Der Anteil der von der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) betroffenen Kinder und Jugendlichen bis 19 Jahre ist in Schleswig-Holstein von 2011 bis 2014 mit 3,6 Prozent unverändert geblieben. Damit liegt die Diagnoserate unter dem Bundesdurchschnitt von 4,2 Prozent. Auffällig sind jedoch weiterhin regionale Unterschiede und Entwicklungen in den Städten und Kreisen des Landes. Dies zeigen Auswertungen für den Barmer GEK Arztreport 2016.
Entwicklungen in Städten und Kreisen
Unverändert wird die Diagnose ADHS dabei häufiger bei Jungen gestellt. Während die Diagnoserate dort bei den bis 19-Jährigen 5,6 Prozent beträgt, sind es bei Mädchen in dieser Altersgruppe 1,6 Prozent. Innerhalb Schleswig-Holsteins variieren die Diagnoseraten beim männlichen Geschlecht zwischen 7,6 Prozent im Kreis Herzogtum Lauenburg und 3,5 Prozent im Kreis Nordfriesland. Beim weiblichen Geschlecht liegen die Raten zwischen 2,2 Prozent im Kreis Herzogtum Lauenburg und 0,7 Prozent im Kreis Nordfriesland. Im Bundesgebiet reicht die Spanne der Diagnoseraten bei den männlichen Kindern/Jugendlichen von 2,1 Prozent im baden-württembergischen Freudenstadt bis zu 14,0 Prozent im bayerischen Kitzingen. Bei den weiblichen Kindern/Jugendlichen liegen die Diagnoseraten zwischen 0,4 Prozent in Dillingen an der Donau und 7,9 Prozent in Würzburg.
Ebenso unterschiedlich zeigen sich auch die Verordnungsraten von ADHS-relevanten Arzneimitteln wie Methylphenidat in den Städten und Kreisen. Gemessen am Anteil der Kinder und Jugendlichen mit einer ADHS-Diagnose ging der Anteil der Betroffenen mit einer Arzneimittel-Verordnung jedoch nahezu überall zurück.
Einflussfaktoren
Für den Vorsitzenden des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in Schleswig-Holstein (BKJ-SH), Heiko Borchers, spiegeln sich in den regionalen Unterschieden vor allem auch soziale Aspekte wider: "Bildungsstand und sozialer Status beeinflussen auch das Thema ADHS. Die Einsicht, dass ein schwerwiegendes Verhaltensproblem als solches eingeschätzt wird und der Weg über den ersten Besuch beim Kinderarzt hinaus zum Kinder- und Jugendpsychiater oder auch zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten führen sollte, ist nicht immer vorhanden. Ebenso auch die Akzeptanz und der Umgang mit Medikamenten", so Borchers. Dies sei bedauerlich, da Psychiater und Psychotherapeuten viele Kinder und Jugendliche mit einer psychischen Störung häufig nicht erreichten. "Jedes behandlungsbedürftige Kind, das wir heute aber nicht erreichen, birgt hohes Potenzial, der psychisch kranke Erwachsene von Morgen zu sein", ergänzt Borchers.
Unterschiedliche Herangehensweisen?
Dies kann auch Schleswig-Holsteins Barmer GEK Landesgeschäftsführer Thomas Wortmann mit Blick auf die schon bei jungen Berufsstartern hohen Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen psychischer Erkrankungen nur bestätigen. "Vermutlich gibt es mitunter erheblich unterschiedliche diagnostische und therapeutische Herangehensweisen in den einzelnen Regionen. Diese könnten beispielsweise auf unterschiedlichen ärztlichen Auffassungen beruhen, möglicherweise auch im Sinne unterschiedlich geprägter ärztlicher Lehrmeinungen. Für Anfang 2017 ist eine gemeinsame S3-Leitlinie der relevanten Fachgruppen zu ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen angekündigt. Es wäre zu wünschen, dass damit wissenschaftlich fundierte und praxisbezogene Handlungsempfehlungen zu einer einheitlichen Herangehensweise bei Diagnostik und Therapie und damit zu einer Verbesserung der Versorgung führen werden", so Wortmann.