Kiel, 14. November 2019 – In Schleswig-Holstein gibt es trotz über dem Bundesdurchschnitt liegender Impfquoten deutliche Impflücken bei vielen Kleinkindern und Jugendlichen. So war jedes sechste im Jahr 2015 geborene Kind in den ersten beiden Lebensjahren nicht oder unvollständig gegen Masern geimpft. Im Jahr 2017 waren damit hochgerechnet auf Basis der Daten von Barmer-Versicherten in Schleswig-Holstein mehr als 4.000 Zweijährige ohne vollständigen Masernschutz. Zudem war auch jede sechste Zweijährige in Schleswig-Holstein, also gut 2.000 Mädchen, nicht vollständig gegen Röteln geimpft. Dies geht aus dem Arzneimittelreport 2019 der Barmer hervor.
Überdies hatten in Schleswig-Holstein mehr als 800 der im Jahr 2015 geborenen Kinder in den ersten beiden Jahren überhaupt keine der 13 Impfungen erhalten, die die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt. „In Schleswig-Holstein liegen alle Impfquoten über dem Bundesdurchschnitt. Aber es gibt auch hier noch Luft nach oben, um die Ausrottung bestimmter Infektionskrankheiten und den Schutz für all diejenigen, die sich nicht impfen lassen können, zu verbessern. Da immer noch Skepsis und mögliche Ängste vor Impfungen vorhanden sind, brauchen wir zielgruppenspezifische Impfkampagnen, um diese abzubauen“, erklärt Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer für Schleswig-Holstein.
Impflücken sind größer als bisher bekannt
Laut Arzneimittelreport der Barmer gibt es aber nicht nur Impflücken bei den Kleinsten, sondern auch bei älteren Kindern. So wurde bundesweit bei den Kindern im einschulungsfähigen Alter bei keiner der 13 wichtigsten Infektionskrankheiten ein Durchimpfungsgrad von 90 Prozent im Jahr 2017 erreicht. Dabei wäre für eine ausreichende Herdenimmunität, die auch nicht geimpften Personen Schutz bietet, eine Immunisierungsrate von mindestens 95 Prozent erforderlich. Der Arzneimittelreport der Barmer liefert aufgrund der gewählten Methodik der Analysen erstmals ein Bild von den tatsächlichen Impfquoten. Ergebnis: Die Impflücken bei Kleinkindern in Deutschland sind größer als bisher bekannt. So würden bei den häufig zitierten Schuleingangsuntersuchungen die Impfquoten nur anhand der vorgelegten Impfpässe ermittelt. Dabei werde der Impfstatus von Kindern, die keinen Impfpass vorlegen, nicht berücksichtigt. Das führe zu höheren, unrealistischen Impfquoten, denn nicht geimpfte Kinder hätten natürlich auch keinen Impfpass.
Jedes neunte sechsjährige Kind ohne ausreichenden Masern-Impfschutz
Im Jahr 2017 hatten laut Barmer-Arzneimittelreport 91 Prozent der Sechsjährigen in Schleswig-Holstein den empfohlenen Masern-Impfschutz. Das ist der höchste Wert aller Bundesländer, während die niedrigste Immunisierungsrate mit 79,7 Prozent in Sachsen festgestellt wurde. „Durch Masernimpfungen konnten allein seit der Jahrtausendwende rund 21 Millionen Todesfälle weltweit verhindert werden. Eine Masern- aber auch eine Rötelnerkrankung ist kein unvermeidbares Lebensrisiko, sondern ein Versagen der Gesundheitsvorsorge“, sagt Hillebrandt. Schließlich gehe es hier auch um den Schutz von Gefährdeten, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen könnten oder altersbedingt für sich selbst noch keine Impfentscheidung treffen könnten.
Nachimpfungen und spätere Impfungen erfolgen nur unzureichend
Nach dem Report gibt es nicht nur bei Masern, sondern auch bei Mumps Impflücken. So waren in Schleswig-Holstein nur 90,8 Prozent der Sechsjährigen im Jahr 2017 gegen Mumps geimpft. Obwohl die STIKO ein Nachimpfen gegen beide Krankheiten bis zum 17. Lebensjahr vorsieht, erfolgten nach der Einschulung praktisch keine Impfungen mehr. Dies sei, so der Barmer-Landeschef, auch deshalb äußerst bedenklich, da die Kinder und Jugendlichen ihre Impflücken auch im Erwachsenenalter behalten würden und bei Auftreten eines Erkrankungsfalls das Risiko regionaler Epidemien steige. Allein mit der Impfung von Kindern sei dem Problem also nicht beizukommen. „Zur Schließung von Impflücken ist es hilfreich, an Impfungen konsequent zu erinnern. Die Barmer bietet ihren Versicherten daher einen digitalen Impfplaner an. Er ist Teil der Barmer-App, zeigt Impflücken auf und weist auf Auffrischungsimpfungen hin“, erläutert Hillebrandt.
Nur jedes zweite Mädchen gegen HPV
Eine Infektion mit humanen Papillomaviren (HPV) zählt zu den häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten. Eine Infektion mit einem Hochrisiko-HPV-Typ führt zu zellartigen Veränderungen im Bereich des Genital-, Anal- oder Mund-Rachen-Bereichs, woraus sich im Verlauf der Zeit Gebärmutterhalskrebs oder auch andere Krebsarten entwickeln können. Im Alter von 9 bis 14 Jahren sehen die Impfempfehlungen zwei HPV-Impfungen für Mädchen vor, seit 2018 auch für Jungen. In Schleswig-Holstein ist jedoch nur gut die Hälfte der Mädchen (56,1 Prozent) vollständig gegen HPV-Viren geschützt. Im Bundesdurchschnitt sind es 53,2 Prozent. „Die HPV-Impfung bietet einen wichtigen Schutz. Um wirksam zu sein, muss die Impfung erfolgen, bevor es zu einer Infektion kommen kann, also vor der ersten sexuellen Aktivität“, erläutert Hillebrandt. Das habe zudem den Vorteil, dass im Alter von 9 bis 14 Jahren zwei HPV-Impfungen ausreichten, während ab 15 Jahren eine dritte Impfung erforderlich sei.
Maßnahmen zur Verbesserung der Impfquoten ergreifen
Auch für den schleswig-holsteinischen Vorsitzenden des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Ralf van Heek, ist zum Schutz von Kindern, Jugendlichen aber auch Erwachsenen vor impfpräventablen Krankheiten eine Verbesserung der Impfquoten unabdingbar. Eine nennenswerte Erhöhung der Impfquoten in Schleswig-Holstein ist aus seiner Sicht jedoch nicht primär durch Zwangsmaßnahmen oder die Umstimmung überzeugter Impfgegner zu erreichen.
„Um die Impfquoten zu steigern, sind Aufklärungsmaßnahmen für Eltern, Erinnerungsmechanismen für Impftermine, Kontrollen oder eine Ausweitung der impfenden Institutionen auf den öffentlichen Gesundheitsdienst, Fachärztinnen und Fachärzte oder betriebsmedizinische Dienste wichtige Instrumentarien oder Optionen. Auch bei den Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene sollte verstärkt und gezielt auch auf anstehende oder fehlende Impfungen geachtet werden. Dass strukturelle Maßnahmen wirken, belegen die höheren Impfquoten bei Teilnahme am Kinder- und Jugendprogramm der Barmer“, so van Heek. Es sei Besorgnis erregend, dass eine nicht unbeachtliche Zahl von Kindern überhaupt keinen oder keinen vollständigen Impfschutz habe. Häufig sei dies aber nicht auf eine ablehnende Haltung der Eltern zurück zu führen.
„Impftermine werden vergessen, nach Verhinderung nicht neu verabredet und Arzt- oder Wohnortwechsel sind wohl die häufigsten Gründe für bestehende Impflücken. Digitale Lösungen, verbindliche Einladungs- und Erinnerungsprozeduren oder auch Bonussysteme könnten hier hilfreich sein. Unser Verband unterstützt auch die Intentionen des Masernschutzgesetzes. Dies wird sicherlich dazu beitragen, die Impfrate zu erhöhen und auch die Impfungen gegen Röteln, Mumps und Windpocken mitzuziehen“, erklärt van Heek. Ziel der Kinder- und Jugendärztinnen und –ärzte in Schleswig-Holstein sei es, die jungen Menschen im Land möglichst vollständig entsprechend der aktuellen Impfempfehlungen zu impfen. Um ungeimpfte Säuglinge sowie Kinder und Jugendliche, die nicht geimpft werden können, zu schützen, sei auch der Impfschutz der Eltern wichtig.