Wenn Geburtsstationen schließen, werden die Debatten darüber oft sehr emotional geführt. Eine Geburtshilfe in der Stadt gilt als Attraktivitätsbonus für zugezogene Familien und solche, die eine gründen wollen. Ein Krankenhaus mit Geburtsstation stiftet für die Bevölkerung Identität. Immerhin steht der Geburtsort ein Leben lang im Personalausweis. Viel wichtiger als der Ort, in dem der Nachwuchs geboren wird, ist aber die Tatsache, dass die Kleinen gesund zur Welt kommen. Welche Faktoren dabei eine Rolle spielen, diskutierten die Landtagsabgeordneten Sachsen-Anhalts Ende März beim Parlamentarischen Frühstück der Barmer Landesvertretung.
Umgang mit der Demografie
Dr. Sven Seeger, Chefarzt Geburtshilfe am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) und Vorstand der Mitteldeutschen Gesellschaft für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, referierte zur Zukunft der Geburtshilfe in Sachsen-Anhalt. Er sagte: „Das übergreifende Ziel muss sein, die geburtshilfliche Versorgung in Sachsen-Anhalt qualitativ hochwertig und flächendeckend zu gestalten. Herausforderungen sind dabei der demografische Wandel, der Personalmangel und regionale Ungleichgewichte hinsichtlich des Bevölkerungs- und Geburtenrückgangs.“
Geburtshilfe am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale)
Das Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) ist die geburtenstärkste Klinik in Sachsen-Anhalt. Gleichzeitig ist das Krankenhaus das erste zertifizierte nichtuniversitäre Perinatalzentrum in Deutschland und das einzige seiner Art in Sachsen-Anhalt. Es verfügt über den ersten hebammengeleiteten Kreißsaal der neuen Bundesländer und hat als Perinatalzentrum Level I die niedrigste Interventionsrate in Sachsen-Anhalt.
Personalmangel macht Sorgen
Vor allem die Anzahl der Frauenärztinnen und -ärzte sinke, so Seeger. Dazu kämen gesellschaftliche Entwicklungen, die eine kürzere Arbeitszeit der Ärztinnen und Ärzte bedingen würden. Man brauche ergo für die gleiche Arbeit mehr Köpfe. Im Bereich der Hebammen sehe es etwas anders aus. Hier gebe es laut Seeger keinen grundsätzlichen Personalmangel. Allerdings fehlten Hebammen in den Kliniken. Weil dort die Arbeitsbedingungen noch immer schlechter seien, würden sie vorwiegend im außerklinischen Bereich arbeiten.
Eine Frage der Qualität
Seeger analysierte während seines Vortrags die Ist-Situation für das Bundesland Sachsen-Anhalt. Aktuell gebe es hierzulande insgesamt 19 stationäre geburtshilfliche Standorte. Sie führten pro Jahr rund 13.600 Geburten durch. Die Verteilung erscheint dabei stark disproportional. Während vier der 19 Geburtskliniken die Hälfte der Geburten durchführe, gebe es acht Kliniken, die weniger als 500 Geburten pro Jahr übernähmen. Das sei kritisch zu betrachten. Seeger verweist auf Untersuchungen, nach denen es einen Zusammenhang zwischen den Fallzahlen einer Klinik und der Anzahl der dort durchgeführten Kaiserschnitte gebe. Insbesondere in Geburtskliniken mit wenigen Fallzahlen sei eine höhere Rate an Kaiserschnitten zu beobachten. Auch die perinatale Sterblichkeit steige mit sinkenden Fallzahlen.
Lösung: Über den Tellerrand schauen
Jahrelang habe man laut Seeger außerklinische Geburten gefördert und sich damit auf etwa ein bis zwei Prozent der Geburten konzentriert, statt sich mit der Geburtshilfe in Krankenhäusern zu beschäftigen. Empfehlen würde er eine Analyse der aktuellen Verteilung von Geburtshilfe-Standorten. Auf dieser Basis könnten Disproportionen festgestellt werden. Wichtig für die Landeskrankenhausplanung sei dabei, auch über Ländergrenzen hinwegzuschauen und die Standorte benachbarter Bundesländer in die eigene Planung einzubeziehen, so Seeger. Zentralisierung laute hierbei eines der Zauberwörter. Außerdem müsse die Qualität der Geburtskliniken stärker in den Fokus rücken. Dazu müsse die Behandlungsqualität viel stärker als bisher gemessen werden.