Ein Kind hat nach einer Impfung ein Pflaster am Oberarm.
Pressemitteilung 2025 Sachsen

Humane Papillomaviren – Eine tickende Zeitbombe im Körper von Frauen und Männern: In Sachsen sind zu wenig Kinder gegen HPV geimpft

Lesedauer unter 6 Minuten

Dresden, 24. Januar 2025 – In Sachsen haben trotz Impfempfehlung rund 36 Prozent der 17-jährigen Mädchen keine ausreichende HPV-Impfung erhalten. Das bedeutet jedes dritte Mädchen in dieser Altersgruppe ist nicht geschützt. Bei den Jungen bis 13 Jahren liegt der Anteil ohne entsprechenden Schutz sogar bei 79 Prozent. 

Das geht aus dem Barmer-Arzneimittelreport hervor. Dabei ist das humane Papillomavirus (HPV) für die Hälfte aller virusbedingten bösartigen Tumore und für fast 100 Prozent der Fälle von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich. 

Monika Welfens, Landesgeschäftsführerin der BARMER in Sachsen

Monika Welfens, Landesgeschäftsführerin der BARMER in Sachsen

„Etwa jede vierte Frau im Alter bis 30 Jahre ist mit HPV infiziert. Zwar verursacht nicht jede Infektion Krebs, aber humane Papillomaviren sind tickende Zeitbomben. Denn zwischen der Infektion mit dem Virus und der Entstehung des Tumors können Jahre liegen. Eine HPV-Impfung in jungen Jahren kann eine Krebserkrankung im höheren Alter verhindern und sogar Todesfälle vermeiden“, sagt Monika Welfens, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Sachsen, bei der Vorstellung des Barmer-Arzneimittelreports. Zudem seien die Impfquoten in Sachsen nach der Pandemie eingebrochen. Der Report zeigt, dass die Impfaktivität zwischen 2021 und 2022 deutlich abgenommen hat. In Sachsen verringerte sich die Rate bei Mädchen und jungen Frauen um 25 Prozent und bei Jungen und jungen Männern sogar um 35 Prozent. „Die aktuellen Zahlen der Barmer zur HPV-Impfquote sind erneut ein klarer Weckruf. Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen von Ärztinnen und Ärzten, Krankenkassen und Bildungseinrichtungen, um das volle Potenzial der HPV-Impfung auszuschöpfen und präventiv die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen“, sagt Dr. Cornelia Hösemann, Gynäkologin und Mitglied der Sächsischen Impfkommission. Ohne eine Trendwende seien die Ziele der Weltgesundheitsorganisation nicht zu erreichen: Eine Impfquote von 90 Prozent bei den Mädchen und das Eliminieren des Zervixkarzinoms (Gebärmutterhalskrebs) bis zum Jahr 2030.

Eine Impfung die wirkt 

Eine Infektion mit HPV gehört zu den häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten. Gebärmutterhalskrebs ist in Sachsen nach Brust-, Haut- und Darmkrebs eine der häufigsten Tumorerkrankungen bei Frauen. Dieser Krebs wird fast immer durch eine HPV-Infektion verursacht und ist daher mit einer Impfung vermeidbar. Der Barmer-Arzneimittelreport belegt, dass die HPV-Impfung wirkt. Bundesweit erkrankten im Jahr 2011 2,3 von 100.000 Frauen im Alter von 20 bis 29 Jahren an Gebärmutterhalskrebs. Im Jahr 2022 sank die Rate auf 0,7 Erkrankte je 100.000. Dieser Effekt wurde bei den 30- bis 39-jährigen Frauen nicht beobachtet, weil sie im Kindesalter noch nicht geimpft werden konnten. Von ihnen erkrankte im Jahr 2022 12 von 100.000 Frauen an Gebärmutterhalskrebs und damit sogar mehr als im Jahr 2011 (9,5 je 100.000). 

HPV-Impfung ist kein „Mädchenthema“

Seit 2018 empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut die HPV-Impfung für beide Geschlechter, denn auch Jungen und Männer können an HPV-bedingten Krebsarten wie Anal- oder Rachenkrebs erkranken, wenn auch seltener als Frauen. Außerdem sind Jungen und Männer potenzielle Überträger des Virus und können durch die Impfung nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Partnerinnen und Partner schützen. Deshalb empfiehlt die STIKO die HPV-Impfung seit sechs Jahren auch explizit für Jungen. Für Dirk Rohde kommt dieser Schutz zu spät. Vor neun Jahren wurde bei ihm ein bösartiger Tumor am Zungengrund entdeckt. Nachweislich ausgelöst durch den Virustyp HPV 16. Es folgten vier Operationen, bei denen ihm ein Teil der Zunge und mehrere befallene Lymphknoten entfernt wurden. Gefolgt von einer monatelangen Chemo- und Strahlentherapie. Heute hilft der 60-jährige Polizist aus Köln Betroffenen, die ebenfalls an Krebs im Kopf, Mund oder Rachen erkrankt sind. Und er macht sich für die HPV-Impfung stark. Für sein ehrenamtliches Engagement wurde Dirk Rohde im November mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. "Ich bin durch die Hölle gegangen. Wenn ich den Krebs durch eine Impfung hätte verhindern können, ich hätte nicht eine Sekunde gezögert. Ich weiß, wie sich der Tod anfühlt. Kein Mensch soll das durchmachen müssen, was ich erlebt habe", sagt Dirk Rohde.

Unwissenheit und Unverbindlichkeit verhindern die Impfung

Dass zu wenig Menschen gegen HPV geimpft sind, hat mehrere Gründe. Viele wissen nichts über die Risiken einer HPV-Infektion und die Möglichkeit, sich mittels Impfung davor zu schützen. Hinzu kommt eine unbegründete Angst vor Nebenwirkungen, das Fehlen eines präzisen Impfdatums und damit das Vergessen des Impftermins. Um die Akzeptanz und Sensibilität für die HPV-Impfung zu steigern braucht es in jedem Fall gesamtgesellschaftliches Engagement. „Der aktiven Ansprache durch behandelnde Ärzte kommt eine Schlüsselfunktion zu, aber auch die Vermittlung von Gesundheitswissen in der Schule ist wichtig. Nur durch eine koordinierte Herangehensweise und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, können wir die Impfquote signifikant steigern und viele Menschen vor HPV-bedingten Erkrankungen bewahren.“, sagt Dr. Cornelia Hösemann. Die Barmer hält die Einführung einer zusätzlichen Kindervorsorgeuntersuchung im Alter von neun bis zehn Jahren (U10) für sinnvoll. "Statt eine Impfung im Zeitkorridor von 9 bis 14 Jahren zu empfehlen, wäre es besser, einen konkreten Zeitpunkt wie eine bestimmte U-Untersuchung zu benennen. Dann schiebt man die Impfung nicht vor sich her", sagt Monika Welfens. Diese Untersuchung könnte genutzt werden, um geschlechterübergreifend den Impfstatus zu überprüfen und über den Nutzen sowie die Risiken fehlender Impfungen aufzuklären. Der Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF) plädiert außerdem für eine gezielte Aufklärung und Beratung von Mädchen und junge Frauen zwischen 12 und 17 Jahren, zur HPV-Impfung, im Rahmen einer „Mädchensprechstunde M1“. Ein Erinnerungssystem für nicht und unvollständig HPV-Geimpfte kann zusätzlich dazu beitragen, die Impfquote zu erhöhen. Dies sei angesichts sinkender Impfquoten sehr wichtig. Die Barmer schickt deshalb seit Mitte November eine HPV-Impferinnerung an Eltern von Kindern, deren HPV-Impfschutz nicht vervollständigt wurde. Die Zahl der vollständig geimpften Kinder und Jugendlichen soll dadurch innerhalb eines Jahres um fünf Prozent erhöht werden. „Mit Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) wird es noch besser möglich sein, zielgerichtet über Impfungen zu informieren und rechtzeitig an fehlende Impfungen zu erinnern“, sagt Monika Welfens.

Kinderärzte führen immer häufiger HPV-Impfung durch

Laut dem Barmer-Arzneimittelreport hat sich das Impfverhalten der beteiligten Ärztinnen und Ärzte in den vergangenen Jahren geändert. "Die Empfehlung des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2014, die HPV-Impfung bereits ab dem neunten Lebensjahr durchzuführen, hat die Rolle der Kinderärzte weiter gestärkt. Sie sind mittlerweile neben Hausärzten und Gynäkologen zu den primären Ansprechpartnern für HPV-Impfungen bei Jungen und Mädchen geworden", erklärt die Gynäkologin Dr. Cornelia Hösemann. Auch das belegt der Barmer-Arzneimittelreport. Im Jahr 2015 führten bundesweit Kinderärzte 50,6 Prozent der Erstimpfungen durch. Bis 2022 stieg dieser Anteil bei Mädchen auf 68,1 Prozent, bei Jungen auf 81. Mit Blick auf den Mangel an Kinderärztinnen und -ärzten seien Aufklärungsarbeit für Heranwachsende und deren Eltern in der Schule mit anschließender Impfmöglichkeit in der Einrichtung oder auch bei den örtlichen Gesundheitsämtern weitere Optionen, um die Impfquoten zu erhöhen. Denn in Sachsen klagen Eltern immer wieder darüber, dass sie keine Kinderarztpraxis finden, die sie aufnimmt.

Sachsen bei Impfquoten nur Mittelmaß

Der Barmer-Arzneimittelreport zeigt große regionale Unterschiede bei den HPV-Impfquoten. Spitzenreiter ist Sachsen-Anhalt, wo 75,7 Prozent der Mädchen und jungen Frauen vollständig geimpft sind. Sachsen übertrifft mit einer Impfquote von 64,5 Prozent zwar den Bundesdurchschnitt (61,3 Prozent), liegt damit jedoch nur im oberen Mittelfeld. Trotzdem sind mehr als ein Drittel der Mädchen und jungen Frauen in Sachsen nicht vollständig geimpft und damit auch nicht ausreichend geschützt. Bei den Jungen (bis 13 Jahren) liegt die Impfquote in Sachsen mit 21,2 Prozent an sechsletzter Stelle und damit sehr deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt.  „Wir appelliere an alle Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen. Und auch junge Menschen, die noch nicht geschützt sind, sollten die HPV-Impfung nachholen. Denn sie kann Leben retten. Und sie ist sicher", sagt die Barmer-Chefin. Eltern sollten ihre Kinder gemäß STIKO bereits ab dem Alter von neun Jahren impfen lassen.


Zum Report: Barmer Arzneimittelreport Fokus: HPV-Impfung
 

Kontakt für die Presse:

Claudia Szymula
Pressesprecherin Barmer Sachsen
Telefon: 0800 333 004 152231
E-Mail: presse.sn@barmer.de
Twitter: twitter.com/BARMER_SN