In Sachsen-Anhalt gibt es trotz im Bundesvergleich hoher Impfquoten deutliche Impflücken bei Kindern. So war jedes fünfte im Jahr 2015 geborene Kind (21,1 Prozent) in den ersten beiden Lebensjahren nicht oder nur unvollständig gegen Masern geimpft. Das geht aus dem Barmer-Arzneimittelreport 2019 hervor. Im Jahr 2017 waren damit hochgerechnet landesweit mehr als 7.000 Zweijährige ohne vollständigen Masernschutz. „Es gelingt uns als Gesellschaft noch nicht in ausreichendem Maß, unsere Kinder vor vermeidbaren Risiken durch Infektionskrankheiten zu schützen“, sagt Axel Wiedemann, Landesgeschäftsführer der Barmer in Sachsen-Anhalt. Doch nicht nur bei Masern gibt es gravierende Lücken: 2,6 Prozent der 2015 in Sachsen-Anhalt geborenen Kinder haben in den ersten beiden Lebensjahren überhaupt keine der 13 Impfungen erhalten, die die Ständige Impfkommission empfiehlt. Das entspricht mehreren Hundert völlig ungeimpften Mädchen und Jungen zwischen Arendsee und Zeitz. „Die Zahlen belegen: Auch in Sachsen-Anhalt werden zu wenige Kinder geimpft. Das macht die Ausrottung bestimmter Infektionskrankheiten in Deutschland unmöglich und verhindert den Schutz für all diejenigen, die sich nicht impfen lassen können. Insbesondere bei den Eltern müssen wir ansetzen und schauen, wie wir der Skepsis besser begegnen und mögliche Ängste vor Impfungen abbauen können“, sagt Wiedemann.
„Herdenimmunität“ wird im Schulkindalter verfehlt
Erstmals liegen mit den Auswertungen auch repräsentative Erhebungen vor, wie viele Schulanfänger tatsächlich nicht geimpft sind. Denn die Impfquoten aus den häufig zitierten Schuleingangsuntersuchungen (Robert-Koch-Institut) basieren ausschließlich auf vorgelegten Impfpässen. Dabei wird der Impfstatus von Kindern, die keinen Impfpass vorlegen, nicht berücksichtigt. Das führe auf dem Papier zu höheren, unrealistischen Impfquoten, betonte Wiedemann, denn nicht geimpfte Kinder hätten natürlich auch keinen Impfpass. Hier liefert die Auswertung der Barmer neue Erkenntnisse: Demnach wurde bei Sachsen-Anhalts Kindern im einschulungsfähigen Alter nur bei sieben (Tetanus, Diphterie, Pertussis, Meningokokken, Masern, Mumps, Röteln) der 13 wichtigsten Infektionskrankheiten eine Durchimpfungsrate von mehr als 90 Prozent im Jahr 2017 erreicht. Dabei wäre für eine ausreichende „Herdenimmunität“, die auch ungeimpften Personen wie chronisch Kranken Schutz bietet, eine Immunisierungsrate von mindestens 95 Prozent erforderlich. „Bei einem Unfall des eigenen Kindes in der Schule oder bei einer Auslandsreise sollten sich Eltern nicht auch noch mit der Frage beschäftigen müssen: ‚Ist mein Kind geimpft?‘ Impfen sollte eine Selbstverständlichkeit sein – denn Impfen schützt das geimpfte Kind, aber auch die anderen Kinder und Erwachsenen“, sagt Wiedemann.
Staatssekretärin rät zum Herbstanfang zu Influenza-Schutzimpfung
Beate Bröcker, Staatssekretärin im Landesgesundheitsministerium, rät, den eigenen Impfstatus zu überprüfen und dabei die Grippeschutzimpfung mit zu erledigen. „Wir können nur dringend zur Influenza-Grippeschutzimpfung raten. Das ist der einzig sichere Grippeschutz. Menschen über 60 Jahre, chronisch Kranke sowie Schwangere haben ein erhöhtes Risiko für einen besonders schweren Grippeverlauf und sollten sich daher impfen lassen“, sagt Bröcker. Seit dem vergangenen Jahr falle der Schutz besonders gut aus, da die Impfung nun grundsätzlich mit einem Vierfachimpfstoff unabhängig der Kassenzugehörigkeit erfolgt.
Vor mehr als 20 Jahren habe sich das Land mit dem Erreichen eines altersgerechten Impfstatus bei 90 Prozent der Bevölkerung selbst ein ehrgeiziges Gesundheitsziel gesteckt. „Im bundesweiten Vergleich sind wir auf einem guten Weg“, so Bröcker. Die von den Gesundheitsämtern des Landes erhobenen Impfdaten von Kindern und Jugendlichen zeigten einen insgesamt steigenden Trend bei der Durchimpfung. „Es gibt aber eben auch diejenigen Erwachsenen, die zu sorglos sind. Hier müssen wir am Ball bleiben“, sagt Bröcker. Ein Gewinn sei die Einführung eines facharztübergreifenden Impfens gewesen sowie die Möglichkeit der Eltern, sich gleich beim Kinderarzt mit impfen zu lassen. Diesen neuen Service nutzten sehr viele Eltern, weil sie sich dadurch einen Besuch beim Hausarzt sparen können.
Ursachen für Impfverweigerung
Anhand der Barmer-Daten ist zudem untersucht worden, welche Faktoren Einfluss auf den Impfschutz bei Kindern haben. Dabei hat sich unter anderem ein Zusammenhang zwischen der Präferenz für Homöopathie und der Ablehnung von Impfungen offenbart. Auch bei Kindern mit besonders jungen oder älteren Müttern ist die Wahrscheinlichkeit höher, nicht vollständig geimpft zu sein. Gleiches gilt den Auswertungen zufolge auch für Kinder von Eltern ohne anerkannte Berufsausbildung. Jene, die am Kinder- und Jugendprogramm der Barmer teilnehmen, haben statistisch gesehen eine höhere Wahrscheinlichkeit, vollständig geimpft zu sein.