Kiel, 28. Dezember 2017 - Pflegebedürftigkeit hat viele Facetten. Eine davon ist eine Gruppe Betroffener, die gemeinhin nicht mit dem Begriff Pflegebedürftigkeit verbunden wird. Gemeint sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene unter 60 Jahren, bei denen Pflegebedürftigkeit jedoch zunehmend häufiger eintritt. Zahlen des Statistikamtes Nord belegen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen unter 60 Jahre in Schleswig-Holstein von 2005 bis 2015 um mehr als 42 Prozent auf nahezu 16.300 Personen angestiegen ist. Damit ist ihr Anteil an den insgesamt rund 98.000 Pflegebedürftigen im Land auf 17 Prozent angewachsen. Der Barmer Pflegereport 2017 hat den „Jungen Pflegebedürftigen“ besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
Wunsch und Wirklichkeit klaffen häufig auseinander
„Versorgungsrealität und Versorgungswünsche von jungen Pflegebedürftigen weichen zum Teil erheblich voneinander ab. Häufig mangelt es insbesondere an alters- oder erkrankungsgerechten Angeboten“, resümiert Schleswig-Holsteins Barmer Landesgeschäftsführer Thomas Wortmann. Das geht aus einer repräsentativen, bundesweiten Umfrage der Barmer hervor, die ergänzend zum Pflegereport durchgeführt wurde. Demnach würden gern 35 Prozent der Zehn- bis 29-Jährigen in eine Wohngruppe ziehen. Jedoch hat etwa jeder zweite Pflegebedürftige in dieser Altersklasse angegeben, dass sich sein Wechsel in eine Wohngruppe, aber auch in ein Pflege- oder Behindertenheim, deswegen zerschlagen hat, weil kein Platz in der Einrichtung vorhanden war. „Tendenziell wollen junge Pflegebedürftige individueller und selbstbestimmter leben, als es ihnen bisher möglich ist. Daher muss die Situation der jungen Pflegebedürftigen unbedingt verbessert werden. Die unerfüllten Wünsche nach einem selbstbestimmten Wohnen bedarf gemeinsamer Anstrengungen von Politik, Bauwirtschaft und Interessenverbänden, um dem Alter und dem Hilfebedarf angepasste Wohnplätze zu schaffen“, so Wortmann.
Andere Krankheitsbilder, andere Hilfe notwendig
Jüngere Pflegebedürftige haben andere Krankheitsbilder und einen anderen Pflegedarf. Wie der Barmer Pflegereport aufzeigt, liegen bei 35 Prozent Lähmungen zugrunde, bei 32 Prozent Intelligenzminderungen, bei 24 Prozent eine Epilepsie und bei weiteren zehn Prozent ein Down-Syndrom. In Schleswig-Holstein wohnt die Mehrzahl (75 Prozent) der Pflegebedürftigen unter 60 Jahre zuhause und wird dort von der eigenen Familie (Partner/in, Eltern, Geschwister, weitere Angehörige) gepflegt und erhält Pflegegeld. Weitere 11 Prozent holen sich ambulante Unterstützung durch Pflegedienste, 14 Prozent werden vollstationär gepflegt. Die Versorgung junger Pflegebedürftiger geht jedoch deshalb häufig am Bedarf vorbei, weil Personal in der ambulanten und stationären Pflege überwiegend auf geriatrische Pflege spezialisiert ist. Die Versorgungssituation berücksichtigt daher zu wenig die besonderen Bedürfnisse und Fähigkeiten jüngerer Pflegebedürftiger.
Wünsche nach mehr Freizeitaktivitäten
Ein weiteres Manko für jüngere Pflegebedürftige sind laut Umfrage fehlende altersgerechte Freizeitangebote in den Einrichtungen. Dabei stehen Ausflüge und Reisen oben an, aber auch kulturelle Angebote, Sportangebote oder das Treffen mit Freunden entsprechen nicht den Wünschen aller jüngeren Altersgruppen. „Ein 30jähriger Pflegebedürftiger hat in einer Wohngruppe mit 80-Jährigen nichts verloren. Er will so aktiv es eben geht am Leben teilhaben und im Prinzip all‘ das unternehmen, was auch Gleichaltrige machen, die nicht pflegebedürftig sind. Auch hier zeigen sich Defizite in der heutigen Versorgung“, so Wortmann.
Kurzzeitpflege würde gern häufiger genutzt
Auch bei der Kurzzeitpflege gibt es Versorgungslücken. So nutzen derzeit laut Befragung neun Prozent der jungen Pflegebedürftigen mindestens einmal im Jahr die Kurzzeitpflege. Tatsächlich aber würden gern 19 Prozent auf dieses Angebot zugreifen. Als wesentliche Gründe, warum die Kurzzeitpflege nicht im gewünschten Maß genutzt wird, wurde vor allem das Fehlen eines entsprechenden Angebots für die jeweilige Altersgruppe genannt. Der Pflegestatistik 2015 für Schleswig-Holstein nach nutzten lediglich 51 Pflegebedürftige unter 60 Jahre die Kurzzeitpflege. Dies entspricht weniger als 0,5 Prozent der zuhause Gepflegten.
Den vollständigen Barmer Pflegereport 2017 und weitere Informationen dazu finden Interessierte hier.