Vor knapp einem halben Jahr hat Ende Mai Schleswig-Holstein seinen 20. Landtag gewählt. Für uns Anlass genug, bei den gesundheitspolitischen Abgeordneten aller Landtagsparteien ein paar Nachfragen zu stellen. Ihre Antworten auf unsere vier Fragen lesen Sie hier.
1. Schauen wir auf das letzte halbe Jahr und die Startphase der neuen schwarz-grünen Landesregierung zurück. Welches Fazit ziehen Sie in Hinblick auf die Gesundheitspolitik?
Der Bereich der Gesundheit war in den letzten Monaten immer noch gekennzeichnet von den Auswirkungen der Corona-Pandemie: Sowohl der stationäre als auch der ambulante Bereich sind noch lange nicht wieder in einem Zustand wie vor der Pandemie zurückgekehrt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelangen weiterhin häufig an Belastungsgrenzen. Auch durch hohe Erkrankungszahlen beim Personal konnten nicht alle Behandlungen zeitnah durchgeführt werden. Die zuständige Ministerin Frau von der Decken und auch ich persönlich haben uns in den letzten Monaten durch Gespräche und Besuche ein umfassendes Bild der Situation in Schleswig-Holstein gemacht. Auch wenn wesentliche gesetzliche Rahmenbedingungen im Gesundheitsbereich beim Bund liegen, wie z. B. das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, sind wir sehr aktiv dabei, die Akteurinnen und Akteure im Land zu unterstützen. Außerdem haben wir auch Initiativen gemeinsam mit anderen Bundesländern gegenüber dem Bund zur Verbesserung der Rahmenbedingungen ergriffen.
Mit der Expertenanhörung (03.11.2022) zum Themenkomplex Corona haben wir die auf Landesebene zu treffenden Entscheidungen auf eine wissenschaftlich fundierte, ganzheitlich betrachtete und ideologie-freie Grundlage gestellt. Ich bedauere sehr, dass der Bundesgesundheitsminister eine wissenschaftliche Prüfung durch das Robert Koch-Institut zu dieser Frage – letztmalig mit Schreiben vom 9. November 2022 – ablehnt und damit eine für die Bevölkerung gut nachvollziehbare, bundeseinheitliche Regelung verhindert.
Die Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein ist auch im Jahr 2022 stark von der Coronapandemie geprägt gewesen. Maßnahmen und Verordnungen mussten überprüft und angepasst werden, der Austausch mit den beratenden Expert*innen und den gesellschaftlichen Akteur*innen blieb und bleibt wichtig. Nach und nach hat sich gezeigt, dass wir auf dem Weg in die endemische Phase sind und die Eigenverantwortung wieder stärker in den Vordergrund treten kann. Deshalb haben wir in der 46. Kalenderwoche unsere Landesverordnung novelliert und u. a. die generelle Isolationspflicht aufgehoben. Abseits von Corona tauchten die Affenpocken auf, Schließungen von Geburtshilfeabteilungen gingen durch die Presse, über Klinikstandorte und erforderliche Investitionen wurde diskutiert. Das Bürgerbegehren zu den Imland Kliniken und ganz aktuell die Insolvenz der Diako beschäftigen uns. Wir versuchen in der Koalition unser Bestes, um gemeinsam mit der Landesregierung und den Kommunen ausreichend Finanzmittel für die Krankenhausinvestitionen bereit zu stellen. Ein weiteres Problem haben wir in der Pflege: durch die tariforientierte Bezahlung steigen die Eigenanteile sprunghaft und deutlich. Die pflegebedürftigen Menschen brauchen hier zusätzliche finanzielle Unterstützung. Schleswig-Holsteins Grüne Sozialministerin hat einen Antrag in die Fachminister*innenkonferenz eingebracht, der den Bund auffordert zeitnah nachzusteuern.
Die Trennung von Gesundheitspolitik und Pflegepolitik in zwei verschiedene Ministerien dieser Landesregierung sehe ich sehr kritisch. Gesundheit und Pflege müssen zusammengedacht werden. Wenn man den aktuellen und zukünftigen demographischen Entwicklungen gerecht werden will, hätte man ein Ministerium für Gesundheit und Pflege neu bilden müssen anstelle eines neuen Ministeriums für Landwirtschaft. Der Flickenteppich bei den Corona-Lockerungen, der gerade geregelt wurde, ist mit Hinblick auf die vielen Pendlerströme in die benachbarten norddeutschen Bundesländer auch nicht hilfreich.
In der Gesundheitspolitik gibt es viele Baustellen, die angepackt werden müssen. Hier muss noch viel passieren.
Die Landesregierung hat auch im Bereich der Gesundheitspolitik den Start verstolpert. Es war und bleibt ein Fehler, die Bereiche Gesundheit und Soziales in unterschiedlichen Ministerien unterzubringen. Dass dann auch noch der Bereich Pflege im Sozialministerium geblieben ist und nicht ins Gesundheitsministerium übernommen wurde, wird im Verlauf dieser Legislatur zu großen Problemen führen. Statt anzupacken verwaltet die Ministerin bislang und setzt keinerlei eigene Akzente.
Die angekündigte Bundesratsinitiative zum Ausschluss investorenbetriebener (Private Equity) medizinischer Versorgungszentren, welche immerhin Punkt drei des 100-Tage-Programms war, ist bis heute nicht auf der Tagesordnung des Bundesrats erschienen. Der Herbst ist da und der Winter steht vor der Tür. Nicht nur Corona, sondern auch die Grippewelle werden unser Gesundheitssystem spürbar belasten. Trotz einhelliger und klarer Expertenmeinung, dass eine Sars-CoV-2-Infektion nicht länger anders als jede andere ernstzunehmende Atemwegsinfektion behandelt werden sollte, verharrt die Ministerin auch hier kraft- und mutlos. Dabei wäre gerade jetzt Initiative gefordert, um eine tief verunsicherte und gespaltene Bevölkerung mitzunehmen auf dem Weg aus der Pandemie in den sogenannten endemischen Zustand. Dass die Landesregierung ebenso simple wie einfache Vorschläge der Opposition, wie das Impfen gegen Influenza in den Impfstellen, erst reflexartig ablehnt, um gut zwei Wochen später dann genau das doch – richtigerweise – auf den Weg zu bringen, unterstreicht, dass diese Landesregierung bislang keinen gesundheitspolitischen Kompass hat. Zentrale Fragen der Versorgung mit guten Gesundheits- und Pflegeleitungen werden lustlos vor sich hergeschoben, statt innovativ und kreativ zu gestalten.
Zunächst war und bleibt es ein sehr unglückliches Signal, dass im Rahmen des Ressortzuschnitts der Gesundheitsbereich aus dem Sozialministerium herausgetrennt wurde. Doch neben viel Unverständnis und einigen Verwerfungen durch diese Entscheidung, hat die Bewältigung der Pandemie selbstverständlich weiterhin die Gesundheitspolitik dominiert. Hier ist es gut und nicht zuletzt auch unserem Einsatz zu verdanken, dass sich Schleswig-Holstein mittlerweile auf dem Weg von der Pandemie in die Endemie befindet und staatliche Eingriffe sukzessive zurückfährt. Dennoch bleibt unser Fazit der bisherigen schwarz-grünen Gesundheitspolitik verhalten. Denn es hätte zum Beispiel längst darum gehen müssen, bedarfsgerechte Strukturen zur Erforschung aber auch zur Versorgung von Long-Covid-Patientinnen und Patienten zu schaffen. Auch wenn wir Verständnis dafür haben, dass die Pandemie eine große Herausforderung darstellt und auch die neue Landesregierung demnach im Krisenmodus handeln musste, wurde lange versäumt, hier die nötigen Lehren zu ziehen und Weichen zu stellen. Dass man sich daneben auf notwendige Impfkampagnen verständigt hat oder via Bundesratsbeschluss verhindern will, dass Fremdinvestoren mit ausschließlichen Kapitalinteressen von der Gründung und dem Betrieb (zahnärztlicher) medizinischer Versorgungszentren ausgeschlossen werden, halten wir für nicht besonders ambitioniert, sondern schlicht für selbstverständlich. Doch es bleibt zu hoffen, dass die Justizministerin auch ihre Verantwortung für den Gesundheitsbereich sieht und dieser stärker nachkommt.
2. In den letzten beiden Jahren hat die Corona-Pandemie die Gesundheitspolitik fast ausschließlich allein bestimmt, andere wichtige Themen sind etwas in den Hintergrund geraten. Welche von diesen Themen müssen aus Ihrer Sicht dringend angegangen werden?
Zweifelsohne stehen wir neben den zu bewältigenden Folgen der Corona-Pandemie vor einer Vielzahl bekannter und neuer Herausforderungen. Insgesamt steht dem Gesundheitssystem zu wenig Geld zur Verfügung. Die Ampel-Koalition in Berlin zahlt für Empfängerinnen und Empfänger von Sozialtransferleistungen zum Beispiel jährlich aktuell rund zehn Mrd. Euro zu wenig an die Krankenkassen. Die Folgewirkungen sind erheblich: Anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, streicht Bundesgesundheitsminister Lauterbach sinnvolle Vorsorgemaßnahmen, zum Beispiel im Bereich der Zahnheilkunde. Alle Expertinnen und Experten sind sich dahingehend einig, dass langfristig daraus keine Einsparungen, sondern vielmehr Mehrkosten entstehen.
Im öffentlichen Fokus stehen aktuell aber die erheblichen Kostensteigerungen, insbesondere im Energiesektor. Exemplarisch zeigt sich das an der Situation der Krankenhäuser: Mit der minimalen Veränderungsrate für Klinikleistungen wurde hier von der Bundesebene ein absolut falsches Signal gesetzt. Jetzt angekündigte Hilfspakete sind strukturell nicht nachhaltig, was bei einer Inflationsquote von rund acht Prozent aber dringend notwendig wäre.
Daneben sehen sich Apothekerinnen und Apotheker mit immer größeren Problemen bei der Verfügbarkeit von Medikamenten konfrontiert, gleichzeitig werden ihre Vergütungen gekürzt. Auch hier steht der Bund in der Verantwortung.
Auf Landesebene werden wir uns zur strukturellen Weiterentwicklung unter anderem mit nachstehenden Themen befassen müssen:
- Sicherstellung der ambulanten und stationären Versorgung, insbesondere im ländlichen Raum,
- Digitalisierung und Vernetzung der an einer Behandlung Beteiligten,
- Verbesserung der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitsdienstes,
- Weiterentwicklung und Qualifizierung von Berufen im Gesundheitswesen zur Vermeidung von Versorgungsengpässen,
- Ausbau der Angebote für Prävention und Gesundheitsförderung.
Die Themen liegen auf dem Tisch. Allen voran müssen wir dem Fachkräftemangel im Gesundheitswesen und in der Pflege etwas entgegensetzen. Dazu gehört mehr auszubilden, angemessen zu bezahlen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und Zuwanderung als Chance zu nutzen. Nicht weniger wichtig ist es, die Finanzierung der Krankenhausversorgung auf belastbare Füße zu stellen. Dazu gehören die Betriebskostenfinanzierung über die Krankenkassen und die Investitionskostenfinanzierung durch Länder und Kommunen. Von Grüner Seite halten wir es für erforderlich das DRG-System zu ergänzen und neben den reinen Fallpauschalen die Vorhaltekosten durch Grundpauschalen besser abzusichern. Das ist ein Thema, dass auf Bundesebene gelöst werden muss. Zudem sollte der Bund sich an den Investitionskosten beteiligen. Auch den ambulanten Bereich dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Die Versorgung der Bevölkerung im ländlichen Bereich ist schon jetzt eine große Herausforderung.
Ein weiteres Thema ist durch Corona sehr deutlich geworden: die Abhängigkeit von internationalen Produzent*innen für Medikamente, Impfstoffe und Schutzausrüstung. Hieraus sollten wir Konsequenzen ziehen und uns wieder stärker um eigene Kapazitäten bemühen.
Es gibt viele Themen, die liegen geblieben sind und nun dringend bearbeitet werden müssen. Im Bereich der Pflege brauchen wir eine Entlastung der pflegenden Angehörigen und die dazugehörigen Strukturen wie solitäre Kurzzeitpflegeplätze müssen ausgebaut werden. Auch die ambulante Pflege muss gesichert und in den ländlichen Regionen verbessert werden. Insgesamt müssen die pflegerischen und medizinischen Berufe gestärkt werden. Ohne ausreichend Pflegepersonal gibt es keine Pflege. Wir brauchen anständige Rahmenbedingungen für alle Berufsgruppen. Dazu kommt auch der Ärztemangel in den Krankenhäusern sowie in den ländlichen Regionen, dem wir entgegenwirken müssen. In einigen Regionen ist es sehr schwer, die freien Arztpraxen wieder neu zu besetzen.
Wir merken gerade, dass die Landesregierung bisher keinen Plan für eine verlässliche Daseinsvorsorge im Bereich Gesundheit und Pflege hat, sondern alles dem Zufall überlässt. Dazu gehört auch die Krankenhausplanung, die dringend nachhaltig und zukunftsfest aufgestellt werden muss. Aktuell ist die flächendeckende Geburtshilfe stark gefährdet und Krankenhausstandorte sind nicht gesichert. Krankenhausinvestitionen und die stationäre Gesundheitsversorgung sind ein wichtiges und dringendes Thema. Und aktuell bewege ich noch die Gesundheitsversorgung für Menschen mit Behinderung. Diese ist leider in Schleswig-Holstein nicht ausreichend. Wir brauchen spezialisierte Versorgungszentren und eine barrierefreie Versorgung im ganzen Land.
Ohne Frage stehen wir in der Gesundheitspolitik vor einer ganzen Reihe großer Herausforderungen. So ist es zum Beispiel nicht erst vor dem Hintergrund der Pandemie zwingend notwendig, zu einer grundlegenden Reform der Krankenhausfinanzierung zu kommen. Denn kaum eine Klinik schreibt noch schwarze Zahlen. Gleichzeitig müssen die Versorgungswege in unserem Flächenland aber zumutbar und die Versorgungsqualität hoch bleiben. Es muss zwar nicht jedes Krankenhaus jede Behandlung anbieten. Doch um die bestehenden Häuser zu erhalten und den Menschen die Nähe zur Grundversorgung zu sichern, müssen wir weg vom System der starren Fallpauschalen und endlich dafür sorgen, dass die Vorhaltekosten der Häuser stärker berücksichtigt werden. Außerdem muss die Landesregierung die Einrichtung von integrierten Versorgungszentren stärker fördern. Daneben ist auch der gesamte Pflegesektor nicht erst durch Corona enormen Belastungen ausgesetzt. Hier muss sich die Landesregierung dringend für verbesserte Rahmenbedingungen und damit eine höhere Attraktivität des Pflegeberufs einsetzen. Und zwar sowohl im Bereich der Altenpflege wie für die Beschäftigten in den Krankenhäusern und nicht zuletzt auch für die vielen pflegenden Angehörigen bei uns in Schleswig-Holstein. Daher fordern wir hier weiterhin höhere Löhne bzw. eine echte Lohnersatzleistung für diejenigen, die ihre Angehörigen zu Hause versorgen und hierfür auf Lohn und Rente verzichten.
3. Das Thema der Geburtshilfe beschäftigt viele Regionen in Schleswig-Holstein. Einige Einheiten haben sich von der Versorgung abgemeldet, andere Häuser werden durch die zusätzlichen Geburten an deren Kapazitätsgrenzen gebracht. Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um der Situation besser gerecht zu werden?
Das Thema Geburtshilfe in Schleswig-Holstein zeigt exemplarisch den Handlungsbedarf, insbesondere hinsichtlich der Weiterentwicklung der stationären Krankenhausversorgung. Es ist nicht akzeptabel, dass einige Anbieter sich kurzfristig von der geburtshilflichen Versorgung durch einseitige Willenserklärung verabschieden und dadurch andere Anbieter an Kapazitätsgrenzen, vor allem in personeller Hinsicht, bringen.
Grundsätzlich sind Land und Kommunen für die Sicherstellung der Krankenhausversorgung und damit auch für die Geburtshilfe verantwortlich. Das Land hat die Aufgabe gemeinsam mit den vorgesehenen Beteiligten die für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Angebote zu schaffen. Allerdings ist die Krankenhausplanung ein „stumpfes Schwert“. Diese wird immer wieder durch Interessen von Krankenhausträgern unterlaufen. Am Beispiel Geburtshilfe ist zu sehen, dass nur durch eine hohe Zahl von Geburten die Wirtschaftlichkeit gegeben ist. Können diese Zahlen nicht erreicht werden, steht die Aufrechterhaltung des Angebotes zur Disposition. Die Vermutung liegt nahe, dass auch die sehr hohen Kaiserschnittzahlen in Deutschland größtenteils medizinisch nicht begründet, sondern vielmehr finanziell motiviert sind. Eine Lösung gäbe es nur dann, wenn auch die Vorhaltekosten neben den Fallpauschalen gesondert finanziert werden. Auch hier ist der Bund durch Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung in der Pflicht.
Eltern müssen die Wahl haben, wo und wie „ihre Geburt“ stattfinden soll. Wir brauchen hochspezialisierte Perinatalzentren für Risikogeburten und Frühchen. Wir brauchen aber genauso normale geburtshilfliche Abteilungen in denen Frauen gut aufgehoben sind, die keine Risiken mitbringen. Geburt muss nicht ausschließlich im Krankenhaus stattfinden. Hebammen geleitete Angebote in Geburtshäusern oder Hausgeburten sollten wir nicht außen vor lassen. Diese Angebote gehören zum Gesamtbild der geburtshilflichen Versorgung. Wichtig ist, das sich etwas an der Finanzierung ändert. Das kann nur im Bund geschehen. Es braucht zusätzlich zu den DRGs Grundpauschalen, mit denen die Vorhaltekosten in der Geburtshilfe und Pädiatrie abgebildet werden können. Wir brauchen kompetentes und gut ausgebildetes Personal. Hebammen und Ärzt*innen, die angemessen bezahlt werden und sich in einer 1:1 Betreuung ganz auf „ihre Geburt“ konzentrieren können. Und die physiologische Geburt darf nicht schlechter bezahlt werden, als ein Kaiserschnitt. In Schleswig-Holstein werden wir die Zahl der Studienplätze in den Hebammenwissenschaften bedarfsgerecht ausbauen. Die Landesregierung hat zeitnah den Qualitätszirkel Geburtshilfe ins Leben gerufen, damit Ärzt*innen, Hebammen, Kliniken, Krankenkassen, Land und Kommunen miteinander in den Dialog kommen. Wir alle müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass die Geburtshilfe in Schleswig-Holstein gut aufgestellt bleibt.
Die Situation in der Geburtshilfe ist ein wichtiges politisches Thema für mich, für das ich mich seit Jahren einsetze und Landtagsanträge stelle. Die Situation wird seit Jahren schlechter und die Landesregierung schaut zu. Immer wieder werden Geburtskliniken geschlossen, ohne dass die Kapazitäten an anderen Kliniken ausgebaut wurden. Die Situation ist für die werdenden Mütter und für die Familien teilweise unhaltbar gewesen. Erst jetzt setzt sich die Landesregierung mit den Akteuren zusammen. Anstatt breit zu diskutieren, wird aber Stillschweigen vereinbart. Es braucht einen Paradigmenwechsel in der Geburtshilfe und Veränderungen der Rahmenbedingungen, damit Frauen eine sichere Geburt in ganz Schleswig-Holstein erleben und Hebammen in ihrem Beruf bleiben und kein Nachwuchsmangel entsteht. Wir brauchen vom Bund eine auskömmliche Vergütung für eine natürliche Geburt in den Kliniken. Wichtig ist eine Eins-zu-Eins-Betreuung durch Hebammen während der Geburtsphase. Das ist auch gut für die Arbeitsbedingungen der Hebammen. Das Konzept eines „hebammengeleiteten Kreißsaals“ sollte sich auch bei anderen Kliniken etablieren. Um genügend Hebammen in Schleswig-Holstein auszubilden, muss der praktische Teil im Studium gesichert sein. Hier fehlt es an Kapazitäten in den Kliniken. Das muss sich schnell ändern. Und die Krankenhausplanung muss konsequent eine flächendeckende, gut erreichbare, geburtshilfliche Versorgung abbilden. Eine weitere kalte Strukturbereinigung müssen wir verhindern.
Bei aller verständlichen Emotionalität, die bei diesem Bereich eine noch größere Rolle spielt als bei anderen Versorgungsbereichen, muss man sich trotzdem oder gerade deshalb konsequent an Qualitätskriterien und den Versorgungsbedarfen orientieren. Das Land muss als oberste Planungsbehörde dafür Sorge tragen, dass keine geburtshilflichen Betten aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen in andere Betten umgewidmet werden. Das Land darf hierfür nur Genehmigungen erteilen, sofern dringende versorgungsrelevante Gründe vorliegen. Gegen eine Rückgabe des Versorgungsvertrages durch den Träger kann das Land leider wenig ausrichten. Bei der Genehmigung von neuen Betten sollte die Landesregierung allerdings ausschließlich danach entscheiden, ob sie versorgungsrelevant sind – und nicht, ob sie in ein neues betriebswirtschaftliches Konzept eines Klinikträgers passen. Darüber hinaus rege ich an, dass ernsthaft eine gemeinsame Krankenhausplanung mit Hamburg angestrebt wird. Und schließlich steht auch hier der Bund in der Pflicht, die überfällige Finanzierungsreform und die Strukturverbesserung im stationären Bereich als parallelen Prozess umzusetzen. Letzteres allerdings keinesfalls im Sinne einer politisch bequemen Strukturkonservierung, sondern am Ende muss eine dauerhaft funktionsfähige, hochqualitative und finanzierbare Versorgung im Fokus stehen.
Die Situation in der Geburtshilfe beschäftigt uns nicht nur zu Recht seit vielen Jahren, sondern sie erfüllt uns auch mit großer Sorge. Fakt ist, dass immer mehr Hebammen ihren Beruf verlassen und immer mehr geburtshilfliche Angebote ihre Türen schließen. Dieser Trend muss dringend gestoppt werden. Denn die Wege für viele werdende Mütter sind längst unzumutbar weit. Aus Sicht des SSW geht es bei der Geburtshilfe (wie im gesamten Gesundheitswesen) um einen zentralen Bestandteil der Daseinsvorsorge. Daher dürfen hier nicht nur wirtschaftliche Abwägungen oder Marktmechanismen über das Angebot entscheiden, sondern es muss eine möglichst flächendeckende Infrastruktur geben. Aus unserer Sicht ist es höchste Zeit, dass sich die Landesregierung ohne Wenn und Aber zu diesem Ziel bekennt und darauf hinarbeitet. Die bestehenden Probleme müssen endlich mit tiefgreifenden Maßnahmen angegangen und die Rahmenbedingungen grundlegend verbessert werden. Neben einer grundlegenden Veränderung bei der Vergütung von Leistungen im Rahmen der Geburtshilfe müssen wir schnellstmöglich zu einem Personalschlüssel kommen, der eine 1:1-Betreuung durch Hebammen ermöglicht. Außerdem brauchen wir mehr hebammengeleitete Kreißsäle und eine auskömmliche Vergütung ambulanter, aufsuchender Geburtsvor- und Nachsorge für angestellte Hebammen an Kliniken. Und wir brauchen eine langfristige Finanzierung der Boardingkonzepte, damit Frauen, die weite Wege zum nächsten Kreißsaal haben, die entsprechende Sicherheit bekommen.
4. Qualität oder Erreichbarkeit? – Was ist aus Ihrer Sicht bei der Krankenhausversorgung im Land wichtiger?
Unsere Gesellschaft wird immer älter. Es ist daher wichtig, Qualität mit Erreichbarkeit zu verbinden. Meines Erachtens schließen sich diese Faktoren nicht gegenseitig aus. Die Erreichbarkeit von Krankenhäusern ist dabei ein Qualitätsmerkmal. Meiner Auffassung nach darf beispielsweise eine geburtshilfliche Einrichtung nicht so weit entfernt liegen, dass im Notfall eine Gefährdung von Mutter und Kind besteht. Hierzu sind auch Maßstäbe bzw. Standards zu entwickeln, die medizinische Vorgaben hinsichtlich Zeit und Qualität berücksichtigen. Die Qualität der Krankenhausversorgung muss in jedem Fall zum Wohle der Patientinnen und Patienten stetig weiterentwickelt und den jeweils geltenden und neuesten medizinischen Anforderungen angepasst werden. Die Finanzierbarkeit der daraus abgeleiteten Maß-nahmen muss dauerhaft sichergestellt werden, damit die Krankenhausträger die Angebote auch entsprechend vorhalten können.
Das ist eine Frage, die man so nicht stellen sollte. Natürlich ist Qualität nicht verzichtbar. Qualität im Gesundheitswesen bedeutet Behandlung auf dem aktuellen wissenschaftlichen und medizinischen Niveau mit maximal möglicher Sicherheit. Hinter dieses Ziel können und werden wir nicht zurück gehen. Das will auch niemand. Trotzdem ist die Erreichbarkeit für Patient*innen ebenso wichtig. Nicht alle Menschen sind gleichermaßen mobil. Wir leben in einer Gesellschaft mit immer mehr Singlehaushalten und zunehmender Vereinsamung - leider. Beides macht regionale Angebote besonders wichtig. Dennoch kann nicht in jeder Stadt ein Krankenhaus stehen. Wir müssen differenzieren, um welche Art der Versorgung und Behandlung es geht. Stark spezialisierte und hoch technisierte fachliche Behandlungen und geplante Eingriffe sollten in spezifischen Zentren durchgeführt werden. Damit wird die Qualität der Behandlung sichergestellt und die längeren Wege sind bei geplanten Behandlungen und Aufenthalten organisierbar. Grundlegende Angebote der Regelversorgung, aber z. B. auch die geriatrische Versorgung, müssen für Bürger*innen einfach erreichbar sein. Hier brauchen wir ein engeres Netz. Bei der Notfallversorgung stehen Nähe und Erreichbarkeit des Angebotes in einem direkten Zusammenhang mit der Spezifität der Versorgungsstufe. Die digitalen Möglichkeiten müssen wir auch in der Gesundheitsversorgung deutlich verbessern, um Erreichbarkeit und Qualität unter einen Hut zu bringen.
Ich möchte Qualität und Erreichbarkeit nicht unbedingt trennen und gegeneinander ausspielen. Wir brauchen eine gut erreichbare, stationäre Grundversorgung. In Gesprächen mit den Menschen ist eine gute Krankenhausversorgung immer ein wichtiger Punkt vor Ort. Das sieht man auch am Bürgerentscheid in Eckernförde, bei dem sich die Bevölkerung für den Erhalt der stationären Grund- und Regelversorgung ausgesprochen hat. Dafür muss nicht jede Klinik alles anbieten. Für ein neues Kniegelenk und andere elektive Behandlungen nehmen die Menschen auch weitere Wege in Kauf, aber bei z. B. Blinddarmschmerzen muss ein Krankenhaus schnell erreichbar sein. Natürlich muss dabei die Qualität stimmen. Ähnliches auch bei den Geburten oder in der Kinder- und Jugendmedizin. Wir brauchen eine gut aufeinander abgestimmte Entwicklung der einzelnen Klinikstandorte und eine stärkere Vernetzung untereinander sowie mit dem UKSH. Dazu brauchen wir eine gute Krankenhausplanung, die in die Zukunft gerichtet ist. Da ist das Land in der Verpflichtung.
Qualität und Erreichbarkeit schließen sich bei integrierten Versorgungssystemen nicht aus, sondern ergänzen sich idealerweise. Eine gute Grundversorgung muss – gerade in einem Flächenland – schnell und gut erreichbar sein. Ob das allerdings immer in Form eines ‚klassischen Krankenhauses’ der Fall sein muss, oder ob z. B. ein kommunales MVZ die Versorgungsbedarfe einer Region nicht viel besser abdeckt, muss im Einzelfall genau betrachtet werden. Für hochkomplexe Eingriffe muss aber immer die Qualität der Leistungserbringung ausschlaggebend sein und hier sind Spezialisierung und Konzentration ganz sicher notwendig. Mit einem modern ausgestatteten Rettungsdienst, der digital unterstützt wird, einer guten Notfallstruktur, aber auch Angeboten wie Patientenhotels, wenn die Wege zum nächsten spezialisierten Zentrum tatsächlich weiter werden, bekommt man das hin. Politik muss allerdings den Mut haben, genau das den Menschen verständlich zu kommunizieren und dabei auch deren Sorgen ernst nehmen. Es geht nicht um den Abbau von Versorgungsstrukturen, sondern um die Verbesserung und Optimierung von Versorgung und der passgenaueren Erfüllung von Versorgungsbedarfen.
Als Gesundheitspolitiker aber auch als Vater drei kleinerer Kinder und als pflegender Angehöriger muss ich sagen: Beides ist wichtig! Wir brauchen gut erreichbare Angebote der Krankenversorgung für alle Bewohnerinnen und Bewohner Schleswig-Holsteins. Gleichzeitig muss diese Gesundheitsversorgung aber auch qualitativ hochwertig sein. Das muss nicht zwingend im Widerspruch stehen. Voraussetzung ist allerdings das klare Bekenntnis von Politik aber auch von Gesellschaft, Gesundheit nicht als Ware, sondern als unverzichtbaren Bestandteil der Daseinsvorsorge zu sehen und entsprechend zu finanzieren. Ziel des SSW ist es daher, nicht nur Angebote der Krankenversorgung, sondern auch im pflegerischen Bereich, wie etwa bei der Kurzzeitpflege, in der Fläche zu erhalten und im Zweifel auch bedarfsgerecht auszubauen. Und um dies zu ermöglichen, setzen wir uns für eine solidarische Krankenversicherung und einen Systemwechsel in der Pflegeversicherung ein, der wirklich allen Kranken und Pflegebedürftigen eine menschenwürdige und passgenaue Versorgung ermöglicht. Das Gemeinwohl und nicht der Profit muss im Mittelpunkt stehen. Und daher müssen Bund und Land nicht zuletzt in der Krankenhausversorgung an einem Strang ziehen und zu einem echten Paradigmenwechsel kommen: Weg von einer immer stärkeren Ökonomisierung und hin zu einer Versorgungslandschaft, die dauerhaft eine möglichst wohnortnahe Grundversorgung der Bevölkerung in hoher Qualität gewährleistet.