Magdeburg, 29. Juli 2020 – Kinder bis sechs Jahre werden in Sachsen-Anhalt zu selten dem Zahnarzt vorgestellt. Im Jahr 2018 waren 43 Prozent der Null- bis Sechsjährigen nicht zur Kontrolle – das entspricht rund 45.000 Heranwachsenden zwischen Arendsee und Zeitz. Die Zahlen gehen aus dem neuen Zahnreport der Barmer hervor, den die Krankenkasse am Mittwoch in Magdeburg gemeinsam mit der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt vorgestellt hat. „Eltern warten oft zu lange, bevor sie mit ihrem Kind das erste Mal zum Zahnarzt gehen“, sagte Axel Wiedemann, Landesgeschäftsführer der Barmer in Sachsen-Anhalt. „Das ist fahrlässig und ein Irrglaube, dass Karies im Kindesalter nicht dramatisch wäre, weil die Milchzähne ohnehin ausfallen. Milchzahnkaries oder suboptimale Zahnstände können lebenslange Folgen haben, denn sie wirken sich auch auf die nachwachsenden Zähne aus“, so Wiedemann.
Kinder in der Altmark mit wenigsten Früherkennungsuntersuchungen
Eine wichtige Zahnuntersuchung bei kleinen Kindern ist die Früherkennung. Lediglich bei einem Drittel der Kinder zwischen zweieinhalb und sechs Jahren wird eine jährliche zahnärztliche Früherkennungsuntersuchung durchgeführt. Die Inanspruchnahmequote lag im Jahr 2018 in Sachsen-Anhalt nur bei 33,1 Prozent. Innerhalb des Landes sind die Quoten sehr unterschiedlich: Während im Landkreis Wittenberg 41,2 Prozent der Zweieinhalb bis Sechsjährigen zur Früherkennungsuntersuchung waren, lag die Quote im Landkreis Stendal mit 25,7 Prozent deutlich darunter. Immerhin: Der landesweite Trend lässt hoffen. Seit dem 1. Juli 2019 übernehmen alle gesetzlichen Krankenkassen zur Vermeidung von Karies bei Kleinkindern schon ab dem sechsten Lebensmonat zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen und damit deutlich früher als bisher (zuvor erst ab zweieinhalb Jahren). Eine erste Auswertung belegt: Die Inanspruchnahme hat sich leicht verbessert. Die Barmer hat die Daten von rund 4.500 unter Dreijährigen in Sachsen-Anhalt untersucht. Im dritten und vierten Quartal 2019 wurden im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mehr Kinder unter drei Jahren dem Zahnarzt vorgestellt, insgesamt ist ein Plus von 6,1 Prozent zu verzeichnen. „Dieses Ergebnis ist unbedingt weiter ausbaufähig. Doch insgesamt scheinen die früher angesetzten Untersuchungen eine Wirkung zu entfalten“, sagte Wiedemann.
Zahnärztekammer: Untersuchungen unbedingt wahrnehmen!
„Die Verbesserung der Mundgesundheit von Kindern ist bereits seit Jahren ein besonderes Anliegen der Zahnärzteschaft“, sagte Dr. Carsten Hünecke, Präsident der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt und Zahnarzt aus Magdeburg. Denn von den Zielen der Weltgesundheitsorganisation WHO, die für 2020 einen Anteil kariesfreier Gebisse bei Einschülern von über 80 Prozent angibt, sei Sachsen-Anhalt noch weit entfernt. Wie Zahlen des Landesamtes für Verbraucherschutz zeigen, hatten 2018 nur rund 60 Prozent der einzuschulenden Kinder naturgesunde Zähne. Mehr als ein Viertel der Kinder hat sogar ein behandlungsbedürftiges Gebiss, wie die bei Reihenuntersuchungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes gewonnenen Daten zeigen. Damit gehört Sachsen-Anhalt bei der Kariesprävalenz bundesweit zu den Schlusslichtern. Betroffene Kinder leiden unter Störungen der Kaufunktion und der Nahrungsaufnahme sowie psychischen Folgen und Sprachproblemen, warnte Dr. Carsten Hünecke. Besorgniserregend ist die Lage auch bei den unter Dreijährigen: Bei frühkindlicher Karies ist eine Polarisierung zu beobachten, das heißt, fünf Prozent der 0- bis 3-Jährigen in Sachsen-Anhalt vereinen mehr als 70 Prozent aller kariösen Zähne auf sich.
Kitas sollen wieder mit dem Zähneputzen starten
Die seit dem 1. Juli 2019 möglichen drei zusätzlichen Früherkennungsuntersuchungen sowie die Zahnschmelzhärtung mit Fluoridlack für Kleinkinder bis zum vollendeten 33. Lebensmonat sind aus Sicht der Zahnärzteschaft deshalb ein wichtiger Meilenstein für die Mundgesundheit der kleinsten Patienten, so Dr. Hünecke. Er hoffe, dass Eltern dieses Angebot und auch die Früherkennung für über Dreijährige möglichst zahlreich annehmen und durch die Corona-Pandemie eventuell verschobene Vorsorgetermine zeitnah nachholen. Besondere Bedeutung komme im Übrigen dem Zahnputztraining in den Kitas des Landes zu. Im Zuge der Corona-Pandemie hätten viele Kitas das Zähneputzen eingestellt, kritisierte der Präsident der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt. Es gebe jedoch keine Hinweise auf ein erhöhtes Infektionsrisiko infolge des Putzens, andererseits stärke es die Immunkompetenz und sei für die Mundgesundheit gerade der Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen überaus wichtig, so Dr. Hünecke. Er forderte die Kitas im Land deshalb auf, im Interesse ihrer Schützlinge die gute Arbeit schnellstmöglich fortzusetzen.
Acht Prozent der Kinder zwischen 6 und 12 Jahren haben „Kreidezähne“
Der Barmer-Zahnreport liefert außerdem erstmals Zahlen zu einer Erkrankung bei Kindern, die Ärzten und Wissenschaftlern noch Rätsel aufgibt: Den sogenannten „Kreidezähnen“, medizinisch Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH). Diese Schmelzbildungsstörung tritt meist an den ersten bleibenden Backenzähnen auf, häufig auch an den bleibenden Frontzähnen. Auch Milchzähne können schon betroffen sein. „Die Zähne haben weiße bis gelblichbraune Flecken – je größer und dunkler die verfärbten Stellen sind, desto stärker ist die Mineralisationsstörung. Das schmerzt und die Kinder können kaum noch Zähneputzen. Die Zähne zerbröseln im schlimmsten Fall“, sagte Wiedemann. Allein im Jahr 2018 waren laut dem Zahnreport acht Prozent der Kinder in Sachsen-Anhalt zwischen sechs und zwölf Jahren von MIH betroffen – das ist der zweithöchste Wert im Bundesvergleich nach Brandenburg und entspricht rund 9.000 Heranwachsenden in Sachsen-Anhalt. „Um solchen Krankheitsbildern vorzubeugen, appellieren wir an Eltern und Erziehende, die vorgesehenen Früherkennungsuntersuchungen für Kinder stärker zu nutzen, um Erkrankungen und Entwicklungsstörungen im Zahn-, Mund- und Kieferbereich rechtzeitig zu erkennen. Je früher man an solche Dinge herangeführt wird, desto stärker verstetigen sie sich und werden im Erwachsenenalter zur Normalität“, so Wiedemann.