Seit dem 10. März 2017 gilt das Gesetz zur „Änderung betäubungsrechtlicher und anderer Vorschriften“, das Cannabis als Medizin verkehrs- und verschreibungsfähig gemacht hat und auf diese Weise die Verordnung von cannabishaltigen Arzneimitteln für schwer kranke Patientinnen und Patienten erleichterte. Menschen mit chronischen Schmerzen hatten große Hoffnungen in Cannabis als Medizin gesetzt, Publikumsmedien einen Milliardenmarkt beschworen. Wie sieht die Versorgungsrealität nach fünf Jahren aus?
Nachfrage nach Cannabis in Sachsen-Anhalt sinkt
Die Barmer in Sachsen-Anhalt hat seit Inkrafttreten Gesetzes bis Ende des vergangenen Jahres insgesamt 755 Anträge auf cannabishaltige Arzneimittel erhalten. Davon wurden 572 Anträge, also 75,8 Prozent, bewilligt, und 183 abgelehnt. Das geht aus einer aktuellen Analyse der Barmer hervor. Die Fallzahlen waren in den vergangenen beiden Jahren rückläufig. Demnach gab es im Jahr 2019 noch 209 Anträge und in den Folgejahren lediglich 147 beziehungsweise 159 Anträge. Die Nachfrage unter Barmer-Versicherten in Sachsen-Anhalt folgt damit einem Bundestrend. Der große Hype um Cannabis als Medizin scheint vorbei zu sein. Einerseits habe die Corona-Pandemie und die damit verbundenen selteneren Arztbesuche Einfluss auf die Anzahl der Anträge. Andererseits würden cannabishaltige Arzneimittel mittlerweile gezielter eingesetzt. Neben Schmerzen seien Spastiken etwa bei Multipler Sklerose sowie Übelkeit und Erbrechen im Zusammenhang mit Krebsbehandlungen ein häufiges Einsatzgebiet von Cannabis.
Regionale Unterschiede bei Anzahl an Cannabis-Anträgen
Wie aus der Barmer-Analyse weiter hervorgeht, wurden in den vergangenen knapp fünf Jahren vergleichsweise viele Anträge im Saarland, in Bayern und Berlin gestellt, mit 410 beziehungsweise 394 und 355 je 100.000 Barmer-Versicherten. Am geringsten war die Rate in Sachsen mit 198 je 100.000 Personen. In Bayern gäbe es auch deshalb so viele Verordnungen für Cannabis, weil seit Mitte der 90er-Jahre an der Universität München dazu geforscht würde. Ärztinnen und Ärzte hätten sich in der Zwischenzeit gezielt fortgebildet und Cannabis in die Behandlung unterschiedlicher Erkrankungen integriert. Dies sei möglicherweise nicht überall in gleichem Maße der Fall.
Einsatz von Cannabisblüten bedarf Erfahrung
Nach einer Analyse bekamen Barmer-Versicherte in Sachsen-Anhalt seit März 2017 bis November 2021 knapp 5.700 Verordnungen cannabishaltiger. Darunter waren rund 240 Packungen unverarbeiteter Cannabisblüten. Für deren Einsatz brauchen sowohl die behandelnden Ärztinnen und Ärzte als auch die Patientinnen und Patienten Erfahrung. Unverarbeitete Cannabisblüten sind schwer dosierbar, die Wirkung nicht ohne Weiteres steuerbar. Zudem ist die übliche Anwendung als Inhalation mit Hilfe von Vaporisatoren für die Patientinnen und Patienten aufwändig. Von einer Anwendung als Tee ist abzuraten, da der Übertritt der Wirkstoffe in das Wasser sehr variabel sei, insbesondere bei falscher Zubereitung. Die Cannabisblüten müssten 15 Minuten am Sieden gehalten werden. Leichter dosier- und anwendbar als Cannabisblüten sind flüssige Cannabisextrakte zum Einnehmen, ein Mundspray oder der isolierte Cannabiswirkstoff Dronabinol in Form von Kapseln oder Tropfen.
Wie bekomme ich Cannabis auf Rezept?
Die Entscheidung über eine Verordnung von cannabishaltigen Arzneimitteln liegt in der Therapiehoheit der behandelnden Ärztin beziehungsweise des behandelnden Arztes. Unter welchen Voraussetzungen die Kosten für ein Cannabispräparat übernommen werden, schreibt das Sozialgesetzbuch V (SGB V) vor. Die Patienten nehmen noch vor Beginn der Therapie Kontakt zu ihrer Krankenkasse auf und stellen dort einen Antrag auf Kostenübernahme. Sowohl die Verordnung als auch die Kostenübernahme sind an verschiedene Voraussetzungen geknüpft:
- Die Patientin oder der Patient leidet unter einer schwerwiegenden Erkrankung.
- Es gibt keine besser wirksame Alternative zum Cannabispräparat.
- Es ist davon auszugehen, dass sich das cannabishaltige Arzneimittel positiv auf die betroffene Person auswirkt.
Die Krankenkasse nimmt ihrerseits die medizinische Expertise der unabhängigen Ärztinnen und Ärzte des Medizinischen Dienstes (MD) in Anspruch. Hier erfolgt eine entsprechende fachliche Einschätzung und Empfehlung. Nach erfolgter Prüfung entscheidet die Krankenkasse über die Kostenübernahme. Hat die Krankenkasse den Antrag genehmigt, kann die Ärztin oder der Arzt ein Rezept ausstellen. Ein erneuter Antrag auf Kostenübernahme ist nicht notwendig.