Kiel, 11. Oktober 2023 – Schleswig-Holstein hat die geringste Rate an chronischen Schmerzpatientinnen und -patienten unter allen Flächenländern in Deutschland. 453 je 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner leiden dort länger als sechs Monate an Schmerzen. Damit liegt der Norden der Republik um 21 Prozent unter dem Bundesschnitt von 571 je 10.000 Einwohner. Das geht aus dem aktuellen Schmerz-Atlas des Barmer Instituts für Gesundheitssystemforschung (bifg) hervor, der Abrechnungsdaten aus dem Jahr 2021 analysiert hat. Am geringsten betroffen ist demnach der Kreis Neumünster mit 350 Betroffenen je 10.000 Einwohner. Landesweites Schlusslicht ist der Kreis Dithmarschen mit 552 Erkrankten je 10.000 Einwohner. „Schmerz macht den Alltag zur Tortur. Betroffene benötigen im Bedarfsfall eine ganzheitliche, multimodale Schmerztherapie. Sie soll verhindern, dass sich der Schmerz noch weiter chronifiziert“, sagt Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein. Wichtig sei zuerst eine umfassende Schmerzdiagnostik. Die Barmer biete ihren Versicherten dazu ein ambulantes interdisziplinäres multimodales Assessment an, kurz A-IMA. Diese neue Form der Untersuchung werde von Fachleuten verschiedener Disziplinen durchgeführt. Denn Schmerz habe viele Facetten und in der Regel nicht nur eine Ursache. Wenn es die Situation erfordere, könne darauf mit einer multimodalen Schmerztherapie individuell und ganzheitlich reagiert werden.
Chronischer Schmerz vor allem in Gesundheits- und Sozialberufen
Wie aus dem Barmer-Atlas weiter hervorgeht, tritt chronischer Schmerz bei Weitem nicht erst im Rentenalter auf. Zwischen 40 und 49 sowie 50 und 59 Jahren leiden in Schleswig-Holstein bereits 332 beziehungsweise 571 je 10.000 Einwohner darunter. Bei Betrachtung einzelner Branchen sind bei den 40- bis 59-Jährigen vor allem Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen mit 456 je 10.000 Einwohner betroffen. „Gerade für Berufstätige ist es wichtig, dass sie eine multimodale Schmerztherapie auch berufsbegleitend durchführen können. So vermeiden sie längere Arbeitsunfähigkeiten und integrieren die erlernten Fähigkeiten direkt in den Alltag“, sagt Hillebrandt. Die multimodale Schmerztherapie erfolge im Rahmen des Innovationsfondsprojektes PAIN2.0, an dem unter anderem die Deutsche Schmerzgesellschaft und die Barmer beteiligt seien. „Patientinnen und Patienten werden im Projekt PAIN2.0 von einem Team aus Fachärzten, Physio- und Psychotherapeuten gemeinsam betreut, um neben körperlichen auch mögliche seelische Ursachen von Schmerzen zu erkunden“, so Hillebrandt. Angeboten werde PAIN2.0 im Land am Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH). Die Ergebnisse würden wissenschaftlich evaluiert und sollten bei positiver Bewertung in die Regelversorgung übernommen werden.
Chronischer Schmerz bei Frauen deutlich häufiger als bei Männern
Laut dem Barmer-Atlas gibt es beim chronischen Schmerz aber nicht nur deutliche Unterschiede beim Alter oder zwischen den Branchen, sondern auch beim Geschlecht. Demnach sind Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer. Die Raten liegen in Schleswig-Holstein hier bei 594 beziehungsweise 309 je 10.000 Einwohner. Die deutlich höhere Prävalenz bei Frauen zieht sich durch alle Altersgruppen. Besonders hoch sind die Raten in der Gruppe der 80- bis 89-Jährigen und der Altersgruppe 90 plus. Hier leiden bei den Frauen 1.712 beziehungsweise 2.137 je 10.000 Einwohner unter chronischem Schmerz. Unter den Männern sind es 1.049 beziehungsweise 1.403 je 10.000 Einwohner.
Chronischer Schmerz ist eine eigenständige Erkrankung
Dass es bei Schmerzen keine Therapie von der Stange geben kann, zeigten nicht nur die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, dem Alter oder den Branchen. Bei chronischem Schmerz sei es wichtig, einen ganzheitlichen Behandlungsansatz zu verfolgen. Denn der dauerhafte Schmerz sei nicht nur ein alleiniges körperliches Leiden, so Hillebrandt. Auch die Seele spiele hierbei eine große Rolle. So litten in Deutschland zum Beispiel 39 Prozent der Personen mit chronischem Schmerz zugleich auch an einer Depression. Der multimodale Behandlungsansatz von PAIN2.0 verbinde physiotherapeutische mit psychotherapeutischen Therapieansätzen. Darüber hinaus würden soziale Aspekte in die Therapie integriert. Dabei gehe es zum Beispiel darum, wie Schmerzpatienten trotz ihrer Erkrankung weiter arbeitsfähig bleiben könnten oder wie sie im Zweifelsfall mit dem Verlust des Arbeitsplatzes umgingen.
Chronischer Schmerz häufig einher mit Bandscheiben- und Gelenkleiden
Depressionen seien nicht die einzige Begleiterkrankung bei chronischem Schmerz. Bundesweit litten rund 30 beziehungsweise 24 Prozent der Personen mit chronischem Schmerz zugleich an Bandscheiben- oder Gelenkerkrankungen. Das erfordere eine individuelle Therapie. Je besser sie auf die Leiden eingehe, desto größer sei am Ende in der Regel auch der Behandlungserfolg.