Standortinfo: Frau Ministerin Grimm-Benne, während der Corona-Pandemie haben viele Unternehmen Prozesse digitalisiert. Auch im Gesundheitsbereich gab es einen Schub. Wo steht Sachsen-Anhalt bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens Ihrer Meinung nach? Wo ist Nachholbedarf?
Petra Grimm-Benne: Digitalisierung bringt intersektorale Vernetzung im ambulanten und stationären Bereich, in der Rehabilitation und in der Pflege. Sie stärkt die Kommunikation und die Transparenz aller Akteure. Das verbessert die medizinische Versorgung auf hohem Niveau in Diagnostik, Therapie, Reha und Pflege. Zugleich stärkt Digitalisierung die Gesundheitskompetenz und die Selbstbestimmung unserer Bürgerinnen und Bürger. Hier kommen wir gerade einen guten Schritt voran. Die Corona-Pandemie verleiht der Digitalisierung im Gesundheitswesen gerade starken Aufwind. Patienten fordern digitale Angebote ein, das haben wir sehr deutlich gesehen. Wir sehen aber auch, dass nicht alles reibungslos läuft. Digitalisierung stellt niedergelassene Ärzte und Kliniken vor Herausforderungen.
Im ambulanten Bereich gab es vor der Corona-Pandemie in Sachsen-Anhalt kaum telemedizinische Angebote. Warum? Und was macht Ihnen Hoffnung, dass sich das nun ändert?
Als die Zeitungen nach dem Deutschen Ärztetag 2018 titelten „Weg frei für die Telemedizin“, haben viele gedacht, dass es jetzt schneller richtig losgeht. Doch nicht nur Kosten- und Sicherheitsaspekte, sondern auch Planungsgespräche haben die Entwicklung teilweise verzögert. Inzwischen nimmt der Digitalisierungsprozess aber Fahrt auf, die Corona-Pandemie fungiert quasi als Beschleuniger. Wir erleben gerade, dass Videosprechstunden für Ärztinnen und Ärzte und Versicherte eine große Entlastung sein können. Und es zeigt sich, dass es noch viel Potenzial für digitale Transformation gibt. Die Bundesregierung hatte mit Inkrafttreten des Digitalen Versorgungsgesetzes (DVG) zu Beginn des Jahres Weichen gestellt, doch es fehlten Präzisierungen. Der Entwurf des Patientendatenschutz-Gesetzes (PDSG) bessert hier nach. Fernbehandlung wird attraktiver, wenn künftig die digitale Facharztüberweisung, ein elektronisches Rezept und eine elektronische Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung ausgestellt werden dürfen. Das wird die Digitalisierung einen großen Schritt voranbringen.
Gesundheitseinrichtungen sind häufig nicht an schnelles Internet angeschlossen. Können diese zukünftig darauf zählen, prioritär mit schnellem Internet versorgt zu werden? Und welche Rolle spielt dabei die digitale Agenda des Landes?
Sachsen-Anhalt hat im Dezember 2017 die Digitale Agenda beschlossen, eine Strategie, die erstmal ressortübergreifend Handlungsfelder, unter dem Dach der Digitalisierung zusammenführte. Die Gesundheitsversorgung ist hier ein wichtiger Aspekt. Die flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet ist in der Gigabitstrategie „Digitale Infrastrukturen der Zukunft" (2019) des Landes verankert, die in diesem Jahr fortgeschrieben wird.
Mit Unterstützung der Telematik-Infrastruktur des Bundes sind einige Projekte auf den Weg gebracht, die in der Digitalen Agenda näher ausgeführt sind. Ziel ist, eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische Versorgung nicht nur in den Ballungszentren sondern auch im ländlichen Raum vorzuhalten. Insbesondere die Telemedizin kann helfen, Defizite bei Über- und Unterversorgung auszugleichen und Effizienzpotenziale zu erschließen. Innovative Pflegetechnologien könnten künftig die qualitätsvolle und bedarfsgerechte Pflege bereichern. Ob in der Häuslichkeit, Altenpflege, in der Akut- oder Intensivversorgung, selbst in der Palliativpflege können sie dazu beitragen, die Selbständigkeit, Selbstbestimmung und die Lebensqualität von Pflegebedürftigen zu erhalten sowie Pflegepersonal genauso wie pflegende Angehörige zu entlasten. Hierzu zählen beispielsweise Sturz- und Notfallerkennungssysteme, Ortungs-, Orientierungs- und Navigationssysteme, assistierende Robotik in der Pflege oder die interaktive Bestimmung des Gesundheits- und Befindlichkeitsstatus.
Einige Krankenhäuser arbeiten schon mit Telekonsilen, aber reicht das aus? Wie kann das Land Krankenhäuser auf dem Weg in die vernetzte digitale Gesundheitsversorgung unterstützen?
Ursprünglich ging es bei einem Telekonsil in der vertragsärztlichen Versorgung um die konsiliarische Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen, insbesondere von Computertomographie-Aufnahmen. Diese Art der Zweitbefundung ist zu einem Standardverfahren geworden. Die Ausweitung von Telekonsilen erfordert den Ausbau der technischen Voraussetzungen. Hier kommt das Konjunkturpaket „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“ zum richtigen Zeitpunkt. Mit dem Maßnahmepaket „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“ sollen Investitionen der Krankenhäuser mit bis zu drei Milliarden Euro gefördert werden. Auf Sachsen-Anhalt würden davon ca. 80 Millionen Euro entfallen – für Investitionen in moderne Notfallkapazitäten, in die digitale Infrastruktur, die IT- und Cybersicherheit und zur gezielten Entwicklung regionaler Versorgungsstrukturen. Die haushaltsmäßige Vorsorge für die Co-Finanzierung aus dem Landeshaushalt muss dabei noch geschaffen werden.
In der Pflege gibt es schon viele innovative Modellprojekte, die in der Versorgung flächendeckend aktuell aber bisher kaum eine Rolle spielen. Was muss passieren, damit sich die Leistungserbringer in der Pflege hier aktiver engagieren?
Pflege ist im Kern Beziehungsarbeit und kann durch Digitalisierung unterstützt, aber niemals ersetzt werden. Digitalisierungsvorhaben müssen einen tatsächlichen Nutzen für die Pflegebedürftigen oder Pflegeplanung/-management haben. Insgesamt gilt: Digitalisierungserleichterungen werden stark im Verwaltungsbereich gesehen – Stichwort DTA-Abrechnung und Verordnungsmanagement. Es gibt viele nützliche Projekte, zum Beispiel Apps zur Erkennung von Mobilitätseinschränkungen.
Einige Pflegeeinrichtungen haben während der Corona-Pandemie durch Videotelefonie den Kontakt zwischen Gepflegten und Angehörigen aufrechterhalten. Wie kann das Land unterstützen, damit solche Angebote flächendeckend im ganzen Land existieren?
Ich begrüße, dass sehr kreative Wege gefunden worden sind, Kommunikation zu gestalten, auch wenn direkte Begegnungen nicht ermöglicht werden konnten. Ob das Land hier finanziell unterstützt, dass entsprechende Angebote auf- und ausgebaut werden, werden wir diskutieren. Niedersachsen ist diesen Weg ja gegangen.