Dörte Schall (SPD) ist seit Juli dieses Jahres Ministerin für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz. Die Redaktion der STANDORTinfo hat sie zu den Herausforderungen der aktuellen Pflegepolitik und der Digitalisierung im Gesundheitswesen befragt.
In dem Abschlussbericht einer Studie zur Digitalisierung der Pflege im Auftrag Ihres Hauses, dessen Ergebnisse im Jahr 2023 veröffentlicht wurden, wird unter anderem festgestellt, dass es in der Vernetzung digitaler Lösungen und Anwendungen noch ein erhebliches Entwicklungs- und Ausbaupotenzial in Rheinland-Pfalz gibt. Wie wollen Sie dieses Potenzial heben?
Digitalisierung und technologische Innovationen in der Pflege sind Schlüsselfaktoren für die zukünftige Gestaltung des Gesundheitswesens. Sie bieten große Chancen, um den enormen Herausforderungen einer alternden Bevölkerung, des wachsenden Pflegebedarfs und des bereits bestehenden Fachkräfteengpasses zu begegnen. In der Landesstudie digi2care wurde allerdings deutlich, dass digitale Lösungen in der Bildungs- oder Versorgungspraxis noch zu oft Insellösungen bleiben. Daraus folgt, dass in der Vernetzung digitaler Lösungen und Anwendungen noch erhebliches Entwicklungspotenzial liegt. Unser Ansatz in Rheinland-Pfalz ist es, die digitalen Kompetenzen der Lehrkräfte in der Pflegeausbildung und die Qualifikation zukünftiger Pflegefachkräfte zu verbessern. Dafür führen wir seit Mai 2024 eine Digitale Bildungsoffensive Rheinland-Pfalz an den Pflegeschulen durch.
Im Jahr 2020 hat die Landesregierung die Gigabit-Strategie für Rheinland-Pfalz verabschiedet. Die Landesregierung hat sich darin das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 die Grundlage für flächendeckende Gigabit-Anschlüsse auf Basis hochleistungsfähiger Glasfaser zu schaffen. Wie sehr sehen Sie das Ziel in Zeiten zunehmender Telemedizin kurz vor dem Jahr 2025 verwirklicht?
Der Glasfaserausbau schreitet in Rheinland-Pfalz auf hohen Niveau voran. Ende 2023 konnten bereits zwei von drei Haushalten in Rheinland-Pfalz in Gigabitgeschwindigkeit surfen. Mehr als jeder fünfte Haushalt kann auf Glasfaser zugreifen. Gemeinsam mit den Telekommunikationsunternehmen haben wir uns in der Gigabit-Charta für Rheinland-Pfalz das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 alle Haushalte in Rheinland-Pfalz an das Glasfasernetz anzuschließen. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen wir weiterhin auf ein kluges Zusammenspiel von eigenwirtschaftlichem und gefördertem Ausbau. Durch die zunehmende Digitalisierung und neue Anwendungen wie Smart Home, Homeoffice oder auch Telemedizin steigen auch die Anforderungen an die digitalen Netze. Unserer Gigabitstrategie verpassen wir daher aktuell ein Update, mit dem wir auf neue Entwicklungen und Bedarfe reagieren.
Ein Vorhaben, das im Koalitionsvertrag genannt wird, ist ein Förderprogramm zur Einführung Künstlicher Intelligenz mit dem Ziel der technologischen Unterstützung im Pflegeprozess. Wie soll das Programm aussehen und wann kommt es?
Die Digitalisierung verändert nahezu alle Lebensbereiche und bietet auch für die Pflegebranche große Chancen. Wichtig ist, das es beim Einsatz von Digitalisierung nicht darum geht, menschliche Fürsorge durch digitale Technik zu ersetzen, sondern durch technologische Innovation eine bestmögliche Versorgung für die Patientinnen und Patienten zu gewährleisten. Mit der Landesstudie digi2care haben wir in Rheinland-Pfalz bereits frühzeitig die Grundlage dafür gelegt, die Chancen der Digitalisierung in der Pflege zu nutzen. Damit waren und sind wir Vorreiter in Deutschland. Darauf bauen wir auch mit unserer neuen Fachkräftestrategie Pflege auf. Eine zentrale Erkenntnis der digi2care-Studie ist, dass bestehende Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten für die Digitalisierung im Pflegebereich noch nicht ausreichend bekannt sind. Pflegeeinrichtungen in Rheinland-Pfalz werden wir hierzu daher verstärkt beraten und durch gezielten Wissenstransfer Innovationen zur Unterstützung und Entlastung der Pflege in die Fläche tragen.
Bis zum Jahr 2003 hatte das Land Rheinland-Pfalz die Investitionskosten der Pflegeheime bezuschusst, danach nicht mehr. Die meisten Länder haben eine Pflegeheim-Investitionskostenförderung. Wann steigt das Land Rheinland-Pfalz wieder in Finanzierung der Pflegeheiminvestitionskosten ein, um so die Pflegeheimbewohner zu entlasten?
In Rheinland-Pfalz werden etwa 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen zuhause versorgt und müssen für ihre Wohnkosten grundsätzlich alleine aufkommen. Eine Förderung der Pflegeheiminvestitionskosten aus dem Landeshaushalt wäre vor diesem Hintergrund schwer nachvollziehbar. Unser zentrales pflegepolitisches Ziel muss stattdessen eine Reform der Pflegefinanzierung sein, die zu einer echten Entlastung der Pflegebedürftigen führt – egal ob diese stationär oder in der eigenen Häuslichkeit versorgt werden. Dafür wird sich die rheinland-pfälzische Landesregierung im Bund weiter einsetzen.
NRW, Bayern und das Saarland haben Online-Portale eingerichtet, in dem freie Kapazitäten in Einrichtungen der Kurzzeitpflege und in Pflegeheimen stets aktuell einsehbar sind, was Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bei der Pflegeplatzsuche enorm entlastet. Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen so ein Portal auch in Rheinland-Pfalz einzurichten?
Das Bedürfnis von Angehörigen und Menschen mit Pflegebedarf nach schnellen und übersichtlichen Informationen zu freien Plätzen ist absolut nachvollziehbar. Um die Pflegeplatzsuche zu erleichtern, sollten auch digitale Möglichkeiten noch stärker genutzt werden. Online-Portale können hier einen echten Mehrwert für die Betroffenen bieten. Voraussetzung dafür ist, dass die Aktualisierung der Daten in Echtzeit erfolgt und die Informationen möglichst bundesweit und über Ländergrenzen hinweg bereitgestellt werden. Ich begrüße daher, dass sich das beim GKV-Spitzenverband angesiedelte Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege aktuell mit der Frage beschäftigt, wie digitale Möglichkeiten die Pflegeplatzsuche in Zukunft erleichtern können. Auf der Grundlage dieser Empfehlungen gilt es, eine bundesweite Portallösung aufzusetzen.
Laut Barmer-Pflegereport aus dem Jahr 2021 wird Rheinland-Pfalz im Jahr 2030 rund 6.000 Pflegekräfte mehr benötigen als im Jahr 2022. Welche Maßnahmen möchten Sie ergreifen, damit für die Pflegebedürftigen im Land künftig genügend Pflegekräfte vorhanden sind?
Um dem steigenden Fachkräftebedarf und den damit verbundenen Fachkräftemangel entgegenzuwirken, brauchen wir mehr helfende Hände in der Pflege. Das Land Rheinland-Pfalz führt daher bereits seit Jahren Fachkräfteinitiativen durch. Unsere neue Fachkräftestrategie Pflege zielt darauf ab, eine qualitativ hochwertige pflegerische Versorgung der Menschen in Rheinland-Pfalz zu gewährleisten und die Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern. In den vier Handlungsfeldern Fachkräftequalifizierung, Fachkräftegewinnung, Fachkräftebindung sowie Digitalisierung und Innovation haben wir gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern aus dem Gesundheitswesen und der Pflege gezielte Maßnahmen entwickelt, die dazu beitragen werden, auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige Pflege zu sichern. Durch eine moderne Pflegeausbildung, die Förderung von Teilzeitausbildungsplätzen und die Stärkung der akademischen Pflegeausbildung wollen mir mehr Menschen für einen Beruf in der Pflege gewinnen. Daneben gilt es, auch das Potenzial ausländischer Fachkräfte sowie geflüchteter Menschen noch stärker nutzen.