Ein fahrendes Tablet, eine Tablettendose, die SMS versenden kann – an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle (Saale) wird erforscht, welche technischen Hilfsmittel pflegende Angehörige im Alltag entlasten können. Mittels Selbsterfahrung in einem eigens dafür eingerichteten Zukunftslabor können professionelle Pflegekräfte und pflegende Angehörige geschult werden. Wir haben Dr. rer. medic. Patrick Jahn, den Leiter der Stabsstelle Pflegeforschung, zum Interview gebeten.
STANDORTinfo: Herr Jahn, können technische Assistenzsysteme pflegende Angehörige und Pflegekräfte entlasten?
In der Zukunft auf jeden Fall. Immer mehr Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Wenn die Alltagsautonomie der Betroffenen erhalten bleiben soll, bedarf es aber vermehrter Anstrengungen zur Information und Aufklärung zu technischen Möglichkeiten für Hilfestellungen im Alltag. Für Sachsen-Anhalt als Modellland des demografischen Wandels ist das von besonderer Bedeutung.
Was genau machen Sie mit ihrem Team an der Uni Halle?
Im FORMAT-Projekt entwickeln wir Bildungseinheiten und Lehrmodule für von assistiven Technologien und Robotik in der unmittelbaren Pflege. Professionelle Pflegekräfte und pflegende Angehörige können dabei neue Technologien in einem eigens dafür eingerichteten Zukunftslabor selbst ausprobieren und sich so ganz praktisch mit Assistenzsystem vertraut machen.
Welche Assistenzsysteme testen Sie gerade?
Aktuell kommt unter anderem ein Telepräsenzroboter (Tablet-PC mit fahrbarem Untersatz) zum Einsatz, welches per Fernsteuerung durch die Wohnung bewegt werden kann. So können Angehörige den Pflegebedürftigen von unterwegs aus im Blick behalten und sich unterhalten: Hat sich meine pflegebedürftige Mutter zum Mittagessen sicher in die Küche bewegt? Und man könnte mit ihr ein Gespräch führen, beispielsweise wie es ihr geht und wie das Essen schmeckt. Diese Sicherheit und den Kontakt zu haben, wäre im Alltag eine echte Erleichterung. Auch eine Tablettendose, die zu jeder Tageszeit die passenden Medikamente ausgibt und per SMS mit den Angehörigen kommuniziert, wird erprobt.
In der Theorie klingt das sehr reizvoll – doch warum kommen diese Technologien in der Praxis bisher kaum zum Einsatz?
Es ist eine große Herausforderung, die Selbstständigkeit im Lebensumfeld des Pflegebedürftigen so lange wie möglich zu erhalten. Aber so viele Jahre wird noch gar nicht in diesem Bereich geforscht. Auch die Kosten sind zum Teil ein Problem: Manche technischen Geräte kosten mehrere Tausend Euro. Das können pflegende Angehörige privat oft nicht leisten. Und letztlich sind viele Hilfen auch bei professionellen Pflegekräfte schlicht nicht bekannt.
Welche Schritte sind notwendig, um technische Hilfsmittel in der Pflege stärker zu etablieren?
Verschiedene Studien und eigene Untersuchungen belegen, dass pflegende Angehörige und Pflegekräfte gegenüber technischen Assistenzsystemen in hohem Maße aufgeschlossen sind. Deren Qualifizierung muss nun eine Schlüsselrolle einnehmen. Denn im Moment fehlt einer großen Zahl noch das Wissen und die Kompetenz zum bedarfsgerechten und sinnvollen Einsatz neuer Technologien in der pflegerischen Versorgung. Wir müssen deshalb in einen Prozess kommen, in dem eine enge und beschleunigte Abstimmung darüber erreicht wird, wie Assistenzsysteme im Gesundheitswesen finanziert und verbreitet werden können. Dafür müssen alle Akteure in der Gesundheitsversorgung eng zusammenarbeiten.