Kiel, 29. Januar 2021 – Der Pflegenotstand in Deutschland ließe sich durch bessere Arbeitsbedingungen deutlich abmildern. Auf einen Schlag gäbe es in Schleswig-Holstein über 1.100 Pflegekräfte mehr, wenn die Arbeitssituation und damit einhergehend die Gesundheit der Pflegerinnen und Pfleger besser wären. Das geht aus dem aktuellen Barmer-Pflegereport hervor. Demnach sind Pflegekräfte in Deutschland und Schleswig-Holstein deutlich häufiger krank und werden öfter frühverrentet als viele andere Berufstätige. „Die Pflegeberufe müssen dringend deutlich arbeitnehmerfreundlicher werden. Mit substanziell und nachhaltig besseren Arbeitsbedingungen könnten Bund, Länder und Arbeitgeber den Pflegeberuf zeitnah attraktiver gestalten. Mit dem Potenzial an 1.166 Pflegekräften könnten zusätzlich rund 2.000 Menschen in Schleswig-Holstein versorgt werden“, sagt Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein. Bessere Arbeitsbedingungen zeichneten sich nicht nur durch eine angemessene Vergütung, sondern auch durch eine ausreichende Personalausstattung in der Pflege und durch möglichst planbare und familienfreundliche Arbeitszeiten aus.
Höherer Krankenstand und mehr Frühverrentungen in der Pflege
Wie groß der Handlungsbedarf in der Pflege ist, verdeutlicht der Pflegereport mit Blick auf die Fehlzeiten und Krankenstände. In Schleswig-Holstein fehlten Pflegerinnen und Pfleger in der Altenpflege durchschnittlich an rund 29 Arbeitstagen. Das zeigt sich auch am Krankenstand, wonach im nördlichsten Bundesland in den Jahren 2016 bis 2018 9,4 Prozent aller Hilfskräfte und 7,8 Prozent der Fachkräfte in der Altenpflege krankgeschrieben waren. Zum Vergleich: In anderen Berufen lag der Krankenstand im Schnitt bei 5,2 Prozent. Das entspricht einem Unterschied von bis zu 81 Prozent. Zudem mussten Altenpflegekräfte häufiger und länger im Krankenhaus behandelt werden als andere Erwerbstätige (170 zu 136 Krankenhausaufenthalte je 1.000 Beschäftigte). Während die Zahl der Krankenhausfälle damit um 25 Prozent erhöht ist, liegt die Zahl der Krankenhaustage sogar um 35 Prozent höher, weil auch die durchschnittliche Krankenhausverweildauer um acht Prozent länger ist.
„Die Arbeitssituation in der Pflege greift die Gesundheit der Beschäftigten massiv an. Wenn sie ausfallen, werden Kolleginnen und Kollegen zusätzlich belastet. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden, zumal die Corona-Pandemie die angespannte Arbeitssituation der Pflegekräfte noch einmal verschärft“, betont Hillebrandt. Der Pflegeberuf sei so kraftraubend, dass zudem überproportional viele Beschäftigte nicht bis zur Rente durchhielten. Untersuchungen hätten festgestellt, dass eine Pflegekraft nur etwa zwölf Jahre in der Altenpflege arbeite und der Anteil der Pflegekräfte mit einer Erwerbsminderungsrente bis zu doppelt so hoch sei wie in sonstigen Berufen. „Hier müssen wir gegensteuern“, sagt Barmer Landeschef Hillebrandt.
180 Prozent mehr Fehltage aufgrund von Rückenschmerzen
Die Beschäftigten in der Pflege leiden unter höheren physischen und psychischen Belastungen als viele andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. So arbeiten sie häufiger im Stehen und müssen schwerer tragen und heben. Doch damit nicht genug: Pflegekräfte stehen auch stärker unter Termin- und Leistungsdruck als Beschäftigte in vielen anderen Branchen. Damit haben sie häufiger das Gefühl bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gehen zu müssen. „Pflegekräfte haben vor allem lange Fehlzeiten aufgrund von psychischen Problemen sowie Muskel-Skelett-Erkrankungen“, erklärt Hillebrandt. So wiesen Beschäftigte in der Altenpflege etwa 80 bis 90 Prozent mehr Fehltage aufgrund von Depressionen auf als Erwerbstätige in sonstigen Berufen. Rückenschmerzen verursachten bei Fachkräften in der Altenpflege knapp 96 Prozent und bei Hilfskräften etwa 180 Prozent mehr Fehltage als in anderen Berufen. „Die Arbeitsbedingungen in der Pflege können nicht so bleiben, wie sie sind. Hier sind die Arbeitgeber in der Pflicht, neben geregelten Arbeitszeiten stärker auf Vorsorge zu setzen. Es kann nicht angehen, dass nicht einmal jede zweite stationäre Pflegeeinrichtung Präventionskurse für ihre Beschäftigten anbietet“, kritisiert Hillebrandt. Mit gezielten Trainings gegen Rückenprobleme oder psychischen Stress könne Einiges erreicht werden.
Aus- und Weiterbildungsoffensive zwingend erforderlich
Um die Situation in der Pflege zu verbessern, sei ein Maßnahmenpaket unumgänglich, so Hillebrandt. „In den Pflegeberufen ist eine Aus- und Weiterbildungsoffensive zwingend erforderlich. Der Gesetzgeber hat hier mit der Konzertierten Aktion Pflege, die bis zum Jahr 2023 einen deutlichen Zuwachs an Ausbildungsplätzen vorsieht, einen wichtigen Schritt gemacht. Allerdings richtet sich der Fokus dabei nur auf Pflegefachkräfte. Das reicht nicht aus“, so Hillebrandt weiter. Die Pflegedienste und -heime müssten verstärkt auch Ausbildungsplätze für Pflegehilfskräfte anbieten.