Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein
Es kommt Bewegung ins deutsche digitale Gesundheitssystem. Der Start der elektronischen Patientenakte (ePA) markiert den vorläufigen Höhepunkt einer langen Entwicklungsphase, zuletzt vorangetrieben durch den Gestaltungswillen des Bundesgesundheitsministeriums. Der Zeitpunkt des ePA-Launches ist günstig: Angesichts der Einschränkungen durch die Coronakrise wurden vom Online-Terminmanagement bis zur Videosprechstunde die möglichen Vorteile eines digitalisierten Gesundheitssystems offensichtlich und erfahrbar. Wenn nun seit dem 1. Januar 2021 die verschiedenen ePA-Varianten der Krankenkassen die gesetzlich festgelegten Leistungen anbieten, markiert dies den Beginn einer neuen Entwicklungsphase. In den folgenden Schritten wird es jedoch nicht allein um die ePA gehen, sondern auch um Perspektiven für das Gesundheitssystem an sich.
Die ePA ist der Schlüssel zu einem vernetzten Gesundheitssystem
Es ist ein wiederkehrendes Motiv im gesellschaftlichen Umgang mit technologischen Innovationen: Am Anfang stehen die Nachbildung und die Optimierung des Althergebrachten. Auch die Entwicklung der Gematik und die Architektur der ePA spiegeln diesen Ansatz wider, was in der ersten Phase ihrer Entwicklung auch einleuchtet, da hier die Prozessabbildung mit dem Fokus auf Sicherheit und Datenschutz im Vordergrund stand. Doch Anbieter und Entwickler, die in der ePA auch mittel- und langfristig nur einen digitalen Dokumentenspeicher sehen, werden ihr eigentliches Potenzial verschenken. Denn als Schnittstelle und Plattform für die Stakeholder des Gesundheitswesens ist die ePA der Schlüssel zu einem vernetzten Gesundheitssystem. Sie erhöht die Transparenz, verbessert und vereinfacht die Kommunikation und befähigt so Patientenschaft und Leistungserbringer zu einem aktiveren, wirksameren Gesundheitsmanagement. Der Referentenentwurf des Gesetzes zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG) sieht darüber hinaus Schnittstellen zwischen der ePA und digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) vor. Sie ermöglichen die Integration medizinisch hochwertiger Apps in die elektronische Patientenakte und die Nutzung ihrer Messwerte im Sinne der Patientinnen und Patienten. An diesen Schnittstellen entsteht das Potenzial für echten Mehrwert und für die Nutzungsanreize, auf die der Erfolg der ePA angewiesen ist.
Vorteile und Nutzen müssen sichtbar und erfahrbar gemacht werden
Dass es auf allen Seiten einen Bedarf an nützlichen digitalen Lösungen im Gesundheitswesen gibt, zeigt der wachsende Erfolg von Wearables, Fitnessapps und Ernährungsberatern, zeigt die Nutzung des Apple Health Kit in amerikanischen Krankenhäusern. In diesem Umfeld muss die Ausgestaltung der ePA eine entscheidende Botschaft senden: Es gibt sie nicht nur, weil sie technisch möglich ist. Sie bietet vielmehr Antworten und Lösungen für reale Fragen und Herausforderungen. Sie führt Patientenbedürfnisse und medizinische Expertise auf eine neue Art und Weise zusammen, erleichtert Diagnosen, kompensiert Engpässe in der Versorgung und gibt Patientinnen und Patienten ein Gefühl der Selbstwirksamkeit – gerade in Phasen, in denen ihre Gesundheit nicht allein in ihren Händen liegt.
Im internationalen europäischen Digitalisierungsvergleich landete das deutsche Gesundheitssystem bisher meist im hinteren Mittelfeld. Auch wenn die deutsche elektronische Patientenakte später eingeführt wird und zunächst weniger bietet als vergleichbare Angebote in Dänemark, Estland oder Großbritannien, ist sie dennoch ein wesentlicher Schritt nach vorn und eine Möglichkeit, den Anschluss zu finden oder sogar in Führung zu gehen. Essenziell für den Erfolg ist ihre Integration in ein echtes digitales Ökosystem, das in seinem Kern auf Sicherheit und Datenschutz aufgebaut und in seiner Ausgestaltung konsequent kundenzentriert ist. So bleibt Bewegung im deutschen Gesundheitssystem, so entsteht eine bessere Versorgung für alle.