Kiel, 16. Dezember 2020 – Immer mehr Beschäftigte in Schleswig-Holstein macht der psychische Druck krank. Im Jahr 2019 waren psychische Erkrankungen für 21,4 Prozent der Fehlzeiten verantwortlich. Ein höherer Anteil an den Gesamtfehlzeiten der Beschäftigten wurde nur aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen (22,2 Prozent) dokumentiert. „In einigen Branchen überwiegen jedoch die psychischen Störungen deutlich die Muskel-Skelett- und Atemwegserkrankungen“, erläutert Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein. Dies sei zum Beispiel in den Branchen Erziehung und Unterricht, Finanzdienstleistungen und in der Sozialarbeit der Fall. „Unser aktueller Gesundheitsreport zeigt, dass es für die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig ist, dass die Balance zwischen Beruf und Privatleben ausgewogen ist. Die vielfältigen Angebote zur Stärkung und Erholung, zur psychischen Gesundheit und gesundheitsorientierten Führung müssen noch viel stärker und selbstverständlicher in den Berufsalltag integriert werden“, fordert Hillebrandt.
In der Branche Erziehung und Unterricht waren psychische Störungen für 23,4 Prozent der Fehlzeiten verantwortlich, in Heimen 23,7 Prozent und im Sozialwesen sogar 24,8 Prozent. In den Branchen Metall- und Maschinenbau bestehen die wenigsten psychischen Gesundheitsprobleme (13,4 Prozent bzw.13,7 Prozent). Hier sind überwiegend Muskel-Skelett-Erkrankungen für die krankheitsbedingten Fehlzeiten verantwortlich (26 Prozent). In der Branche Post- und Kurierdienste ist der Anteil an Muskel-Skelett-Erkrankungen am höchsten (30,6 Prozent). Hillebrandt fordert Unternehmen auf, gesundheitliche Risiken am Arbeitsplatz von Beschäftigten ernst zu nehmen und rechtzeitig entgegenzuwirken.
Spürbare Entlastungen für Lehrerinnen und Lehrer notwendig
„Unsere Kolleginnen und Kollegen tun alles, um den vielfältigen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen gerecht zu werden. Das kostet viel Kraft. Jeden einzelnen Tag. Angesichts des Fachkräftemangels sowohl in Kitas als auch Schulen ist nicht zu erwarten, dass die Situation kurzfristig besser werden wird. Umso wichtiger ist der Arbeits- und Gesundheitsschutz, damit Pädagoginnen und Pädagogen gesund bleiben können. Leider zeigen die Statistiken das Gegenteil: die Arbeitsbelastung und die Anzahl der Erkrankungen sind zu hoch“, stellt Astrid Henke, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Schleswig-Holstein, fest. „Hier braucht es Entlastung, und zwar sofort. Die politisch Verantwortlichen müssen endlich in den Bildungseinrichtungen bessere Bedingungen schaffen. Dazu zählen beispielsweise weniger Pflichtstunden für Lehrkräfte, kleinere Klassen und Kita-Gruppen sowie ein aktiver Gesundheitsschutz, damit Erzieherinnen und Lehrkräfte bei Kräften bleiben“, fordert Henke.
Motivation von außen erforderlich
Sowohl für psychische als auch für Muskel-Skelett-Erkrankungen gibt es Präventionsmöglichkeiten. Mit dem Angebot gesundheitsfördernder Maßnahmen über den Arbeitgeber ließe sich so mancher Beschäftigter mitziehen. „Allerdings brauchen viele Menschen eine Motivation von außen, aktiv die Gesundheit zu stärken und präventiv tätig zu werden“, stellt Hillebrandt fest.
Gesundheitsförderung ist Führungsaufgabe
„Die volkswirtschaftlichen Kosten durch Arbeitsunfähigkeiten sind enorm und animieren immer mehr Unternehmen, Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) auf- und umzusetzen“, so Hillebrandt weiter. Grundanliegen aller betrieblichen Maßnahmen sei es, sowohl die körperlichen als auch die psychischen Belastungen der Beschäftigten so gering wie möglich zu halten, um krankheitsbedingte Ausfälle oder Minderleistungen zu vermeiden. „Gesundheitsförderung ist eine Führungsaufgabe. Sie kann aber nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn die Mitarbeiter aktiv in die Ausgestaltung einbezogen werden“, sagt Hillebrandt. Mitarbeiterorientierte Führung und Kommunikation, sinnvolle Ziele und Identifikation sind wesentliche Schlüssel für eine optimale Leistungsentfaltung und Gesunderhaltung. Für kleinere Unternehmen können Arbeitgeber BGM-Angebote bündeln und die Organisation von Veranstaltungsangeboten übernehmen.
Glossar
Ergebnisse aus dem Gesundheitsreport Schleswig-Holstein zu Arbeitsunfähigkeiten (AU)
- Die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner liegen mit ihren Krankheitszeiten etwas über dem Bundesdurchschnitt. Hier gab es 2019 1,5 Prozent mehr AU-Fälle und 1,7 Prozent mehr AU-Tage. Während 2019 bundesweit jeder Arbeitnehmer durchschnittlich 18,2 Tage krankgeschrieben war, waren es in Schleswig-Holstein durchschnittlich 18,5 Tage (Report S. 17 – 19).
- Im Vergleich zum Vorjahr sind die Fehlzeiten in Schleswig-Holstein geringfügig um 1,23 Prozent auf durchschnittlich 18,5 Fehltage gestiegen (Vorjahr 18,3 Fehltage).
- Insgesamt wurden 2019 über 3,1 Millionen Fehltage in Schleswig-Holstein dokumentiert (Report S. 246).
- Auf die vier relevantesten Krankheitsarten entfielen in Schleswig-Holstein 2019 insgesamt 67,3 Prozent und damit mehr als zwei Drittel der Fehlzeiten, dabei 22,2 Prozent auf Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems, 21,4 Prozent auf psychische Störungen, 12,3 Prozent auf Atemwegerkrankungen und 11,4 Prozent auf Verletzungen (Report S. 67).
- Die geringsten Ausfallzeiten aufgrund von Erkrankungen gab es in Baden-Württemberg (15,3 AU-Tage). Die meisten AU-Tage wurden in Mecklenburg-Vorpommern dokumentiert (22,1 AU-Tage).
- Atemwegskrankheiten sind die häufigste Ursache von Arbeitsunfähigkeiten.
- Arbeitsunfähigkeiten aufgrund von psychischen Störungen dauern mit durchschnittlich 45 Tagen am längsten.
- Frauen fehlen häufiger aufgrund von psychischen Erkrankungen – Männer wegen Rückenschmerzen.
- Die meisten Fehlzeiten hatten in Schleswig-Holstein die Busfahrerinnen und -fahrer sowie die Post- und Paketzustellerinnen und -zusteller mit knapp 35 AU-Tagen, gefolgt von Alten- (31,7) und Krankenpflegerinnen und -pflegern (27,5) sowie Reinigungskräften (27,3) und Kassiererinnen – und -kassierern (26,9 AU-Tage).
- In der Branche Erziehung und Unterricht haben Berufe in Hochschullehre und -forschung die niedrigsten Fehlzeiten (5,0 AU-Tage). Die zur selben Branche gehörenden Grundschullehrerinnen und -lehrer fehlten in Schleswig-Holstein durchschnittlich 19,4 Tage krankheitsbedingt und damit fast viermal so lang wie die Hochschullehrer.