Mit einer landesweiten Informationskampagne klären das NRW-Gesundheitsministerium, die Kassenärztlichen Vereinigungen, Krankenkassen wie die Barmer und weitere Akteure aus dem Gesundheitswesen über den sicheren Umgang mit Antibiotika auf. Der Name der Kampagne gibt gleichzeitig ihr Ziel vor: „Rationale Antibiotikaversorgung in Nordrhein-Westfalen“. Unter anderem mit Postern, Faltblättern, Social-Media-Aktivitäten und Telefonaktionen wollen die Initiatoren die Gesundheitskompetenz der Menschen in NRW stärken.
Die Kampagne räumt beispielsweise mit dem Mythos auf, Antibiotika seien eine Allzweckwaffe bei Erkältungen. Tatsächlich lindern sie Beschwerden wie Husten oder Schnupfen in den meisten Fällen nicht. Erkältungskrankheiten werden nämlich in neun von zehn Fällen durch Viren ausgelöst. Antibiotika bekämpfen aber lediglich Bakterien.
Grundsätzlich gilt bei Antibiotika: So selten wie möglich und so lange wie nötig. Wer sich bei der Einnahme nicht an die Anweisung des Arztes hält, riskiert die Entstehung und Verbreitung von resistenten Erregern. Eine Antibiotikaresistenz liegt vor, wenn Bakterien sich so verändern, dass sie die Wirkung von Antibiotika abschwächen oder vollständig aufheben. Mehr Informationen zur Kampagne: www.mags.nrw/Antibiotika
Laut einer Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung verschreiben Ärzte immer weniger Antibiotika zum Einnehmen. Zwischen 2010 bis 2018 sind die Verordnungszahlen in Deutschland um 21 Prozent gesunken. Frau Dr. Marschall, braucht es da überhaupt noch Kampagnen wie die des NRW-Gesundheitsministeriums?
Dr. Ursula Marschall, leitende Medizinerin bei der Barmer: Wir benötigen auf jeden Fall weiterhin eine öffentliche Diskussion zum Thema „Antibiotikaverordnung“. Die Kampagne des Landes-Gesundheitsministeriums richtet sich ja vor allem an betroffene Patienten. Informierte Patienten können im Gespräch mit den Ärzten gemeinsam die Chancen und Risiken einer Antibiotikatherapie abwägen. Noch ist zum Beispiel nicht allen Betroffenen bekannt, dass Antibiotika nur gegen Bakterien wirken können, eine Erkältung oder auch die neue Atemwegserkrankung Covid-19 durch Viren ausgelöst werden. Hier können wir nicht genug informieren.
Durch den häufigen Einsatz von Antibiotika sind viele Bakterien dagegen gefeit. Könnten neue Antibiotika bei der Therapie von Infektionen mit resistenten Bakterien Abhilfe schaffen?
Marschall: Es geht hier nicht nur um die neue Antibiotika-Entwicklung, sondern vor allem um den rationalen Einsatz dessen. Dies betrifft nicht nur die Anwendung am Menschen, sondern auch die Tierhaltung. Wenn jetzt neue Antibiotika mit vollkommen neuen Wirkmechanismen entwickelt würden, diese aber ebenso breit und unkritisch eingesetzt werden, dann hilft auch eine neue Medikamentenklasse nicht weiter. Zudem muss beachtet werden, dass die Entwicklung neuer Medikamente zeitaufwändig ist und diese erst nach ca. zehn Jahren auch beim Menschen angewendet werden können. Die Resistenzentwicklung ist aber bereits heute Realität.
Deutschland und Niederlande prüfen derzeit in Pilotstudien, ob eine individuelle Verschreibung von Bakteriophagen bei uns möglich wäre. Belgien ist bisher das einzige westeuropäische Land, in dem Phagen zugelassen sind. Können Phagen Antibiotika ergänzen oder sogar ersetzen?
Marschall: Phagen wirken immer nur gegen ein spezielles Bakterium. Infektionen werden häufig aber durch verschiedene Bakterienarten hervorgerufen, so dass dann Breitbandantibiotika zum Einsatz kommen müssen. Hier braucht es auf jeden Fall noch groß angelegte wissenschaftliche Studien, die auch die Überlegenheit in der Wirksamkeit von Phagenkombinationen im Vergleich zu Standard-Antibiotika belegen.
Zu beachten ist auch, dass Antibiotika und ihre Wirksamkeit seit sehr langer Zeit bekannt und gut erforscht sind. Eine neue Therapie muss in gut geplanten und ausreichend großen wissenschaftlichen Studien belegen, dass bei einer neuen Therapie die Wirksamkeit besser, aber auch die gleiche Sicherheit wie bei der Antibiotikatherapie gegeben ist.
Hier braucht es auf jeden Fall noch geraume Zeit, bevor so eine Therapie auch hier in Deutschland zugelassen ist und somit von den Krankenkassen bezahlt werden kann.