Kiel, 11. April 2023 – Kinder kämpfen hierzulande bis heute mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf ihre Gesundheit. Dies gilt insbesondere bei den klassischen Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Scharlach. Das geht aus dem aktuellen Arztreport der Barmer hervor. Demnach ist während der Corona-Pandemie die übliche Scharlach-Welle bei Kindern in der Kita nahezu ausgeblieben, was jetzt zu einem intensiven Nachholeffekt auf die nun älteren Schulkinder führt. Hier drohen außergewöhnlich schwere Verläufe. Den Reportergebnissen zufolge haben sich im Jahr 2019 rund 9.100 Kinder in Schleswig-Holstein mit Scharlach infiziert, im Jahr 2021 waren es nur noch 1.523. Das entspricht einem Rückgang von gut 83 Prozent. „Kinder sind die großen Verlierer der Corona-Pandemie. Sie litten unter vielen Entbehrungen und tragen heute die Konsequenzen für ihre Gesundheit. Eine drohende Scharlach-Welle bei Schulkindern ist nur ein Beispiel von vielen Infektionskrankheiten. Um solche negativen Effekte für die Zukunft zu vermeiden, müssen wir die richtigen Lehren aus der Pandemie ziehen“, sagt Dr. Bernd Hillebrandt, Landesgeschäftsführer der BARMER in Schleswig-Holstein. Es brauche evidenzbasierte Konzepte mit Augenmaß, die im Falle einer Pandemie als eine Art Blaupause vorliegen.
Kinderkrankheiten zeigen rückläufige Tendenz
Wie aus dem Report hervorgeht, sind neben Scharlach weitere klassische Kinderkrankheiten während der Pandemie seltener aufgetreten als in den Jahren zuvor. Das gelte beispielsweise für Ringelröteln. Hier gingen die Infektionen in Schleswig-Holstein um 78 Prozent zurück. „Einzig bei der Hand-Fuß-Mund-Krankheit gibt es einen gegenteiligen Effekt“, betont Hillebrandt. Im vierten Quartal 2021 seien so viele Kinder von dieser Erkrankung betroffen (5.517) wie in fast keinem anderen Quartal seit dem Jahr 2006 – nur im vierten Quartal 2017 wären es mit 5.666 Kindern etwas mehr gewesen. „Eine weitere Beobachtung der Hand-Fuß-Mund-Krankheit ist wegen der besonderen Entwicklung dieser Erkrankung sinnvoll“, sagt Hillebrandt. Das gelte vor allem vor dem Hintergrund, dass sich ein Kind durchaus mehrfach anstecken könne. Diese Krankheit könne auch an Erwachsene übertragen werden. „Wir sollten genau im Blick haben, wie sich die Fallzahlen entwickeln“, so Hillebrandt. Es sei nicht auszuschließen, dass es trotz ohnehin schon hoher Fallzahlen einen Nachholeffekt ähnlich wie bei Scharlach geben werde.
Pandemiemaßnahmen bremsen Windpocken zusätzlich aus
Bereits vor der Pandemie hätten vor allem Schutzimpfungen dazu geführt, dass Kinderkrankheiten eine rückläufige Tendenz zeigten. Das belege exemplarisch die Diagnoserate für Windpocken. Eine Empfehlung für die Schutzimpfung gegen Windpocken gebe es in Deutschland seit dem Jahr 2004. Vor der Einführung der Schutzimpfung hätten sich mehr als 90 Prozent aller Kinder mit dem für die Windpocken verantwortlichen Varizella-Zoster-Virus infiziert. Von 2006 bis 2019 sei die Diagnoserate bei Kindern bis 14 Jahren in Schleswig-Holstein um 93 Prozent gesunken. Während der Pandemie habe es allein 72 Prozent weniger Windpocken-Erkrankungen im Land gegeben. „Der Rückgang der Fallzahlen ist auch deswegen eine gute Nachricht, da Kinder, die eine Windpocken-Infektion durchgemacht haben, als Erwachsene an einer Gürtelrose erkranken können. So wird die mögliche Folgeerkrankung ausgebremst“, erläutert Hillebrandt.
Regionale Unterschiede: höchste Scharlach-Rate in Schleswig-Holstein
Den Report-Ergebnissen zufolge weisen die einzelnen Kinderkrankheiten zum Teil enorme Unterschiede bei den regionalen Diagnoseraten auf. Im Jahr 2021 findet sich bei Kindern bis 14 Jahren die höchste Scharlach-Rate in Schleswig-Holstein mit 39 Erkrankten je 10.000 Personen. Die niedrigste Betroffenheit bei Scharlach zeigen ihre Altersgefährten in den Bundesländern Bremen, Baden-Württemberg und Berlin (7 bis 16 Erkrankte je 10.000 Personen).
Heranwachsende auch während Pandemie gut versorgt
Der Arztreport liefert neben Erkenntnissen zur Entwicklung klassischer Kinderkrankheiten auch einen Überblick über die gesamte Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Dabei zeigt sich, dass die Heranwachsenden während der Pandemie ähnlich häufig versorgt wurden wie vor Corona. So haben im Jahr 2021 von den rund 367.500 Kindern bis 14 Jahren in Schleswig-Holstein 92,9 Prozent mindestens einmal eine ambulante ärztliche Behandlung erhalten. Vor der Pandemie lag die Behandlungsrate mit 94,8 Prozent knapp zwei Prozentpunkte höher. Bei den Säuglingen und Kleinkindern bis vier Jahre waren sogar durchweg über 99 Prozent in ärztlicher Behandlung. „Es ist ein wichtiges Ergebnis, dass nahezu alle Babys und Kleinkinder im Land während den ersten beiden Corona-Jahren wenigstens einmal jährlich bei einer Ärztin oder einem Arzt vorgestellt worden“, so Hillebrandt. Der unterschiedlich hohe Versorgungsbedarf zeigt sich analog an den Behandlungskosten für verschiedene Altersgruppen. Sie seien im Säuglings- und Kleinkindalter mit 456 Euro je Kind im Jahr 2021 vergleichsweise hoch. Bei den Fünf- bis Neunjährigen waren sie mit 323 Euro je Kind merklich geringer. Für die ambulante ärztliche Versorgung der Kinder bis 14 Jahren wurden im Jahr 2021 in Schleswig-Holstein rund 137 Millionen Euro aufgewandt.