Sie ist einer der wichtigsten Bausteine der Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland: die elektronische Patientenakte – kurz „ePA“ genannt, einer digitalen Plattform für unsere Gesundheitsdaten. Das ist unser Interview-Thema mit Heike Sander, der Landeschefin der Krankenkasse Barmer in Niedersachsen und Bremen.
Ganz zum Anfang: Was habe ich mir unter der ePA vorzustellen?
Heike Sander: Die elektronische Patientenakte ist eine digitale Plattform für die Dokumentation und den Austausch von Gesundheitsdaten. Sie wird den Versicherten von den gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung gestellt. Patienten können damit ihre für die Behandlung relevanten Dokumente verwalten. Das Einverständnis der Patienten vorausgesetzt, erhalten Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Psychotherapeuten, Krankenhäuser oder Therapeuten Zugriff auf diese Daten. So ermöglicht die elektronische Patientenakte den Leistungserbringern einen schnellen und umfassenden Einblick in die jeweilige Krankengeschichte, aber vereinfacht auch den Informationsaustausch aller Beteiligten untereinander.
Wie läuft das konkret ab?
Heike Sander: Um mit der ePA zu arbeiten, benötigen Arztpraxen eine spezifische technische Ausstattung. Diese wurden während einer Pilotphase in ausgewählten Praxen in diesem Jahr. Die schon zugelassenen Systeme stehen den Praxen seit kurzem zur Verfügung, sodass die Praxen Schritt für Schritt beginnen können, sich auszustatten. Die Barmer hofft, dass bis zum Ende des Jahres alle Vertragsärztinnen und Vertragsärzte in der ambulanten Versorgung dazu in der Lage sein werden, die Akte zu nutzen und mit relevanten Informationen für die medizinische Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten zu befüllen.
Welchen Nutzen habe ich von der elektronischen Patientenakte?
Heike Sander: Die elektronische Patientenakte ermöglicht mehr Kooperation im Gesundheitswesen. Als übergreifende Plattform macht sie die Versorgung transparenter: Stellt sich eine Patientin neu in der Arzt-Praxis vor, liefert die elektronische Patientenakte eine kompakte Übersicht der Krankengeschichte. Befunde lassen sich digital und sicher mit den Ärzte-Kollegen teilen. Die behandelnden Ärzte und Leistungserbringer haben so jederzeit alle für sie relevanten Informationen zu Vorerkrankungen, Diagnosen, vorherigen Operationen, eingenommenen Medikamente oder Allergien vorliegen. Das erleichtert Entscheidungen und vereinfacht Arbeitsabläufe, die Patienten, also wir, können effektiver behandelt werden.
Welche Dokumentenformate kann ich in der elektronischen Patientenakte speichern?
Heike Sander: Alle gängigen Formate wie zum Beispiel PDF und JPEG sind mit der elektronischen Patientenakte kompatibel. Vorhandene Dokumente wie Diagnosen, Laborbefunde, Therapie- und Behandlungsberichte können gescannt oder fotografiert und als digitale Version in die elektronischen Patientenakte eingestellt werden. Auch standardisierte medizinische Dokumente lassen sich in der elektronischen Patientenakte speichern und auslesen. Die ersten drei standardisierten Dokumente, die in der elektronischen Patientenakte zur Verfügung stehen, sind der Medikationsplan, der Notfalldatensatz und der eArztbrief. Weitere standardisierte Dokumente wie das Zahnbonusheft, der Mutterpass oder das U-Heft sollen folgen.
Bleiben wir bitte mal bei der Medikationsplanung, also den Tabletten, die ich nehmen muss, wie funktioniert das konkret?
Heike Sander: Patienten können schon heute alle Medikamente selbständig in ihre eCare, das ist die ePA der Barmer, einpflegen. Der ausgedruckte Medikationsplan kann per QR-Code geladen werden. Für weitere Medikamente gibt es eine Scanner-Funktion, um den Barcode auf der Verpackung einzulesen. Vorteile: Patienten können sich über die App an die Einnahme erinnern lassen und diese dokumentieren. Auch wenn Ärzte noch keinen eigenen Zugriff auf die ePA haben, können Patienten ihnen so eine vollständige Liste aller eingenommenen Medikamente vorlegen. Ärzte haben so mögliche Wechselwirkungen mit Medikamenten im Blick, die sie nicht selbst verschrieben haben.
Für wen ist das besonders wichtig?
Heike Sander: Nützlich ist diese Funktion für Menschen, die regelmäßig mehrere Medikamente einnehmen; insbesondere, wenn diese von mehreren Ärzten verschrieben werden. Das betrifft vor allem ältere, digital-affine Menschen und generell Chroniker.
Für welche Patienten ist die elektronische Patientenakte geeignet?
Heike Sander: Die elektronischen Patientenakte richtet sich an alle, sowohl an gesunde als auch an kranke Menschen. Sie ermöglicht ihnen eine zentralisierte und standardisierte Ablage ihrer Gesundheitsinformationen und -dokumente. Wer sich für eine elektronischen Patientenakte entscheidet, hat dort die wichtigsten medizinischen Unterlagen immer griffbereit und kann sie immer wieder aktualisieren. Besonders für Patienten mit chronischen Krankheiten oder langen und komplexen Krankheitshistorien bedeutet die elektronischen Patientenakte eine Zeitersparnis. Sie erleichtert die Dokumentation und macht sie gleichzeitig sicherer.
Was ist, wenn ich gar kein Smartphone habe?
Heike Sander: Auch Versicherte ohne Smartphone können ihre Akte von ihren Ärzten pflegen lassen. Sie müssen sich dafür in der Praxis mit ihrer elektronischen Gesundheitskarte in der elektronischen Patientenakte anmelden und die entsprechenden Zugriffsrechte erteilen.
Der Start der elektronischen Patientenakte wurde von einer Diskussion um den Datenschutz begleitet. Welche Rolle spielt dieses Thema in der weiteren Entwicklung?
Heike Sander: Sicherheit und Datenschutz sind unverzichtbare Pfeiler für die digitalen Produkte der Barmer und haben – wie auch gesetzlich vorgegeben – Priorität. Sie sind klarer Hygienefaktor: Wenn sie nicht gewährleistet sind, wird die ePA nicht genutzt. Aber sie allein sind kein Anreiz. Niemand installiert eine App, nur weil sie besonders sicher ist. Der Nutzen muss klar sein und die Entwicklung und Integration von Funktionen, die den Nutzerinnen und Nutzern einen Mehrwert bieten und Anreize setzen, steht im Vordergrund.
Können Patienten Dokumente aus ihrer elektronischen Patientenakte löschen?
Heike Sander: Die Patienten dürfen jederzeit Dokumente aus ihrer elektronischen Patientenakte löschen: sowohl diejenigen, die sie selbst hochgeladen haben als auch diejenigen, die von einem Arzt oder anderen Leistungserbringer eingestellt wurden. Und: Patienten können die Löschung ihrer gesamten elektronischen Patientenakte jederzeit bei ihrer Krankenkasse veranlassen.
Gibt es Unterschiede zwischen den elektronischen Patientenakten der Krankenkassen?
Heike Sander: Alle gesetzlichen Krankenkassen unterliegen den technischen Sicherheits- und Funktionalitäts-Vorgaben, die vom Gesetzgeber und der für die Einführung der elektronische Patientenakte zuständigen gematik definiert wurden. Insofern basieren alle elektronischen Patientenakten auf denselben Grundfunktionen.
Bietet die Barmer in ihrer elektronischen Patientenakte sonst noch etwas an?
Heike Sander: Ja, dazu gehören zum Beispiel auf den individuellen Medikationsplan abgestimmte Einnahmeerinnerungen, um die Therapietreue zu stärken. Also, welche Tabletten muss ich wann nehmen. Auch Patienten, die keinen Medikationsplan haben, können eine eigene Medikamentenliste führen. Sofern sie zustimmen, erhalten Patienten Vorsorgeangebote der Barmer und Gesundheitsinformationen, zum Beispiel über Präventionskurse oder Ratschläge die helfen, das Ansteckungsrisiko durch saisonale Infekte zu reduzieren. Übrigens: Sie sind für die Patienten optional und kostenlos.
Welche weiteren Entwicklungsschritte wird es geben?
Heike Sander: Eins muss man klar sagen, die ePA wird nur dann ein Erfolg, wenn sie breite Nutzung findet, und dafür muss ihr Potenzial als Plattform und Schnittstelle im digitalen Gesundheitssystem erkannt und realisiert werden. Hier sind Länder wie Dänemark, Estland oder Israel schon weiter, die auch Lösungen für Terminbuchungen oder Chats mit dem Arzt entwickelt haben. Solche Funktionen braucht es, um die ePA in den Alltag der Menschen zu integrieren. Dann wird sie nützlich und sinnstiftend.
Vielen Dank für das Gespräch!