Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist in aller Munde. Einen wichtigen Anteil daran dürfte Gesundheitsminister Jens Spahn haben, der die gesetzlichen Krankenkassen dazu verpflichtet hat, ihren Versicherten bis 1.1.2021 eine elektronische Patientenakte (ePA) anzubieten. Welchen Plan verfolgt die Barmer hinsichtlich Digitalisierung und ePA? Fünf Fragen an Dr. Regina Vetters, Leiterin der Innovationsabteilung Barmer.i.
Alle reden von Digitalisierung, aber was genau gemeint ist, bleibt oft unscharf. Was versteht denn die Barmer darunter? Werde ich meine Krankenkasse bald nur noch virtuell und online erreichen können?
Dr. Regina Vetters: Es reicht nicht aus, ein wenig hier und da an der digitalen Stellschraube zu drehen. Deshalb hat die Barmer 2017 ihre Digitaleinheit Barmer.i gegründet und sich mit einer Digitalagenda klare Ziele und einen Fahrplan gesetzt. Das Grundprinzip bei allem, was wir in diesem Feld tun, heißt Kundenzentrierung: Digitalisierung darf nicht zum Selbstzweck verkommen, sondern muss immer darauf ausgerichtet sein, Bedürfnisse besser zu bedienen und unseren Versicherten einen klar erkennbaren Mehrwert zu liefern. Apps werden die Geschäftsstellen der Barmer ebenso wenig ersetzen wie den Besuch beim Arzt. Es geht uns darum, digitale Lösungen dort einzusetzen, wo sie Sinn machen und Erleichterungen bringen.
Und wie sieht das konkret aus? Was wird denn jetzt leichter oder einfacher für die Versicherten?
Dr. Regina Vetters: Wir haben als Barmer den Anspruch, unseren Versicherten den besten digitalen Service zu bieten – so dass sie alle Anliegen jederzeit, bequem und mobil selbst erledigen können. Dazu zählen leicht bedienbare Online-Anträge, die digitale Teilnahme am Bonusprogramm oder jederzeit verfügbare Expertenberatung vom Teledoktor oder über den Hebammenchat. Die Barmer hat auch das Ziel, ihren Versicherten möglichst zügig Zugang zu qualitätsgeprüften digitalen Präventions- und Therapieangeboten zu ermöglichen, etwa mit der Meditations-App 7Mind, der digitalen Rückenschule KAIA oder auch dem psychotherapeutischen Angebot MindDoc. Die Vorteile solcher Angebote liegen auf der Hand: Sie lassen sich über das Smartphone perfekt in den Alltag integrieren, sind zeitsparend und können überall und zu jeder Zeit genutzt werden. Den Arzt ersetzen solche Apps nicht – sie können aber schwerwiegenden Erkrankungen vorbeugen oder den Therapieerfolg entscheidend unterstützen.
Das derzeit dominierende Thema bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens ist die elektronischen Patientenakte (ePA). Mittlerweile ist ja auch klar definiert, was die ePA zum 1.1.2021 können muss. Die Anforderungen sind also für alle gesetzlichen Kassen identisch. Warum schreibt die Barmer denn jetzt eine eigene Akte aus? Wäre es nicht sinnvoll, eine Lösung für alle Kassen zu entwickeln?
Dr. Regina Vetters: Bei der ePA unterscheidet der Gesetzgeber zwischen der Pflicht, also den zwingend erforderlichen Kernfunktionen eArztbrief, Medikationsplan und Notfalldatensatz, und weiteren Anwendungen, die wir in unserer Ausschreibung als Kür bezeichnen. Allein für die bisher definierte Pflicht würde sich eine Akte noch nicht lohnen. Die genannten Pflichtfunktionen sollen den Informationsaustausch innerhalb des Gesundheitssystems, also zwischen Ärzten, Therapeuten, Krankenhäusern verbessern. Die Versicherten können aber mit dieser Datensammlung noch kaum etwas anfangen. Wir wollen eine Patientenakte anbieten, die sowohl für Ärzte als auch für Patienten Mehrwerte bietet – deshalb schreiben wir eine eigene Akte aus.
Welche Ideen hat die Barmer denn für die „ePA-Kür“?
Dr. Regina Vetters: Die Grenzen zwischen Pflicht und Kür sind fließend. Der Medikationsplan als Pflichtbestandteil der ePA wird beispielsweise nur auflisten, welche Medikamente ein Patient einnimmt. Damit kann er noch wenig anfangen. Dabei ist viel mehr vorstellbar: Etwa ein automatischer Check von Wechselwirkungen – wie verträgt sich ein Medikament mit meinen „Hausmitteln“ wie Johanniskraut? Und dann gibt es noch „echte“ Zusatzfunktionen ohne Bezug zum Pflichtteil. Denkbar wäre der Abruf individuell zugeschnittener Gesundheitsangebote, passende Präventionskurse, Anbindung von Wearables, Vermittlung von Arzt-Terminen, Patiententagebücher.
Da hat sich die Barmer aber eine Menge vorgenommen. Ist das denn realistisch bis 2021?
Dr. Regina Vetters: Zunächst liegt der Fokus auf dem Erfüllen der Pflichtfunktionen. Wir fangen mit dem Fundament an, und dann stocken wir Etagen auf und richten die Zimmer so ein, dass sich unsere Versicherten zuhause fühlen. Zum Stichtag am 1. Januar 2021 wird unsere ePA nicht alle denkbaren Zusatzfunktionen enthalten, aber sie wird schnell wachsen. Wir entwickeln bereits erste „Kür-Funktionen“ für die ePA von morgen. Unsere Versicherten können über die Barmer-App schon jetzt einen Vorsorge- und Impfplaner nutzen oder ihr Zahnbonusheft komplett digital führen. Indem wir diese künftigen ePA-Bausteine schon heute bereitstellen, können wir Nutzerfeedback sammeln und die Funktionen weiter verbessern. Ab 2021 integrieren wir sie dann in die ePA und erweitern die Anwendungsmöglichkeiten Schritt für Schritt weiter.