Knapp ein Jahr nach Aufhebung des Fernbehandlungsverbots in Sachsen-Anhalt plädiert die Barmer für einen zügigeren Ausbau der Digitalisierung im Gesundheitswesen. „Insbesondere im Bereich der Telemedizin muss in Sachsen-Anhalt mehr passieren. Die Telemedizin kann ein Schlüssel dafür sein, die medizinische Versorgung auf dem Land zu erhalten und sogar zu verbessern“, sagte Axel Wiedemann auf dem 9. Gesundheitspolitischen Symposium der Barmer in Magdeburg. Dazu müssten Ärzte, Krankenhäuser und die Landespolitik ihre Anstrengungen zur Etablierung telemedizinischer Angebote erhöhen, forderte er. „Wir haben eine tolle Menükarte Telemedizin mit verschiedenen Gängen, aber aktuell beschäftigen sich einige in Sachsen-Anhalt nur mit dem Besteck statt wenigstens mit der Vorspeise“, so Wiedemann. Telemedizinische Angebote sollten die klassische ärztliche Versorgung wie beispielsweise eine körperliche Begutachtung nicht ersetzen, diese jedoch ergänzen. Die Barmer bietet mit dem Teledoktor, der Kindernotfall-App, der Online-Psychotherapie „MindDoc“ oder einer Hebammenberatung per Chat bereits mehrere digitale Bausteine an.
Sozialministerin sieht bei Kliniken Luft nach oben
Sachsen-Anhalts Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) sagte: „Die Telemedizin kann Menschen vor allem in ländlichen Gebieten so manchen Weg in eine Arztpraxis ersparen. Viel versprechende Ansätze im Land – wie beispielsweise HAENDEL II in Halle – gibt es bereits.“ Im Zuge der Digitalisierung habe sich im Patienten- und Qualitätsmanagement durchaus viel getan, so Grimm-Benne. Bei den Kernprozessen der Kliniken bleibe aber noch viel Luft nach oben. Sie betonte, dass nicht die Technologien das Entscheidende seien, sondern erst deren smarte Nutzung. „Derzeit wird beispielsweise die medizinische Betreuung von Notfallpatienten dadurch erschwert, dass ein Datenaustausch zwischen verschiedenen IT-Systemen selbst innerhalb einer Einrichtung bisweilen nur eingeschränkt möglich ist. Daher braucht es die Vereinheitlichung der Anwendung vorhandener Standards und Schnittstellen.“
Künstliche Intelligenz notwendig
Das sieht auch Professor Hagen Malberg von der Technischen Universität Dresden (Biomedizinische Technik) so. Er kritisierte, dass die verschiedenen digitalen Assistenzsysteme bisher nicht miteinander kommunizierten und der Arzt nur "Massendaten" erhalte. "Da kann ich den Frust der Ärzte verstehen", sagte Malberg. Mittels Künstlicher Intelligenz müsse es gelingen, dass die Daten ausgewertet würden und der Arzt nur relevante Informationen erhalte. Außerdem müsse der "Patientenkomfort" bei der Entwicklung digitaler Anwendungen im Vordergrund stehen, forderte Malberg.
Mediziner und Therapeuten vernetzen
Darüber hinaus müssen sich aus Sicht der Barmer die Leistungserbringer vor Ort vernetzen. Regionale Versorgungsverbünde können die Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzten, Krankenhäusern, Therapeuten und Pflegeheimen verbessern. „Durch eine sektorenübergreifende Versorgung kann auch in Zukunft in Flächenländern wie Sachsen-Anhalt eine hochwertige Gesundheitsversorgung, die den Maßstäben von Qualität und Wirtschaftlichkeit entspricht, sichergestellt werden“, sagte Wiedemann. Während Telekonzile an Krankenhäusern schon gängige Praxis seien, gebe es im ambulanten Bereich bisher kaum telemedizinische Angebote. „Die Telesprechstunde bietet im hausärztlichen Bereich ganz neue Möglichkeiten in der Versorgung. Um Medikationsfragen zu klären, muss ein Patient nicht mehr extra in die Praxis kommen. Das geht auch mit dem Tablet von Zuhause aus“, sagte Wiedemann.
Moderatorin Petra Schwarz, Sozialministerin Petra Grimm-Benne, Dr. Wolfgang Schütte von der Krankenhausgesellschaft, Professor Hagen Malberg von der TU Dresden, Dr. Burkhard John von der der Kassenärztlichen Vereinigung und Barmer-Landesgeschäftsführer Axel Wiedemann während der Podiumsdiskussion. Foto: Barmer
Telemedizin soll Ärzte entlasten
Dr. Burkhard John, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, trat jedoch ein wenig auf die Bremse: "Telemedizin wird überbewertet. Sie wird eine sinnvolle Unterstützung für Ärzte werden, kann aber nicht alle unsere Probleme wie den Ärztemangel lösen." Möglicherweise könnte die Telesprechstunde aber dabei helfen, die Zahl der Hausbesuche von Ärzten zu reduzieren. "Telemedizin muss Ärzte entlasten", forderte John. Das sieht auch Dr. Wolfgang Schütte, Vorsitzender der Krankenhausgesellschaft Sachsen-Anhalt, ähnlich. "Telemedizin muss kommen, sie darf aber nicht für mehr Bürokratie sorgen", warnte er. Der Bundestagsabgeordnete Tino Sorge (CDU) warb hingegen für die Chancen der Digitalisierung. "Telemedizin kann ein Erfolgsmodell für Sachsen-Anhalt werden. Nun müssen die Anreize so gesetzt werden, dass die Patienten die Möglichkeiten auch nutzen", sagte Sorge.
Kommunen können sich einbringen
Barmer-Landesgeschäftsführer Wiedemann sieht deshalb auch die Kommunen in der Pflicht, sich einzubringen und beispielsweise Räumlichkeiten bereitzustellen, in denen niedergelassene Ärzte eine ambulante Zweigpraxis mit medizinischem Personal betreiben können. „Die Patienten würden sich weite Wege und damit auch Zeit sparen, wenn sich der Arzt im Wohnort per Videosprechstunde dazuschaltet. Das wäre eine Win-Win-Situation“, so Wiedemann. „An der Telemedizin führt kein Weg vorbei – die kommt so oder so. Aber wir sollten hier nicht Konzernen wie Google oder Amazon das Feld überlassen.“ Das Land müsse deshalb die Infrastruktur verbessern und noch stärker in Glasfaseranschlüsse investieren.