Kiel, 13. Mai 2020 – Immer mehr Menschen in Deutschland benötigen eine Psychotherapie. Allein im Jahr 2018 suchten in Schleswig-Holstein rund 100.000 Menschen einen Therapeuten auf und damit ein Drittel mehr als in 2009. Um den Betroffenen schneller zu helfen, wurde im Jahr 2017 die Psychotherapie-Richtlinie reformiert. Auch wenn die Wartezeit bis zu einer Psychotherapie kürzer geworden ist, muss jeder dritte Patient mindestens einen Monat und fast jeder zehnte sogar mehr als drei Monate auf einen Therapieplatz warten. Das geht aus dem aktuellen Barmer-Arztreport hervor. „Die Reform der Psychotherapie-Richtlinie hat zwar den Zugang zu psychotherapeutischer Ersthilfe erleichtert, reicht aber nicht aus. Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind nach wie vor zu lang, zumal sich psychische Probleme chronifizieren können“, sagt Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der Barmer in Schleswig-Holstein.
Psychotherapeutische Sprechstunde hat sich bewährt
Seit der Reform der Psychotherapie-Richtlinie müssen die Praxen eine Psychotherapeutische Sprechstunde anbieten, die die Patienten etwa über Terminservicestellen vermittelt bekommen. In der Sprechstunde wird entschieden, ob eine Therapie notwendig ist und wenn ja, wie dringend sie ist. „Die Psychotherapeutische Sprechstunde hat sich bewährt. Sie wird sehr gut frequentiert und findet bei den Betroffenen positiven Anklang“, sagt Hillebrandt. So hätten sich fast 90 Prozent der Patienten positiv darüber geäußert, wie umfassend die Therapeuten auf deren Anliegen eingegangen seien. Dies zeigten die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage im Zuge des Arztreports unter Psychotherapie-Patienten.
Therapeut sollte im Vorfeld vor überzogenen Erwartungen warnen
Vergleichsweise kritisch wurde das Ergebnis der psychotherapeutischen Behandlung von den Befragten eingestuft. Jeder Dritte war demnach teilweise oder gänzlich unzufrieden mit den Resultaten. Andererseits waren immerhin rund zwei Drittel damit vollkommen bis sehr zufrieden. Fast 89 Prozent waren auch mit dem Vertrauensverhältnis zum Therapeuten sehr zufrieden. „Viele Patientinnen und Patienten wünschen sich eine konkrete Lösung für ihre Probleme. Eine Psychotherapie deckt aber eher Verhaltensmuster auf und gibt Denkanstöße zum eigenen Handeln. Deshalb ist es wichtig, dass die Therapeuten den Patientinnen und Patienten zu Beginn klar formulieren, was sie sich von einer Therapie erhoffen können“, so Hillebrandt.
Zahl der Therapeuten massiv gestiegen
Dem Barmer-Arztreport zufolge gab es im Jahr 2018 in Schleswig-Holstein rund 1.150 Ärzte und Therapeuten mit einer psychotherapeutischen Qualifikation. Seit dem Jahr 2009 stieg die Zahl der psychologischen Psychotherapeuten um 44,1 Prozent von 383 auf 552. Die Zahl der ambulant tätigen Kinder- und Jugendpsychotherapeuten hat sich mehr als verdoppelt, von 66 auf 143. „Die steigende Anzahl der Therapeuten kommt nicht eins zu eins in der Versorgung an, weil immer mehr ihre Arbeitszeit reduzieren. Im Jahr 2013 haben 89 Prozent der psychologischen Psychotherapeuten in Vollzeit gearbeitet und in 2018 nur 73 Prozent“, sagt Hillebrandt.
Zudem sei die regionale Verteilung unterschiedlich. Während in dünnbesiedelten Gebieten 24 Psychotherapeuten auf 100.000 Einwohner kämen, seien es in dichtbesiedelten Regionen wie in Berlin oder Hamburg bis zu über 77 Therapeuten. In Schleswig-Holstein kämen knapp 31 Psychotherapeuten auf 100.000 Einwohner. „Man kann es auf die Formel bringen: mehr Menschen pro Quadratkilometer bedeuten mehr Therapeuten pro Kopf der Bevölkerung“, so Hillebrandt. „Die Frage ist, wie bekommen wir die Therapeuten dorthin, wo wir sie am meisten brauchen? Hier ist über Anreizsysteme während der Weiterbildung nach dem Studium für Studierende der Psychologie und finanzielle Anreize auf Landkreisebene nachzudenken“, sagt Hillebrandt. Eine weitere Option seien Videosprechstunden, die auch im Rahmen der Psychotherapie möglich sei.
Service für Redaktionen
Das komplette Material zum Barmer-Arztreport 2020 finden Sie unter www.barmer.de/p009012.
Ein Themenspecial finden Sie unter www.barmer.de/psychische-gesundheit.