Bereitschaftsdienstreform tritt zum 2. Juli in Kraft
Unwohlsein oder akute gesundheitliche Beschwerden: Außerhalb der Sprechzeiten oder an den Wochenenden sollte die Nummer des ambulant-ärztlichen Bereitschaftsdienstes- 116 117- die ersten Wahl sein. Doch die Praxis sieht anders aus.
Immer mehr Menschen suchen mit ihren Beschwerden die Notaufnahmen von Krankenhäusern auf, mit der Folge, dass die Wartezeiten dort immer länger werden und das medizinische Fachpersonal überlastet ist. Dabei sind Notaufnahmen und der Notruf 112 eigentlich Unfällen und lebensbedrohlichen Situationen vorbehalten. Um Patientenströme zu lenken, hat die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) nun ihren Bereitschaftsdienst reformiert. Was ab Juli anders wird, darüber sprachen wir mit Dr. Sylvia Krug, der stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen.
Warum gehen Ihrer Meinung nach immer mehr Patienten in die Notaufnahme von Krankenhäusern?
Es besteht die Erwartungshaltung der Patienten, dass permanent ein umfassendes ärztliches Behandlungsangebot zur Verfügung steht, verbunden mit kurzen Wartezeiten und einer schnellen Abklärung der Beschwerden.
Viele Patienten bevorzugen Notfallambulanzen, weil sie es praktisch finden, dass in den Kliniken Ärzte aller Fachrichtungen zur Verfügung stehen. Sie hoffen, dadurch lange Wartezeiten für einen Facharzttermin zu umgehen. Wie begegnen Sie diesem Argument?
Die KV Sachsen hat sich der Wartezeitenproblematik angenommen und bereits vor 4 Jahren eine Terminvermittlungsstelle eingerichtet. Die Steuerung der Vermittlung von Facharztterminen erfolgt über eine Kennzeichnung auf den Überweisungsscheinen nach A, B, C (A = hohe Dringlichkeit). Außerdem wird die Aufnahme von Neupatienten finanziell unterstützt, wobei die Krankenkassen sich an dieser Förderung mit beteiligen.
Welche Behandlungsalternativen haben Patienten, wenn Beschwerden außerhalb der Sprechzeit des behandelnden Arztes auftreten?
Für Erkrankungen, mit denen Patienten normalerweise einen niedergelassener Arzt in der Praxis aufsuchen würden, die Behandlung aber aus medizinischen Gründen nicht bis zum nächsten Tag warten kann, ist der ärztliche Bereitschaftsdienst zuständig. Er ist über die kostenfreie bundesweite Rufnummer 116 117 erreichbar. Der Bereitschaftsdienst ist nicht zu verwechseln mit dem Rettungsdienst, der in lebensbedrohlichen Fällen Hilfe leistet. Bei Notfällen, wie Herzinfarkt, Schlaganfall und schweren Unfällen, ist der Rettungsdienst unter der Notrufnummer 112 zuständig.
Wie kann es Ihrer Meinung nach gelingen, die Patientenströme in die richtigen Bahnen zu lenken?
Durch den Gesetzgeber wurde die Einrichtung von sogenannten Portalpraxen an oder in Krankenhäusern (Notfallambulanzen) vorgeschrieben. In diesen Bereitschaftspraxen sollen über einen gemeinsamen Patientenannahme die Patientenströme gesteuert werden. Der Patient der z. B. mit akuten Brustschmerzen kommt, wird in die Notaufnahme weitergeleitet, ein Patient mit Husten oder Ohrenschmerzen kann in der ärztlichen Bereitschaftspraxis behandelt werden.
Wo findet man die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes?
Die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes wird z. B. in den Tageszeitungen, aber auch im Internet veröffentlicht. Die Nummer ist aber in der Bevölkerung noch nicht ausreichend bekannt, deshalb wird demnächst eine große Aufklärungskampagne seitens der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, u. a. mit Flyern und Plakaten, gestartet.
Welche Veränderungen sind geplant? (lt. Berichterstattung in der Frankfurter Allgemeinen ist eine Notfall-App in Arbeit?)
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) entwickelt derzeit eine Notfall-App, mit der Patienten in einer Notfallsituation zum passenden Arzt geführt werden sollen. Die Veröffentlichung ist noch in diesem Jahr geplant. Bereits jetzt können Patienten die bundesweite Bereitschaftspraxissuche der KBV nutzen und dort auch Informationen zu den Bereitschaftspraxen in Sachsen finden.
Was wird sich durch die Reform in Sachsen ändern?
Für die Patienten werden zentrale Anlaufstellen in Form von Bereitschaftspraxen geschaffen, an die sie sich außerhalb der Sprechstundenzeiten der niedergelassenen Ärzte bei Erkrankung wenden können. Es wird ein zentral organisierter Fahrdienst eingeführt und der diensthabende Arzt im Bereitschaftsdienst zukünftig durch einen medizinisch qualifizierten Fahrer bei den Hausbesuchen begleitet. Die Vermittlung der unter der 116117 eingehenden Hilfeersuchen wird über eine Bereitschaftsdienstvermittlungszentrale in Trägerschaft der KV Sachsen erfolgen. Damit wollen wir zum einen erreichen, dass die Vermittlung des Bereitschaftsdienstes in Sachsen vereinheitlicht wird. Es ist geplant, dass in der Vermittlungszentrale auch ein Arzt sitzt, um die Hausbesuchsanforderungen besser und zeiteffizienter koordinieren zu können. Die Bereitschaftsdienstreform wird am 02. Juli 2018 in drei Pilotregionen – Annaberg/Mittlerer Erzgebirgskreis, Görlitz-Niesky, Delitzsch – eingeführt und ab 2019 schrittweise auch in den anderen Regionen umgesetzt.
Die Neustrukturierung festzuschreiben war sicher nicht ganz einfach. Über welche Punkte wurde am heftigsten diskutiert?
Einer der am meisten diskutierten Punkte ist die Vergrößerung der Hausbesuchsbereiche durch Reduzierung von derzeit 95 auf 23 Bereitschaftsdienstbereiche, in denen künftig mindestens ein Fahrzeug mit einem Arzt, in ausgewählten Zeiten auch mehrere Fahrzeuge im Bereitschaftsdienst unterwegs sind. Den Ärzten wird zukünftig ein Fahrer zur Seite gestellt, der sie zu den Hausbesuchen fährt und ihnen auf Wunsch auch assistiert. Momentan fahren die Ärzte überwiegend mit dem eigenen Auto zu Hausbesuchen. Ein Diskussionspunkt war und ist außerdem die Finanzierung der neuen Bereitschaftsdienststrukturen durch die Ärzte. Mit den Krankenkassen konnte eine Beteiligung an den Fahrtkosten verhandelt werden.
Wussten Sie vorher, was für ein Kraftakt diese Reform wird?
Die Ärzte sind generell konservativ, wobei eine gewisse Beständigkeit ja nicht per se schlecht sein muss. Man muss aber auch sehen: Noch vor 10 Jahren hatten wir nicht 95 Bereiche, sondern fast 300. Das gab einen Riesenärger bei der Zusammenlegung. Gegenwärtig dürfte es eher niemanden mehr geben, der sich diese Strukturen zurück wünscht. Das wird jetzt ähnlich sein.
Was wünschen Sie sich von den Akteuren im sächsischen Gesundheitswesen im Zusammenhang mit der Umsetzung des Bereitschaftsdienstes in den kommenden Wochen?
Ich wünsche mir, dass auch Sie als Kostenträger immer wieder gegenüber Ihren Mitgliedern verdeutlichen, dass nicht jeder Behandlungsbedarf, insbesondere außerhalb der Sprechstundenzeiten, den Rettungsdienst oder die Notaufnahme zwingend erfordert, sondern der ärztliche Bereitschaftsdienst der erste Anlaufpunkt sein sollte, nicht zuletzt im Hinblick auf die Kosten und damit auch die Beitragssätze.
STANDORTinfo dankt für das Gespräch.
Ärztlicher Bereitschaftsdienst im Internet:
www.kvs-sachsen.de/buerger/bereitschaftsdienste