In Deutschland leiden etwa 3,25 Millionen Menschen an chronischem Schmerz, davon rund 100.000 in Schleswig-Holstein. Doch trotz wichtiger Fortschritte muss ihre Versorgung noch deutlich verbessert werden. Zu diesem Ergebnis kommt der Barmer Arztreport 2016, der erstmals valide Zahlen auf der Basis von Krankenkassendaten zu dem Thema liefert. "Chronischer Schmerz erfordert eine sehr spezifische Behandlung. Angesichts der großen und zunehmenden Zahl der Betroffenen sollte die Bekämpfung des chronischen Schmerzes zu einem nationalen Gesundheitsziel werden", erläutert Thomas Wortmann, Landesgeschäftsführer der Barmer für Schleswig-Holstein. Dessen Anliegen müsse eine durchgängige Versorgungskette sein, um durch interdisziplinäre Zusammenarbeit möglichst oft die Chronifizierung von Schmerzen zu verhindern. Dabei solle der Hausarzt eine Lotsenfunktion übernehmen.
Regionale Unterschiede bei den Diagnoseraten
Der Report zeigt, dass chronische Schmerzen in Deutschland regional sehr unterschiedlich dokumentiert werden. Am häufigsten sind mit 5,79 Prozent die Menschen im Bundesland Brandenburg betroffen. Die geringste Rate wurde in Bremen mit 2,94 Prozent dokumentiert. Schleswig-Holstein liegt mit einer Diagnoserate von 3,59 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt, der 4,02 Prozent beträgt. Niedrigere Raten wurden nur in Baden-Württemberg (3,49 Prozent), Nordrhein-Westfalen (3,46 Prozent), Hamburg (3,07 Prozent) und Bremen (2,94 Prozent) ermittelt. Für ihre Auswertung hatten die Reportautoren vom Aqua-Institut Göttingen die Diagnosen berücksichtigt, mit denen chronische Schmerzen ohne direkten Bezug auf ein Organ dokumentiert werden.
Auch innerhalb Schleswig-Holsteins ist die Zahl von Schmerzpatienten unterschiedlich hoch. Während im Kreis Steinburg mit 4,5 Prozent und in Flensburg mit 4,2 Prozent die höchsten Diagnoseraten dokumentiert wurden, lagen die niedrigsten Werte mit 2,9 Prozent der Bevölkerung in Neumünster und 3,0 Prozent im Kreis Pinneberg deutlich darunter.
Frauen deutlich häufiger betroffen
In einer bundesweiten Betrachtung des Zehn-Jahres-Zeitraums von 2005 bis 2014 zeigt sich dabei auch, dass chronischer Schmerz stetig häufiger diagnostiziert wurde. So waren 2005 bundesweit erst 1,59 Prozent der Bevölkerung betroffen. Chronische Schmerzen werden in allen Altersgruppen zudem deutlich häufiger bei Frauen dokumentiert, wobei die Zahl der Betroffenen mit dem Alter ansteigt. In der Gruppe der über 80-Jährigen waren im Jahr 2014 etwa 9,3 Prozent der Männer und 15,2 Prozent der Frauen betroffen. Bei den über 90-Jährigen lag die Diagnoserate bei etwa zehn Prozent der Männer und knapp 16 Prozent der Frauen.
Multimodale Schmerztherapie nur bei einem von fünf Patienten
Schwerwiegende Verläufe chronischer Schmerzerkrankungen bilden die Indikation für eine multimodale Schmerztherapie. Diese wird als interdisziplinäre Behandlung durch mindestens zwei Fachdisziplinen in Krankenhäusern durchgeführt. In den letzten Jahren zeigt sich in dieser Versorgung ein differenziertes Bild. Die Zahl der Patienten, die im Krankenhaus mit einer multimodalen Schmerztherapie behandelt wurden, hat sich in den Jahren 2006 bis 2014 mehr als verdoppelt. Dennoch werden nur ein Fünftel aller Patienten, die potenziell für eine solche Therapie geeignet wären, in dieser Form behandelt. 2014 erfuhren in Schleswig-Holstein 42,4 von 100.000 Menschen eine solche Therapie. Nur in Mecklenburg-Vorpommern (38,2) und Hamburg (24,0) waren es weniger Betroffene. Die höchste Zahl an Betroffenen wurde in Rheinland-Pfalz mit 115,3 von 100.000 Menschen ermittelt.
Schmerztherapie in der ambulanten Versorgung
Die Abrechnung von Behandlungen chronisch schmerzkranker Patienten in Sinne der geltenden Schmerztherapie-Vereinbarung bedarf einer besonderen Genehmigung. Von den dafür zugelassenen Ärzten verschiedener Fachgruppen wurde in Schleswig-Holstein im Jahr 2014 für 567 je 100.000 Menschen die „Grundpauschale schmerztherapeutischer Patient“ abgerechnet. Nur in Niedersachen waren es mit 402 je 100.000 weniger. Die meisten Abrechnungs-/Betroffenenfälle wurden in Mecklenburg-Vorpommern (1.357 je 100.000 Menschen) verzeichnet.
Vor diesem Hintergrund bezeichnet Wortmann das zwischen Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung Schleswig-Holstein vereinbarte Konzept zur Sicherstellung der Versorgung von Schmerzpatienten als Richtung weisend: "Frei werdende Arztsitze eines Schmerztherapeuten gezielt mit Ärzten zu besetzen, die ebenfalls an der Schmerztherapie-Vereinbarung teilnehmen, ist eine wichtige Ergänzung der Bedarfsplanung. Es ist zugleich eine wichtige Voraussetzung dafür, die flächendeckende Versorgung dauerhaft sicherzustellen. Angesichts der Zunahme von Schmerzpatienten ist auch die regelmäßige Überprüfung der Versorgungssituation ein bedeutender Aspekt."