50.000 Menschen in Deutschland erleiden jedes Jahr einen Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb eines Krankenhauses. Innerhalb von drei bis fünf Minuten beginnt das Gehirn zu sterben. Jede Minute zählt. Die Laienreanimationsquote lag in Deutschland 2018 nur bei 42 Prozent. Deshalb setzt sich die Barmer für die Stärkung der Reanimationsquote in Sachsen-Anhalt ein. Bei einer Veranstaltung in Magdeburg wurde kürzlich das Konzept der Mobilen Retter vorgestellt. Stefan Prasse, Geschäftsführer des Vereins Mobile Retter, erklärt, worum es geht.
Herr Prasse, Ihr Verein Mobile Retter e. V. möchte die Notfallversorgung in Deutschland verbessern. Wie wollen Sie das machen?
Stefan Prasse: Wenn ein Mensch einen Herz-Kreislauf-Stillstand hat, zählt jede Sekunde. Doch nach der Wahl des Notrufs 112 dauert es oft zu lange, bis Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet werden. Das geschieht im Durchschnitt erst nach neun Minuten – nämlich dann, wenn der Notarzt oder der Rettungsdienst eintrifft. Dieses Problem können wir nicht lösen, indem wir an jede Ecke einen Rettungswagen stellen. Um die Zeiten zu verkürzen, sollten wir vielmehr auf medizinisch qualifizierte Ersthelfer setzen, die sich zufällig gerade in der Nähe des Einsatzortes befinden. Wir haben ein Konzept entwickelt: Diese Personen werden via Smartphone-App aktiviert.
Wie funktioniert das?
Die Mobilen Retter befinden sich oft zufällig in unmittelbarer Nähe zu einem Notfall, wissen davon ja aber gar nichts. Sie werden nach Wahl des Notrufs 112 von der Leitstelle durch die GPS-Komponente ihrer Smartphones geortet und automatisch parallel zum Rettungsdienst alarmiert. Sie sollen den Rettungsdienst nicht ersetzen, sondern ergänzen, da sie allein durch die örtliche Nähe oft schneller am Einsatzort sein können als der Rettungsdienst. Unsere durchschnittliche Eintreffzeit liegt bei viereinhalb Minuten – die Ersthelfer können damit viel schneller mit Wiederbelebungsmaßnahmen beginnen als der Rettungsdienst. Die Rettungskette wird somit gestärkt, ohne dass eine Änderung an der bisherigen etablierten Struktur des Rettungsdienstes vorgenommen wird.
Wer kann alles mobiler Retter werden?
In Deutschland arbeiten etwa zwei bis drei Prozent der Menschen im Gesundheits- oder Rettungswesen: Ärzte, Krankenschwestern, Feuerwehrleute, Mitarbeiter des THW, Pfleger, Arzthelferinnen – sie alle sind aufgrund ihrer Ausbildung medizinisch qualifizierte Ersthelfer oder haben Erfahrung mit Rettungssituationen. Dieses Personal wollen wir gewinnen.
Wo läuft das System aktuell schon?
Bisher sind wir vor allem in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen aktiv, insgesamt aber bereits in sechs Bundesländern. Damit erreichen wir aktuell 5,1 Millionen Einwohner in Deutschland. Da die Nachfrage steigt, wird sich diese Zahl bald verdoppeln. Aktuell arbeiten 23 Landkreise und kreisfreie Städte mit uns zusammen, seit 2014 haben unsere Mobilen Retter 8200 Einsätze absolviert. Wir würden uns freuen, wenn nun auch Kommunen in Sachsen-Anhalt dazukommen.
Wie kann man das Konzept in seiner Region einführen?
Es ist wichtig, dass die verschiedenen Akteure – Landkreis, Leitstelle, Feuerwehr, Hilfsorganisationen – hier zusammenarbeiten. Als Mobile Retter unterstützen wir sie umfassend bei der nachhaltigen Implementierung und dem Regelbetrieb der Smartphone-basierten Ersthelfer-Alarmierung. Dabei ist es zentral, dass wir möglichst viele medizinisch qualifizierte Ersthelfer gewinnen. Außerdem unterstützen wir beispielsweise auch bei der Einsatznachsorge nach belastenden Erfahrungen und der Sicherstellung eines adäquaten Versicherungsschutzes für die Mobilen Retter.
Was kostet das Ganze?
Wir haben ein bevölkerungsabhängiges Modell für unsere Unterstützungsleistungen, damit es fair für Kommunen ist. Hinzu kommen Kosten für die softwaretechnische Lösung sowie die Schnittstelle. Idealerweise haben Kommunen auch Kosten für die Rekrutierung, Versicherungen sowie die langfristige Motivation und Bindung der Ersthelfer im Blick. Aber aus meiner Sicht darf man nicht nur die Ausgaben betrachten. Wenn Notfallpatienten schneller Hilfe erhalten, werden sie durch den nicht so schweren Krankheitsverlauf früher aus dem Krankenhaus entlassen oder liegen nicht so lange auf der Intensivstation. Als Gesellschaft sparen wir mit Mobilen Rettern also auch Geld ein. Aber das ist letztlich nicht unser Ziel – wir wollen Leben retten!