestattete und moderne Krankenhäuser. Krankenhäuser sind für uns ein Teil der Daseinsvorsorge. Die Länder müssen sich nun bemühen, mehr Investitionsgelder zur Verfügung zu stellen. Auch in Schleswig-Holstein klafft eine Investitionslücke von über 800 Millionen Euro. Die Landesregierung ist weder ihrer Planungshoheit noch ihrer Verpflichtung bei den Krankenhausinvestitionen bisher nachgekommen. Das muss sich ändern. In Schleswig-Holstein steht momentan alles still. Viele Krankenhäuser wollen sich modernisieren und auf den neuesten Stand bringen. Einige Häuser müssen komplett neu gebaut werden. Es werden aber keine Gelder frei gegeben.
Mit der Krankenhausreform hat der Bund einen Transformationsfonds aufgelegt. Damit werden Umstrukturierungsprozesse in den Krankenhäusern, die mit der Krankenhausreform angestoßen werden, finanziell unterstützt.
Wir haben als SPD-Fraktion schon öfter Anträge zum Haushalt zur Erhöhung der Investitionsgelder für Krankenhäuser gestellt. Sie wurden von CDU und Grüne jedes Mal abgelehnt. In den letzten Haushalten wäre dafür Luft gewesen. Es ist wichtig, politisch Prioritäten zu setzen. Für uns hat die Gesundheits- und Pflegepolitik eine sehr hohe Priorität.
Das nächste große Vorhaben von SPD-Gesundheitsminister Prof. Lauterbach ist das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (GVSG). Welches sind dort die wichtigsten Punkte, um die Versorgung in Schleswig-Holstein zu verbessern?
Die Versorgung von Menschen besonders in ländlichen und strukturschwachen Regionen zu verbessern, ist ein wichtiges Ziel unserer sozialdemokratischen Gesundheitspolitik. Mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz soll dieses Ziel umgesetzt werden. In einigen Regionen finden die Hausärzte keine Nachfolger:innen und Praxen werden nicht mehr besetzt. Die übrigen Hausarztpraxen arbeiten dann am Limit. Dieses Gesetz stärkt die Hausarztpraxen. In Zukunft werden sie ihre Leistungen ohne Obergrenze oder Kürzungen abrechnen können. Diese Entbudgetierung wird den Hausarztberuf attraktiver machen. Zudem wird eine jährliche Versorgungspauschale eingeführt. Patientinnen und Patienten mit leichten chronischen Erkrankungen ohne hohen Betreuungsbedarf müssen nicht mehr jedes Quartal einbestellt werden. Unnötige Arztbesuche fallen damit weg. Außerdem werden Hausärztinnen und Hausärzte, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wie zum Beispiel bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten und viele Haus- und Heimbesuche, besonders honoriert.
Mit dem Gesetz wird zudem der Zugang zur psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung erleichtert und es wird in Zukunft mehr psychotherapeutische Angebote für Kinder und Jugendliche geben. Das ist dringend notwendig, weil leider die psychische Belastung bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren stark angestiegen ist.
Gemeinden und Städten wird es erleichtert, kommunale Medizinische Versorgungszentren zu gründen, damit sie die Versorgung vor Ort noch besser mitgestalten können. Diese sind gerade für jüngere Ärzte ein attraktiver Arbeitsplatz, da sie oft die hohen Kosten einer Praxisübernahme scheuen oder in Teilzeit arbeiten wollen.
Der Gesetzentwurf wurde mehrfach überarbeitet. Einige gute Ideen sind dabei leider rausgefallen. Ich würde mir wünschen, dass die Idee der Primärversorgungszentren wieder im parlamentarischen Verfahren diskutiert wird. Diese Zentren sind sinnvoll dort, wo es kaum eine hausärztliche Versorgung gibt. Dort arbeiten Angehörige unterschiedlicher Gesundheitsberufe unter einem Dach und bieten Patienten eine gute und schnelle Betreuung. Sie können einen niedrigschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung bieten und die medizinische Grundversorgung sichern. Ich bin ein großer Fan der Community Health Nurse, die die ärztliche Versorgung im Quartier unterstützt. Die Primärversorgungszentren oder auch das Modell der Gesundheitskioske wären ein idealer Arbeitsort für sie.
Als examinierte Krankenschwester schlägt ihr Herz insbesondere für den Bereich der Pflege. Wie würden Sie der immer prekärer werdenden Pflegesituation im Land begegnen?
Es braucht dringend mehr Aktivitäten und politischen Willen im Bereich Pflege. Hier passiert leider gar nichts bei der Sozialministerin. Die von ihr bereits zweimal angekündigte Landespflegestrategie wurde jetzt schon wieder von der Tagesordnung des Landtages genommen, weil sie nichts zu berichten hat. Ich habe den Eindruck, dass der Sozialministerin die Not in der Pflege nicht bewusst ist. Noch nie war die Situation in der häuslichen wie in der stationären Pflege so zugespitzt wie jetzt und das wird sich verstärken, wenn jetzt nicht endlich gegengesteuert wird. Mir ist bewusst, dass wir nicht alles auf Landesebene regeln können, aber vieles können wir regeln.
Der Bereich Bürokratie belastet das Pflegepersonal in allen Bereichen. Warum entschlacken wir nicht in den Bereichen, wo wir direkten Einfluss haben? Diese überbordende Bürokratie hat ein Ausmaß an Misstrauenskultur angenommen, dass die Kolleginnen und Kollegen in ihrer Fachlichkeit ständig infragestellt werden. Das haben sie nicht verdient. Ich bin nicht Krankenschwester geworden, um einen großen Teil meiner Arbeitszeit mit Bürokratie zu verbringen. Dann hätte ich ja auch in die Verwaltung gehen können.
In der häuslichen Pflege ist die Pflege-Triage angekommen. Familien sind unterversorgt, weil Pflegedienste wegen fehlendem Personal und fehlender Refinanzierung z. B. von langen Anfahrtswegen die Versorgung ablehnen (können). Menschen werden quasi in Heime gezwungen, obwohl sie es nicht wollen. Außerdem brauchen wir einen Ausbau an solitären Kurzzeit-pflegeplätzen, um pflegende Angehörige zu entlasten und Pflegebedürftigkeit nach einem Krankenhausaufenthalt zu verhindern.
Es braucht regelmäßige regionale Pflegekonferenzen mit allen Akteuren vor Ort, um sehr rechtzeitig Versorgungslücken zu identifizieren. Im Rahmen einer guten Daseinsvorsorge müssen das Land und die Kommunen da tätig werden. Der Versorgungssicherungsfond hätte finanzielle Möglichkeiten geboten, aber der wurde ja gerade um die Hälfte gekürzt.
Gute Pflege braucht ausreichend Personal. Ich kann die Kolleginnen verstehen, die in die Leiharbeit wechseln. Aber gut ist es für das ganze System nicht. Es ist teuer und für die Patienten nicht gut, täglich von anderen Personen versorgt zu werden. Wir brauchen Zuwanderung, aber es ist grotesk, dass wir unbesetzte Stellen mit ausländischen Kräften besetzen, während die deutschen Kollegen schreiend davonlaufen.
Es kann doch nicht sein, dass die Berufsflucht zunimmt, kaum noch jemand in Vollzeit arbeiten kann, erst recht nicht mit zunehmendem Alter. Viel besser ist es, die Bedingungen und Dienstpläne so zu ändern, dass sie verlässlich sind, die pflegerische Versorgung im Vordergrund der Tätigkeit steht und altersgerechte Arbeitsplätze wie z. B. in der Beratung und aufsuchenden Arbeit geschaffen werden. Die Rahmenbedingungen müssen sich so ändern, dass die Pflegefachkräfte so lange wie möglich physisch wie psychisch in der Lage sind den Beruf auszuüben. Eine Arbeitszufriedenheit ist existentiell für den Verbleib im Beruf. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes, obwohl keiner so viel bekommt wie sie es verdienen. Meine To-Do-Liste wäre lang!